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Ausgabe:

1989

Spalte:

735-737

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Küchler, Max

Titel/Untertitel:

Schweigen, Schmuck und Schleier 1989

Rezensent:

Wolff, Christian

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Theologische Literaturzeitung 114. Jahrgang 1989 Nr. 10

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festigung zu „(göttlich) Ermächtigter" eine Anwendung auf charismatische
Wanderlehrer und von da aus (wieder in der Regel in einem
sekundären Schritt) auf Jesus gefunden habe.

Die Position von Kearns ist - das braucht nach der Darstellung
kaum gesagt zu werden - trotz des postulierten Anschlusses an Lietz-
mann und Colpe (8,600 und obwohl noch die traditionelle Gruppeneinteilung
in Worte vom leidenden, kommenden und gegenwärtigen
Menschensohn spürbar bleibt (erstere Gruppen entsprächen den beiden
Wandlungen des Traditionsgefüges, letztere dem Anhang), weithin
sehr eigenwillig. In sich ist sie folgerichtig entwickelt, doch, da von
Vorentscheidungen aus auf die neutestamentlichen Texte zugehend,
in hohem Maße hypothetisch. Den Rez. können die Begründungen
vorläufig nicht überzeugen.

Erlangen Martin Karrer

Küchler, Max: Schweigen, Schmuck und Schleier. Drei neutestament-
liche Vorschriften zur Verdrängung der Frauen auf dem Hintergrund
einer frauenfeindlichen Exegese des Alten Testaments im
antiken Judentum. Freiburg/Schweiz: Universitätsverlag; Göttingen
: Vandenhoeck & Ruprecht 1986. XXI, 538 S. gr. 8° = Novum
Testamentum et Orbis Antiquus, 1. Lw. sFr 98,-.

Mit der Veröffentlichung seiner 1986 in Freiburg (Schweiz) angenommenen
Habilitationsschrift beginnt der Vf. die von ihm in
Zusammenarbeit mit G. Theißen herausgegebene Reihe „NTOA",
die der Erhellung des kulturgeschichtlichen Hintergrunds des Neuen
Testaments dienen soll.

Im ersten Hauptteil werden vier neutestamentliche Texte untersucht
, in denen restriktive Vorschriften für die Frauen unter Hinweis
auf das Alte Testament begründet werden: lTim 2,8-15; I Kor
14,33b-36; IPetr 3,1-6 und IKor 11,3-16. - Für lTim 2,13 (Hinweis
auf Eva als die Zweiterschaffene) und IKor 14,34 (Gen 3,16 als
der nächstliegende Hintergrund) wird gezeigt, daß die ursprünglichen
Intentionen der alttestamentlichen Texte nicht aufgenommen sind,
sondern daß sich der Einfluß frühjüdischer, tendenziöser Auslegung
bemerkbar macht. Zu 1 Tim 2,14 (Eva als Einzig-Verführte) und 1 Petr
3,6 (Abraham als „Herr" Saras) wird auf den punktuellen Charakter
solcher Exegese verwiesen, die den alttestamentlichen Texten ebenfalls
nicht gerecht wird. - 1 Kor 11,3-16 wird mit besonderer Ausführlichkeit
behandelt. In V. 7 ist der Einfluß der rabbinischen Exegese
von Gen 1,26f, die Gottesebenbildlichkeit nur auf Adam zu beziehen,
deutlich, und die in V. 8f beigebrachten Argumente aus Gen 2 verfehlen
den Skopus der alttestamentlichen Geschichte. Die in V. 10
erwähnte exousia deutet K. als Zeichen der Macht des Mannes über
die Frau, der Schleier sei ein Zeichen dafür, daß die Frau einem Mann
gehöre und somit nicht mehr „zu haben" ist. Abgesehen davon, wie
dies den Korinthern verständlich gewesen sein soll, ist jedoch darauf
hinzuweisen, daß in den Belegen, die K. für seine Deutung beibringt
(S. 91) stets von der „Macht des Mannes" die Rede ist; absolut
gebraucht bedeutet RSlVTdte eigene Macht und Autorität.

Der umfangreiche zweite Hauptteil, der das frühjüdische Schrifttum
behandelt, soll zur Deutung der Wendung „wegen der Engel"
(IKor 11,1 Ob) beitragen. Hier gilt das Interesse vor allem der Wirkungsgeschichte
von Gen 6,1-4. In diesem Zusammenhang begegnen
subtile Überlegungen zur Traditionsgeschichte der Henochliteratur
unter ausführlicher Berücksichtigung auch der entsprechenden Qüm-
ranfragmente. Jeder, der speziell über diese Texte arbeitet, wird K.s
Untersuchungen mit Gewinn zur Kenntnis nehmen. In Hen6-ll
werden eine Schemichasa-Tradition, in der die Verantwortung noch
deutlicher als im biblischen Text den „Wächterengeln" beigemessen
wird, und eine jüngere, aus hellenistischer Zeit stammende Asael-
Tradition, nach der den Frauen von den Wächterengeln Kenntnisse
über die Anfertigung von Schmuck sowie ein Geheimwissen über die
Naturkräfte als Grundlage für Zauberei und Magie vermittelt werden,
unterschieden. - Im Zusammenhang der Überlieferung vom herrlichen
Noahknaben (Hen 106f) wird ein informativer Einblick in die

frühjüdische Noahtradition und -literatur geboten, wobei die ausführliche
Diskussion um 4Q Mess ar (dafür wird die angemessenere Bezeichnung
„4Q Noach ar" vorgeschlagen) besondere Erwähnung verdient
. K. erblickt hier (wie auch in Mt 1,19!) Belege dafür, „daß in den
Jahrhunderten um die Zeitenwende das Bild von der Frau, die möglicherweise
mit einem geist(er)haften Wesen sexuellen Kontakt hat,
präsent war" (S. 341). Die Noahtradition legt solche Schlußfolgerung
jedoch nicht nahe; denn sie ist einzig an der Person des Patriarchen
interessiert, und dieser stand nach biblischer Darstellung in zeitlicher
Nähe zum Geschehen von Gen 6,1-4, so daß bei Noahs Vater die
Erinnerung an jenen Vorfall verständlich ist.-Der die Kapitel 10-17
der Arbeit zusammenfassende Rückblick versteht die Rezeption von
Gen 6,1-4 als „die frühjüdisch-apokalyptischc Version des Sünden-
falls" (S. 396). Sollte K. damit Recht haben, dann sind die Frauen bei
diesem Geschehen freilich weit weniger negativ-aktiv gedacht als in
Gen 3. Wenn schließlich auf Grund der Allegorese im sog. Traumbuch
(Hen 83-90) auf die fremden Frauen „als wichtige Faktoren der
Perversion des jüdischen Lebens" geschlossen wird (S. 398), dann harmonisiert
das nicht mit der auf S. 317 vorgetragenen, auf das Traumbuch
bezogenen Interpretation: „Die Frauen spielen überhaupt keine
aktive Rolle ... Der Autor denkt anscheinend an jene politisch und
kulturell entscheidenden Männer seiner Zeit, die durch ihre von fremdem
Geist bestimmten Handlungen eine die alte Sitte und Moral stürzende
neue Lebensweise propagieren." In der Henochliteratur sind
und bleiben die Frauen Opfer der Göttersöhne, das Böse entsteht aus
der erzwungenen Verbindung.

In der paränetischen Verwendung des Stoffes durch die TestXIl ist
zwar „erstmals in der Rezeptionsgeschichte von Gen 6,1-4 und
Hen 6-19 die alte Geschichte zu einer bewußten verführerischen
Aktion der Frauen umgestaltet" (S. 442). Von einer Vereinigung mit
himmlischen Wesen ist aber ausdrücklich mit d*r Zeitangabe „vor der
Flut" (TestRub 5,6f) die Rede; es wird nicht vermerkt, daß so etwas
auch weiterhin möglich ist. Die Feststellung auf S. 456 „Die Frauen
begehen somit nicht nur schlimmsten .Ehebruch, sie bringen durch
Verzauberung auch die Engel zu Fall" ist jedenfalls in ihrem zweiten
Teil auch im Sinne des Vf. derTestXII nicht zu verallgemeinern.

In seinem Schlußteil konstatiert K. die Entsprechungen zwischen
den frühjüdischen Vorwürfen gegenüber den Frauen betreffs des illegitimen
Wissens sowie der durch Schmuck und Entblößung bewirkten
verführerischen Schönheil und den neutestamentlichen Forderungen
nach Schweigen, Schmucklosigkeit und Verschleierung der Frau, um
sodann die Frage nach dem Verständnis von IKor 11,10b aufzunehmen
. K. möchte seine Sicht, daß „mit großem erzählerischem Autwand
und spekulativer Anstrengung .. . der Mythos in die Gegenwart
hinein verlängert" worden sei (S. 482), für das 1. Jh. n. Chr. noch
durch zwei Qumrantexte erhärten. In 4Q 180 1,7-10 ist jedoch von
einem Verhalten der Frauen keine Rede, und der Text ist, wie die
Deutung zeigt, symbolisch verstanden. Der Beter von 4Q510(Shir-a)
1 will zwar die „Geister der Engel des Verderbens und Geister der
Bastarden" erschrecken, aber deren Gefährlichkeit gegenüber Frauen
wird nicht erwähnt.

Ein Versuch, die eingangs behandelten neutestamentlichen Texte
neu, d. h. positiv für die Frauen zu formulieren, schließt die Arbeit
ab.

K. hat in seinem flüssig und engagiert geschriebenen Buch die
Rezeptionsgeschichte von Gen 6,1-4 mit höchster Akribie nachgezeichnet
und dadurch einen wichtigen Beitrag zur Erschließung der
frühjüdischen Literatur und der Mannigfaltigkeit frühjüdischen Denkens
geleistet (auch wenn des öfteren frauenfeindliche Tenden/cii
überbetont werden). Der Ertrag für die neutestamentliche Exegese
scheint mir freilich geringer zu sein. Die Einsicht, daß die damalige
Verwendung des Alten Testaments den zeitgenössischen Auslegungsweisen
entspricht, ist Gemeingut. Auch ist nicht recht verständlich,
daß K. für seine Interpretation der neutestamentlichen Frauen~Texte
auf eine Position hinsichtlich der Verfasser- und Kontextprobleme
bewußt verzichtet (so S. 9 Anm. 2, S. 54f, S. 73f Anm. I). Schließlich