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Ausgabe:

1989

Spalte:

698-700

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Schmidt-Rost, Reinhard

Titel/Untertitel:

Seelsorge zwischen Amt und Beruf 1989

Rezensent:

Ziemer, Jürgen

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Theologische Literaturzeitung 114. Jahrgang 1989 Nr. 9

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in diesem Ortswechsel seit dem II. Vaticanum ein neues Predigtverständnis
seinen Ausdruck gefunden hat. Dazu muß man vor Augen
haben, wie seit der Reformation einerseits und dem Tridentinum
andererseits es in beiden Großkirchen zu einseitiger Entwicklung im
gottesdienstlichen Geschehen gekommen ist: In den reformatorischen
Kirchen hatte die Neubewertung der Predigt einen radikalen Rückgang
der Abendmahlsfeiern im Gottesdienst zur Folge, den wir erst in
den letzten Jahrzehnten zu überwinden beginnen, während die katholische
Messe so einseitig im sakramentalen Geschehen ihren Schwerpunkt
fand, daß darüber die Wortverkündigung zweitrangig wurde.

In der Einleitung seines Buches geht der Vf. von der Frage nach der
neuen theologischen Bewertung der Predigt im Gottesdienstverständnis
seit dem II. Vaticanum aus. Dadurch wird ja die Kanzel so radikal
ausgeschaltet und ist das Streben nach einem anderen liturgischen
Ort für die Verkündigung veranlaßt. Wir dürfen danach aber nicht nur
die „Constitutio de sacra Liturgia" des Konzils befragen. Deren Einsichten
bedürfen einer Interpretation, wie sie die Ausführungsbestim-
mungen der Ritenkongregation und liturgischer Kommissionen der
deutschen Diözesen mehr oder weniger gegeben haben.

Ehe nun im Hauptteil der Arbeit systematische und pastoralliturgische
Untersuchungen zum Ort der Predigt (61-387) deren Wechsel
von der Kanzel in die Altarnähe begründen, bereiten im I. Teil (9-60)
historische, philosophische und dokumentarische Vorüberlegungen
eine fundierte Beantwortung des Problems vor. Man wird dem Vf. zugestehen
, daß er sich in diesem Teil auf den Aufweis wichtiger Entwicklungslinien
beschränkt. Auch im Hauptteil muß er sich gegenüber
den unterschiedlichen Veranlassungen zur Verkündigung auf die
Predigt im eucharistischen Gottesdienst konzentrieren. Hier tritt ja
das Wesen der Predigt am dichtesten in Erscheinung.

In den „Vorüberlegungen zum Ort der Predigt" (Teil I) erfolgt zunächst
ein geschichtlicher Einstieg. Darin werden die außerliturgische
Entstehung der Kanzel und deren Distanz zur Eucharistie einsichtig.
Dementsprechend hat schon die liturgische Bewegung der letzten
Jahrzehnte die Predigt in das Meßgeschehen hereingeholt. Bereits in
der Enzyklika „Mediator Dei" (1947) hat ja auch Pius XII. das Heilsgeschehen
in der-Messe auf den gesamten Akt der Liturgie ausgeweitet
- Diese Grundrichtung wurde für die Liturgiekonstitution des Kon-
z'ls vom 22. 11. 63 maßgeblich, was sich auch auf die Wertung der
fredigt auswirken mußte. Dies erweisen jedoch erst die nachkonzilia-
ren Dokumente zur Liturgie, wenn sie die Praxis im Sinn der Theorie
des Konzils definieren. Vf. geht einzeln auf diese Dokumente bis hin
^gar zum „Codex juris canonici" von 1983 ein. Daß der Ort einer
liturgischen Handlung nicht nebensächlich ist, wird in Kürze auch
Philosophisch und phänomenologisch erwiesen.

Der II. Hauptteil des Buches umfaßt „Systematisches und Pastoral-
'iturgisches zum Ort der Predigt". Sieben große Abschnitte charakterisieren
Wesen und Aufgabe der Homilie in ihrem heutigen Verständnis
und liturgischem Ort: Sie ist „Brücke zwischen Gott und Mensch"
")> „Brücke zwischen Wort und Sakrament" (2), „Brücke zwischen
Prophet. Priester und Hirt" (3), „Brücke zwischen Welt und Schrift"
Aus der Fülle dessen, was unter jedem dieser Abschnitte geboten
*,rd, kann ich hier nur weniges herausheben: In 1 geht es um die
regelmäßige Pflicht zur Predigt seit der Liturgiekonstitution. Ihr Charakter
ergibt sich aus dem Wesen der Liturgie; schon nach Augustin
sPricht der Hl. Geist nicht nur aus der Verlesung der Schrift, sondern
auch aus dem freiformulierten Wort des Predigers. Auch in der Meß-
Predigt will also Christus gegenwärtig werden, nicht aber gemäß dem
Tridentinum nur im eucharistischen Geschehen. Doch um in den
Gahmen der Liturgie hineinzupassen, muß die Predigt einerseits
ar>abatisch-doxologisches, andererseits katabatisch-soteriologisches
Gepräge gewinnen. Vf. sagt darum mit Recht: „Es war der entscheidende
homiletische Schritt des Konzils, als es sich entschloß, die Predigt
theologisch mit in die Liturgie hineinzunehmen." Von hier aus
ergab sich die Frage nach dem ihr angemessenen Ort. Gemäß 2 muß
der nachkonziliare Ort der Predigt gewisse Voraussetzungen erfüllen,
w°raus sich für die praktische Predigtarbeit Konsequenzen ergeben.

Für die Frage nach ihrem wesensgemäßen Ort spielt der Priestersitz
kaum eine Rolle. Der Ambo liegt dafür näher, zumal für ihn gewisse
Argumente sprechen, „die theologisch aus der Symbiose von Wort
und Sakrament denken" (152). Aus der syrischen Entwicklung könnte
sich das Bema als Verkündigungsort anbieten. Doch es verführt zu
einer Überbetonung der Schriftauslegung, die deren Brückenfunktion
zwischen Wort und Mahl beeinträchtigt. In 3 wird das Bild der Brücke
zur Besinnung auf die theologische Verantwortung des Homileten
vertieft. Von ihr handeln erst die nachkonziliaren Reformdokumente.
Danach ist der priesterliche Leiter der Messe in der Regel auch der
Homilet, der damit zugleich seinen prophetischen und seelsorgerlichen
Funktionen Raum geben kann. Dies unterbauen in diesem umfangreichen
Teil Konzilsbdschlüsse über das Bischofsamt und den
priesterlichen Dienst. Es ergibt sich daraus, daß auch der Homilet „in
persona Christi" diesen Dienst vollzieht. Deshalb wurde auch einst
die Verkündigung primär vom Priestersitz aus gehalten. Unter 4 wird
herausgearbeitet, wie nachkonziliare Dokumente zur sachgemäßen
Bezogenheit zwischen Welt und Schrift helfen wollen. Gegenüber der
Gefahr einer individualistisch orientierten Verkündigung muß der
Prediger neben dem Schrifttext die heutige Welt genauso grundlegend
werden lassen. Der „Sitz im Leben" muß in seiner Auslegung ganz
gegenwärtig sein. Die Kasualhomilie kann zum Paradigma solchen
Weltbezugs werden. Doch nie ist aus den Augen zu verlieren: „Nach
dem II. Vaticanum ist die Hl. Schrift der Angelpunkt, der die aktuelle
Verkündigung innerlich treibt" (305). Wenn sich die Aussagen des
Konzils demgegenüber auf die vermeintliche Objektivität der Schriftlesung
beschränken, erweist der Vf., wie schon diese gar nicht so objektiv
ist, „wie es dem Konzil und der Theologie lieb wäre" (328).
Durch seine Nähe zum Altar wie der Gemeinde empfiehlt sich heute
der Ambo für die Schriftlesung wie deren Aktualisierung in der Homilie
. Sein Ort wie seine Gestaltung haben dem Rechnung zu tragen. Vf.
geht hier auf dessen Geschichte ein, die ihn wesentlich in der östlichen
Kirche bezeugt, ohne seinen Ursprung eindeutig nachweisen zu können
. Am Schluß zieht der Vf. zehn Konsequenzen für den Ort der Verkündigung
(384-387). Danach ist der Ambo in bezug zum Altar zu
gestalten, weil er als Ort des gelesenen und gepredigten Wortes Gottes
dem Altar als dem Ort des gefeierten Sakramentes entspricht... An
dieser Stelle baut der Ambo mit an der Brücke zwischen dem Wort
Gottes und der Welt der Hörer, und sie führt weiter zum Sakrament
des Heils (387).

Ein Literaturverzeichnis (17 S.!) und ein Namensregister beschließen
ein Buch, das auch protestantischen Kirchen zu denken geben
sollte.

Bad Homburg William Nagel

Praktische Theologie: Seelsorge

Schmidt-Rost: Reinhard: Seelsorge zwischen Amt und Beruf. Studien
zur Entwicklung einer modernen evangelischen Seelsorgelehre seit
dem 19. Jahrhundert. Göttingen: Vandcnhoeck & Ruprecht 1988.
144 S. gr. 8' = Arbeiten zur Pastoraltheologie. 22. Kart. DM 38.-.

Diese Tübinger Habilitationsschrift bietet einerseits ein Stück Aufarbeitung
der Poimenik-Geschichte seit dem 19. Jh.; sie stellt andererseits
einen engagierten Beitrag zur Grundlagendiskussion gegenwärtiger
Seelsorgelehre dar. Dabei steht die kritische Auseinandersetzung
mit der „Beratenden Seelsorge" stets im Hintergrund. Vf. bestreitet
den „Anspruch der modernen Seelsorgelehre, sie repräsentiere die
sach- und zeitgemäße Auslegung der lutherischen Formel" (140 ,.per
mutuum colloquium et consolationem fratrum". Er selber möchte
Seelsorge verstehen als „Praxis wechselseitiger Verantwortung für ein
Leben im christlichen Sinn" (14); sie dürfe nicht primär zu sozialer
Hilfe werden, was er jedoch bei der „modernen diakonischen" bzw.
„beratenden" Seelsorge vermutet. Eine der Intentionen der Arbeit ist,
demgegenüber „auf die faktisch doch immer gegebene Verbindung