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Ausgabe:

1989

Spalte:

700-701

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Schlaich, Klaus

Titel/Untertitel:

Studien zu Kirchenrecht und Theologie, I 1989

Rezensent:

Stein, Albert

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Theologische Literaturzeitung 114. Jahrgang 1989 Nr. 9

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von Wertvermittlung und helfender Begleitung aufmerksam zu
machen" (27). Damit hat Vf. die Problematik einer funktionalen
Trennung von sinngebend-wertsetzenden und diakonisth-helfenden
Aspekten der Seelsorge zu Recht ins Bewußtsein gebracht.

Zum Verständnis der aktuellen Problemlage wird nun im Schwerpunktkapitel
des Buches die „Genealogie der modernen speziellen
Seelsorgelehre seit dem 19. Jahrhundert" (31) vorgeführt. In außerordentlich
gedrängten, materialreichen Analysen zeigt Vf. den Wandel
von der Pastoraltheologie (C. Harms, W. Löhe, C. Palmer) als dem
Versuch, eine „christliche Gesellschaft durch das Amt zu rekonstruieren
" (40), zu einer wissenschaftlichen Poimenik, die Seelsorge zur
fachlich qualifizierten Berufsarbeit des Pfarrers werden läßt. In diesem
Zusammenhang beschäftigt sich--Vf. besonders mit C. J. Nitzsch's
„Theorie der eigenthümlichen Seelenpflege" (47ff). Durch die Einbettung
der Seelsorgelehre in eine allgemeine Bildungstheorie Herbartscher
Prägung (54) und der damit verbundenen Forderung nach
Ausbildung der Seelsorger gemäß dem Jeweils letzten Stande der
Wissenschaft" (58) habe Nitzsch die „Überführung der Poimenik in
die Gestalt einer Sozialwissenschaft" deutlich befördert (57). Zusammenfassend
stellt Vf. drei „Konstruktionsmerkmale" der „wissenschaftlichen
Poimenik" des 19. Jh. heraus, die er in Korrelation zu
Problemzusammenhängen gegenwärtiger Seelsorgelehre sieht: Orientierung
am „einzelnen" und seinen Bedürfnissen (74), Bemühung um
„wissenschaftliche Absicherung" der pastoralen Praxis mit einer notwendigen
Konzentration auf das „Machbare" (75) und die „Profes-
sionalisierung des religiösen Berufs": „Nicht mehr der sakramental
vermittelte ,character indelebilis' macht den Seelsorger aus; man
müßte eher von einem durch Ausbildung zu erwerbenden, Funktionen
zusammenfassenden .character personalis' sprechen." (76)

In der Folgezeit erfuhr die Theorie der „wissenschaftlichen Seelsorge
" in der von ihr bereits selbst vorgezeichneten Richtung eine
„Umprägung zur funktionalen Berufstheorie" (77). Das trifft nach
Vf. dann eben besonders auch für die „Beratende Seelsorge" zu
(109ff). Zu den Kennzeichen dieser Entwicklung zählt Vf. die
„Konjunktur fachlicher Kenntnisse" (77) mit ihrer „Psychologisierung
des lebensorientierenden Wissens" (79), die Dominanz einer
„medizinischen Anthropologie des .ganzen Menschen'" (107), die
eine „Orientierung von Seelsorgern an Fachärzten" nahelegt. Gerade
aus der Zusammenarbeit mit Ärzten, durch die „analytisch-funktionale
" Aufgabenstellung und die jetzt erfolgende Konzentration auf die
„Behandlung seelischer Leiden" zeichne sich die Suche „nach
Gemeinschaftsformen, nach Gestalten sozialer Integration" ab. So
aber werde unweigerlich „Seelsorge in Fürsorge" überführt, die ganze
„Eigendynamik der Spezialisierung" trete in Kraft, die nicht zuletzt
dahin führe, daß die seelsorgerliche Arbeit der Einrichtung von
„Sprechstunden und Beratungsstcllen"bedarf(102).

Die Pointe der ganzen Untersuchung findet sich dann in einer Überschrift
: „Beratende Seelsorge als sozialwissenschaftliche Gestalt einer
traditionellen ■Seelsorgelehre" (109ff). Also: „Die moderne wissenschaftliche
Poimenik . . . lenkt ihrer inneren Struktur nach zur organisatorischen
Gestalt einer traditionsgebundenen Seelsorge zurück, das
,Ganze* der diakonischen Organisation tritt als Deutungs- und Handlungsrahmen
bestimmend in Erscheinung." (113) Zwar gehe es in der
„Beratenden Seelsorge" um die „individuellen Bedürfnisse" des einzelnen
, aber doch so, daß hier vor allem die „sozial anerkannten, thera-
pielähigen Leiden" gemeint seien, „deren man sich annehmen kann im
Horizont einer Poimenik, die in ihrer wissenschaftlichen Objektivität
und methodischen Unparteilichkeit von Schuld und Vergebung im
Hinblick auf den einzelnen nicht mehr allgemeingültig zu reden weiß"
(113). „Traditionsgebunden" meint hier dann, daß „Beratende Seelsorge
" sich in einem feststehenden Rahmen diakonischer Hilfsorganisation
vollziehe. Sie gewähre eine Art von Hilfe, die Jeweils nur als Einordnung
denkbar" (120) erscheint. So sozial wissenschaftlich bzw. therapeutisch
eingegrenzte Seelsorge zeitige einen „Realitätsverlust", der den
Ruf nach „Rückwcndung zu den Lebensformen des pastoralen und
parochialen Alltags" (116) notwendig mache.

Schmidt-Rosts hier deutlich werdende Anfragen an die „Beratende
Seelsorge" wirken schwer. Sie sollten nicht vorschnell abgewiesen
werden. Eine weitere Therapeutisierung der Seelsorge wäre in der
Tat ebenso problematisch wie ein sich verstärkender Zug zur Pro-
fessionalisierung. Vf. hat schon recht: Seelsorge muß primär mutuum
colloquium von Schwestern und Brüdern in der Gemeinde sein. Nur
wie kann das neu in Gang kommen? Wäre es nicht denkbar, daß
gerade auch der gut ausgebildete (nicht bloß psycho-getrimmte) Seelsorger
in der Gemeinde jene Freiheit schafft und jene Fähigkeiten entbindet
, die seelsorgerlichc Begegnungen in der Gemeinde neuerlich
ermöglichen?

Aber hier liegt für mich das Hauptproblem der Arbeit. F"ür Vf. erscheint
es gar nicht denkbar, daß auch „Beratende Seelsorge" in
di'eser Richtung wirksam wetden kann. Sein Bild oder - um in der
Sprache dieses Buches zu bleiben - seine „Konstruktion" von der
„Beratenden Seelsorge" ist so fest, daß er es sich leisten kann, auf
Belege, die er für die historischen Epochen der Poimenik so sorgfältig
bereithält, hier weithin zu verzichten. In J. Scharfenbergs
„Einführung in die Pastoralpsychologie" (1985) oder R. Riess' „Sehnsucht
nach Leben" (1987) lassen sich doch unschwer auch gegenläufige
Tendenzen zu der vom Vf. wahrgenommenen Therapeutisierung
und Professionalisierung erkennen (um nur zwei Beispiele zu
nennen). Aber auch die Beschäftigung mit der Praxis „Beratender
Seelsorge" und mit ihren Ausbildungsformen wie z. B. einem KSA-
Kurs könnten doch zeigen, daß es hier durchaus auch darum geht, die
Kraft und die Chance des mutuum colloquium neu zu erfahren und zu
erlernen.

Die abschließenden „Anhaltspunkte" (I 17ff) für ein eigenes Seelsorgeverständnis
bringen wichtige Einsichten, denen man gern zustimmen
möchte. Allerdings unter dem Vorbehalt, daß die seelsorgerliche
Aufgäbe, „Lebensgewißheit aus dem Wort" zu vermitteln,
nicht in eine Alternative geraten sollte zu der notwendigen „Lebenshilfe
". Mir scheint, daß Vf. hier doch gegen seine eigene Intention
(S. 27!) beides wieder zu sehr auseinandernimmt. Von meinem gesellschaftlichen
und kirchlichen Hintergrund her stellt sich jedenfalls die
dringende Aufgabe, das, was man wohl unterscheiden sollte, doch
nicht zu trennen: Lebenshilfe und Lebensgewißheit, Beratung und
Seelsorge, kompetente Hilfe und das mutuum colloquium.

Auch wenn man den Intentionen des Vf. nicht immer folgen mag.
so steht doch fest, daß Schmidt-Rost nicht nur eine lehrreiche, sondern
auch eine die Diskussion um die Theorie der Seelsorge anregende
und fördernde Untersuchung vorgelegt hat.

Leipzig Jürgen Ziemer

Kirchenrecht

Schiaich, Klaus [Hg.]: Studien zu Kirchenrecht und Theologie I. Heidelberg
: Forschungsstätte der Evang. Studiengemeinschaft 1987-
240 S. 8° = Texte und Materialien der Forschungsstätte der Evang-
Studiengemeinschaft. Reihe A Nr. 26. DM 14,-.

Die Forschungsstättc der Evangelischen Studiengemeinschaft
(FEST) ist ein von den evangelischen Kirchen, den evangelischen
Akademien und vom evangelischen Kirchentag in der Bundesrepublik
getragenes Unternehmen. Zu dem weitgespannten Themenkreis-
der dort in einer Reihe von Kommissionen bearbeitet wird, gehört seit
1986 auch die Problematik „Kirchenrecht: Evangelische Theologie' •
Die gemischte Zusammensetzung der hierzu gebildeten Kommission
aus Lehrstuhlinhabern der evangelisch-theologischen Fakultäten-
aber auch solcher des Kirchenrechts an rechtswissenschaftlichen
Fakultäten ebenso wie geistlichen und rechtskundigen Mitgliedern
evangelischer Kirchenleitungen zeigt den hohen Anspruch dieses
Unternehmens. Das gestellte Ziel, ein ins Stocken geratenes inter-
läkultalives Grundlagengespräch wiederzubeleben, verbindet sich BW