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Ausgabe:

1989

Spalte:

724-726

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Wehrle, Josef

Titel/Untertitel:

Prophetie und Textanalyse 1989

Rezensent:

Zlatohlávek, Martin

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Theologische Literaturzeitung 114. Jahrgang 1989 Nr. 10

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weiterhin dem Charaktereines praktikablen Studienbuches-trotz der
vielen neuen Informationen, die sie gibt (Rez. dankt auch für die Neufassung
der biblischen Namen nach heutiger ökumenischer Übereinkunft
!). So bringt auch diese Auflage die nötigen Voraussetzungen
mit, um zum festen Handwerkszeug aller Studentinnen und Studenten
zu werden, die sich in die alttestamentliche Textüberlieferung und
Textkritik einarbeiten. Das ist ihr auch nur zu wünschen.

Da diese Neuauflage formal gleich aufgebaut ist wie die bisherigen',
seien nur die Hauptkomplexe der Gliederung erinnert: „A Die Überlieferung
in der Ursprache" (3-56), „B Die Übersetzungen aus der
Ursprache" (57-101), „C Die übrigen Übersetzungen" (102-115), „D
Die Textkritik" (116-132). Noch folgende Hinweise seien von Rez.
gegeben: Der Neue Abschnitt ,,E Die theologische Bedeutung der
Textgeschichte und Textkritik" (133-134) lag textgleich schon vorher
als Anhang zum Abschnitt „D" vor. Die „Bildtafeln" sind unverändert
übernommen worden (135-231), der Begleittext aber dreimal
verändert (besonders interessant ist die Erwägung zur Verwendung des
Tetragramms in griechischen Handschriften im Zusammenhang mit
dem Papyrus Fouad 266 [192 ff)). Rez. bedauert, daß es an keiner
Stelle möglich war, neue Photographien abzudrucken. So bleiben
auch jetzt manche Hinweise wegen der Undeutlichkcit von Teilen der
Abbildungen kaum verifizierbar (vgl. 166f zum Text aus dem Wadi
Murabba'at). Rez. hätte sich auch die Dokumentation der Handschrift
llQPsa gewünscht, beurteilt diese allerdings anders als Vf.
(s. u.). Das „Literaturverzeichnis" ist deutlich erweitert (233-249),
ebenso das „Verzeichnis der Abkürzungen" (250-252). Die „Liste der
behandelten Sigla" differenziert wieder zwischen BHS und BHK und
wurde nochmals verbessert (253-258). Das „Sach- und Namensverzeichnis
" wurde natürlich überarbeitet (259-261), unter dem Stichwort
„Qumran" fehlt allerdings 1 lQPsa.

Rez. darf sich in dieser Besprechung auf zwei Themenkomplexe
konzentrieren: Aspekte der Überlieferungsgeschichte des hebräischen
Bibeltextes und Überlegungen zum Ziel textkritischer Arbeit. Dabei
knüpft Rez. an die wichtigsten neugefaßten Abschnitte an (16ff.
U6f).

Die Bibelhandschriften aus Qumran spiegeln offensichtlich keine
Sondersituation wider (siehe aber: 126), sondern die normale des
Judentums vorder Kanonentscheidung ab 100 n.Chr. Das heißt, daß
die erstaunliche Tatsache, daß verschiedenste (lokale oder gruppenbe-
zogenc) Texttraditionen (18 0 in dieser Gemeinschaft gemeinsam verwendet
wurden - worunter auch Texte begegnen, die evtl. einer Aufgliederung
in separate Traditionen noch voraufgehen (!) (so berührt
sich 4QSamb [4. 152] sowohl mit G, als auch mit MT2) -, generell für
das Judentum dieser Zeit anzunehmen ist3 Das bedeutet, daß das Verhältnis
der Juden vor 100 n. Chr. zu ihren heiligen Texten als spannungsvoll
angesehen werden muß: Es war erst einmal frei, weshalb
sich unterschiedliche Texttraditionen überhaupt erst herausbilden
konnten und dann parallel Verwendung fanden. Es war dann aber
auch einer zunehmenden Gebundenheit unterworfen, die vom
„Gesetz" ausging und von dort auf die Texte übergriff, die später als
„Propheten" und „Schriften" zusammengefaßt wurden.4

Rez. ist nun der Auffassung, daß 1 1 QPsa - ein Text, der ja noch aus
der Zeit vor der Kanonisierung stammt (!) - für den Komplex der
späteren „Schriften" beispielhaft den „Blick in den Vorgang der Ausprägung
einer Texttradition möglich" macht. Dieser Vorgang ist
sicher für die anderen Texte, die heute als „Gesetz" und „Propheten"
vorliegen, in früherer Zeit ähnlich vorzustellen. Deshalb sind für diese
Texte verschiedene Texttraditionen entstanden. Wäre die Kanonreduktion
nicht vorgenommen worden, hätten sich vielleicht auch für
den Psalter z. B. unterschiedliche, voneinander durch gruppeninterne
Verwendung oder lokale Bevorzugung relativ isolierte Texttraditionen
herausgebildet. Dazu ist es allerdings nicht mehr gekommen
(gegen: 41).5

Wenn diese Gedanken stimmen, dann ist es prinzipiell unmöglich,
einen „Urtext" zu erschließen (vgl. auch die Situation bei den Übersetzungen
, z. B.: 73-76). Natürlich sind die alttestamentlichen Texte

einmal erstmalig geschrieben worden. Diese Frühphase liegt aber vor
jeder textkritischen Möglichkeit (s. u.). Für diese Frühphase gilt ja
gerade der festgestellte ungebundene Umgang mit der Tcxtüberliefe-
rung. Deshalb kann das Ziel der Textkritik nicht mehr ein „ältester
Text" sein, sondern nur ein hebräischer Text, „der eine zuverlässige
Grundlage für die weitere Arbeit... bilden kann" (116). Dies ist entweder
die älteste Stufe einer (lokalen oder gruppenbezogenen) Texttradition
, wenn nur diese eine greifbar ist, oder die relativ am weitesten
in der Vergangenheit liegende Textform bei der Möglichkeit der
Unterscheidung verschiedener Texttraditionen, oder auch eine Textform
, die noch aller Aufspaltung in verschiedene Traditionen vorauf-
geht."

Natürlich bedarf eine solche Differenzierung der Einbeziehung
sprachlicher und sachlich-inhaltlicher Gesichtspunkte (128-1307)
und der Abgrenzung zu nächsten exegetischen Methoden (117. 122.
129). Zum letzteren würde Rez. vorschlagen, noch solche Textänderungen
der textkritischen Arbeitsmethode zuzuordnen, die in ihren
Konsequenzen textgeschichtlich belegt sind: „Textkritik geht erst
dann in Literarkritik über, wenn Textentwicklungen erhoben werden,
die sich nicht von Textstellen herleiten lassen, die textkritisch als
Varianten bezeugt sind."11 Solange also Textänderungen - die ihrerseits
allerdings in allen vorliegenden Handschriften belegt sind - von
Textvarianten her erschlossen werden-die es nur gibt, weil die Arbeit
am Text in einem konkreten Zusammenhang bis in die textgeschichtlich
belegte Phase reichte -, können solche Arbeitsschritte als textkritische
verstanden werden. Dadurch wird die Einheit der Literargeschichte
der Hebräischen Bibel erkennbar von der Phase, die die
Literarkritik erhellt, bis zu der, die die Textkritik auf Grund vorliegender
Quellen rekonstruiert. Auch hierfür ist 1 lQPsa ein Beispiel,
belegt diese Handschrift doch nicht nur textliche Abweichungen
gegenüber den heutigen masoretischen Psalmentexten, sondern sogar
eigenständige Texte als Bestandteile des Psalters, die später unterdrückt
wurden. Dadurch zeigt I 1 QPsa diese Einheit der Literargeschichte
Israels bis in jüngste Zeiten hinein.

Leipzig RaincrStahl

' Die erste und die vierte Auflage hatte L. Rost angezeigt. Vgl. zur vierten:
L. Rost, ThLZ99. 1974.334. Schon in dieser Auflage wurde die BHS mit einbezogen
. Übrigens sind jetzt die Wünsche von L. Rost berücksichtigt worden (16:
..Naqdanim").

2 R. Stahl. Die Überlieferungsgeschichte des hebräischen Bibcltextes als
Problem der Textkritik. Ein Beitrag zu gegenwätjig vorliegenden textgeschichtlichen
Hypothesen und zur K rage nach dem Verhältnis von Text- und Literarkritik
, masch., Jena 1978,65-69.

1 Vgl. R. Meyer, Bemerkungen zum litcrargeschichtlichcn Hinlergrund der
Kanontheorie des Josephus. Josephusstudien. Untersuchungen zu Josephus.
dem antiken Judentum und dem Neuen Testament, hrsg. von O. Betz.
K. Haackcr und M. Hengel, Göttingen 1974, 292, zum Phänomen I IQPsa als
solchem.

4 R. Stahl, Der Zirkel alttestamentlicher Textkritik, CV 25, 1982,59.

5 Ebd.

" A.a.O..60.

1 Hier könnte besonders die 18. Auflage von W. Gcsenius, Hebräisches und
Aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament, hg. von R. Meyer
und H. Donner, Berlin, Heidelberg, New York, London, Paris, Tokyo "198/
(1. Lfg.), als Arbeitsmittel genannt werden, die den Vergleich mit anderen
semitischen Sprachen neu aufarbeitet.

* A. a. O. (Anm. 2), 197. Gleichzeitig greifen auch viele Vorschläge im
Apparat von BHK und BHS eigentlich in den Bereich der Literarkritik vor, weil
sie die Basis derQucllen hinter sich lassen (I 17. Anm. 1).

Wehrte, Josef: Prophetie und Textanalyse. Die Komposition Obadja
1-21 interpretiert auf der Basis text linguistischer und semiotischer
Konzeptionen. St. Ottilien: EOS 1987. XIII, 408 S. 8" = Arbeiten zu
Text und Sprache im Alten Testament, 28. Münchener Universi-
tätsschriflen: Philos. Fakultät, Altertumskunde und Kulturwissenschaften
. DM 48,-.