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Ausgabe:

1989

Spalte:

754-755

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Teuwsen, Rudolf

Titel/Untertitel:

Familienähnlichkeit und Analogie 1989

Rezensent:

Engemann, Wilfried

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Theologische Literaturzeitung 114. Jahrgang 1989 Nr. 10

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1. Die Transzendentalphilosophie. Ausgehend vom Cartesiani-
schen cogito ergo sum entwickelt Heintel in Auseinandersetzung mit
Sartre die Grundeinsicht der Metaphysik der Neuzeit, nämlich die
Unterscheidung des Denkens in intentio recta und in intentio obliqua.
Der eigentümliche Denkansatz der Philosophie als Prinzipienwissenschaft
ist die Rückwendung des Denkens von der natürlichen Gegenstandsbezogenheit
(intentio recta) zu den „vergessenen" Voraussetzungen
der Erfahrung (intentio obliqua). Die Rückwendung zu dem,
was Erfahrung möglich macht, was Wirklichkeit konstituiert, führt
zur Transzendierung der gegebenen Wirklichkeit auf das einheits-
stiftende Prinzip hin. Danach muß man bei jeder Wahrnehmung oder
Erfahrung das ,;ich denke" hinzunehmen, um die volle Wirklichkeit
des Wahrgenommenen und Erfahrenen in den Blick zu bekommen.
Das „ich denke" ermöglicht erst Erfahrung, obwohl es in den Inhalten
der Erfahrung nicht erfaßt werden kann. Diese „Voraussetzung" ist in
allem Gegenständlichen immer „vergessen". Das scheinbar unproblematisch
„Gegebene" ist in Wirklichkeit durch das „transzendentale
Ich", wie Kant es nennt, vermittelt. Diese „ursprüngliche Synthese"
(Kant) zwischen Subjekt und Objekt wird von der Transzendentalphilosophie
ans Licht gebracht. Sie verhindert die nur im Rahmen
methodischer Abstraktion der Einzelwissenschaften legitime Zerreißung
der Wirklichkeit im Subjekt-Objekt-Schema. Philosophie
ermöglicht also durch ein Zusammenschauen der Wahrnehmungen
und Dinge mit ihren „vergessenen" Voraussetzungen einen Vollbegriff
der Wirklichkeit, der Rationales (Erfahrung) und Irrationales
(Voraussetzungen) vereint.

Dieses etwas ausführliche Referat war nötig, um das erste Grundthema
der Philosophie Heintcls, das sich durch alle Aufsätze mit
wachsender Aufhellung der Zusammenhänge hindurchzieht, deutlich
zu machen. Es kann in seiner Bedeutung für alles von der Wirklichkeit
selbst her (und nicht von Interessen) bestimmte Denken gar nicht
hoch genug eingeschätzt werden. Denn empirisch-wissenschaftliches
Denken führt zu „Physik ohne Kraft, Biologie ohne Leben, Psychologie
ohne Seele" (I, 45), weil das konstituierende „Innere", das
Heintel auch „Urständliches" nennt, im „Gegenständlichen" nicht
vorkommt. Es ist verständlich, daß Heintel den Plan faßte, ein System
der Philosophie von diesem „archimedischen Punkt" des „transzendentalen
Ich" aus zu entwerfen (1,26 Anm. 5). Daß es nicht dazu kam.
lag am Hervortreten des zweiten Hauptmotivs, der Naturphilosophie
.

2. Die Ontologie. In dem Aufsatz „Tierseele und Organismus-
Problem im Cartesianischen System" (I, 114ff) aus dem Jahr 1950
kommt zum erstenmal die prinzipielle Grenze der Transzendentalphilosophie
zum Ausdruck. Unter den „Gegenständen" der Erfahrung
befinden sich nicht nur solche, die ausschließlich durch das Ich
konstituiert werden, sondern auch solche, die außerdem in sich
konstituiert sind, die also eine innere Einheit aufweisen: alle Naturdinge
. Sie haben in sich selbst ein Konstitutionsprinzip, verlangen
also eine philosophische Würdigung in „ontologischer Differenz" von
StolTund Formprinzip. In seinem Aufsatz „Naturzweck und Wesens-
begriff" (II, 67ff) zeigt Heintel, daß das Reich der Natur ein eigenes
Voraussetzungsproblem stellt, das mit dem der menschlichen Erfahrung
nicht auf einen Nenner gebracht werden kann. Die Vergleich-
gültigung dieses Problems seit Descartes. der die Tiere den Maschinen
gleichstellte, ihnen also die innere Einheit (Seele) absprach,
erweist sich von hier aus als schwerwiegender Wirklichkeitsvcrlust.
Kant sah das Problem, indem er den treffenden, doch bei ihm systemfremden
Begriff des „Naturzwecks" einführte, aber ihm fehlten die
begrifflichen Mittel, das Grundproblem der Naturphilosophie zu
'ösen (II. 67ff). Heintel nimmt das Thema auf und entfaltete es unter
Anknüpfung an den aristotelischen Begriff des eidos, den Leib-
nizschen Begriff der Monade und den Hegclschen Begriff der Insich-
vermitteltheit.

Die Einsicht in die zweifache Voraussetzungsproblematik führt
Heintel nicht nur zur Rehabilitierung der Ontologie. sondern hat auch
tiefgreifende Konsequenzen für den Begriff des Menschen. Alle

Theorien, die nur eine Voraussetzung sehen (ganz zu schweigen von
empirischen Theorien), erweisen sich von hier aus als defizient. etwa
der Naturalismus, Existentialismus, Psychologismus, die „Selbstmache
" im Sinne Sartrcs, aber auch Heideggers Bestimmung des
Menschen. Heintel nimmt beide Aspekte im Begriff der „Daseienden
Transzendentalität" (II, 356IT) für den Menschen auf und stellt sich
darüberhinaus der Aufgabe der Vermittlung von Leibseele und Geistseele
, also von Ontologie und Transzendentalphilosophie.

3. Sprachphilosophie. In den Aufsätzen „Sprachphilosophie" (I,
196ff) und „Herder und die Sprache" (I, 364) entwickelt Heintel die
Transzendentalphilosopfue „am Leitfäden der Sprache" und gewinnt
dabei nicht nur an Konkretion, sondern kann von hier aus auch die
Grenzen zeitgenössischer Programme der Sprachphilosophie aufweisen
, die sich in der intentio recta bewegen und deshalb die Tiefe
der Sprache in der Konstituierung der Wirklichkeit verfehlen. Heintel
versteht seine eigene Philosopie als „universale Sprachkritik", die alle
vorliegenden Sinnansprüche ernst nimmt, sie auf ihren Sinn und ihre
Grenze prüft und in eine systematische Ordnung bringt. In einer
unphilosophischen Zeit wird so der weite Motivationshorizont
bewahrt. Abschließend sei auf die wichtigen Aufsätze zum Universalienproblem
hingewiesen, die den ursprünglichen Sinn dieser
bedeutenden Lehre von der Simplifizierung durch den Nominalismus
befreien. In der Aufhebung der „ursprünglichen Synthese" von Formprinzip
und Stoff, von Subjekt und Objekt lieferte der Nominalismus
alle wesentlichen Fragen der Erkenntnis einem heillosen Dualismus
aus, der im unkritischen Positivismus (auch Glaubenspositivismus)
einerseits und im Existentialismus (auch in theologischer Gestalt)
andererseits bis heute verheerend wirkt. Heintels Neuinterpretation
des Universalienproblcms gestattet die schöpferische Aneignung der
europäischen Tradition und damit auch die philosophische Fundierung
der Theologie im Sinne einer präambula fidei auf dem höchsten
Reflexionsniveau unserer Zeit.

Eschwege Helmut üehrke

Teuwsen, Rudolf: Familienähnlichkeit und Analogie. Zur Semantik
genereller Termini bei Wittgenstein und Thomas von Aquin.
Freiburg-München: Alber 1988, 234 S. 8' = Symposion. Kart.
DM 68,-. .

Rudolf Teuwsen, der sich in der hier zu besprechenden Arbeit zum
ersteh Mal auch als Philosoph zu Wort meldet (nachdem er mit Artikeln
zur Lage des Journalismus an die Öffentlichkeit getreten ist), läßt
bei seiner Darstellung der im Titel genannten Theorien äußerste Sorgfalt
walten. Das zeigt sich sowohl in der Vielzahl der zur Vertiefung
der Wittgensteinschpn und Thomasschen Ansätze herangezogenen
Aspekte (11 -150) als auch in dem Versuch, ausgehend von „formalen
Gemeinsamkeiten" (159-166) beider Theorien zu einer eigenen,
minuziösen Einteilung der Analogiearten und deren Vergleich mit
dem Phänomen „Familienähnlichkeit" vorzudringen (178-208).

Das besondere Verdienst Teuwsens ist wohl vor allem darin zu
sehen, zwei vielfach oberflächlich gehandhabte sprachliche Theorien
mit unanfechtbarer Stringenz systematisiert und somit den Zugang zu
ihnen erleichtert zu haben. Dabei lallt vor allem der gelungene Versuch
, die Wittgensteinsche Auffassung vom „Sprachspiel" (als einem
von „Regelmäßigkeit" und Konventionalität gekennzeichneten
Geschehen) bei der Charakterisierung von Ähnlichkeiten hinzuzuziehen
, positiv ins Gewicht (vgl. 94-99). Dementsprechend überzeugend
wirken Teuwsens Vorbehalte gegenüber der (letztlich vergeblichen
) Suche nach eindeutigen, vermeintlich unwidersprüchlichen,
das Phänomen „Familienähnlichkeit" ein für alle Mal regelnden
Kriterien-ein Problem, das sich in jenen Auslegungen niederschlägt,
die versuchen, die Verwendung „genereller Termini" als familienähnlicher
Wörter zu förmalisieren (vgl. 81-94). Die Reflexion dieser
Spezialissima zeugt von einer profunden Kenntnis der Quellen und
bildet wohl nicht zufällig das längste Kapitel des Buches. Ebenso auf-