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Ausgabe:

1989

Spalte:

47-50

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Titel/Untertitel:

Dogmengeschichte und katholische Theologie 1989

Rezensent:

Hauschild, Wolf-Dieter

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Theologische LitcraturzciLung 1 14. Jahrgang 1989 Nr. I

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men einige Flüchtigkeiten in den notierten Interpunktionsabweichungen der
lateinischen und griechischen Texte. (Daß Rom 3.20 au vor dikaiollw.wiai ausgefallen
ist. mag jeder als Versehen erkennen, wohl auch, daß es Rom 3.26
dikaiounto statt dikaiountai heißen muß: um restzustellen, daß zu Rom 2.15
eine Vulgatalcsart. wie das Zitat aus Erasmus moniert, Genetive nach dem
Griechischen statt lateinischer Ablative hat. muß man in Editionen nachschlagen
, da die von Parier befragten Ausgaben sie nicht haben.) Sicht man.
daß einige der 1519 von Erasmus geänderten Stellen 1516 mit der Vulgata
gehen, später also ein anderes Textverständnis zwingend voraussetzen, schaut
man zu Rom 1.23 die von Parker zitierten Annotationes des Erasmus an und
beobachtet man. wie Reformatoren im Lateinischen am übernommenen Erasmustext
korrigieren, so wird man schwer sagen können, daß keine nennenswerten
Texldifferenzen bestünden.

Man hat keinen anderen Urtext gelesen, sondern anders. Als Text
spricht nicht erst der auszulegende Wortlaut, sondern schon seine
durch die gewählte Libersetzung erschlossene Sprachgcstalt. Ein sich
neu erschließender Text war es, und nicht ein apologetischer Bezug
auf ihn. der die Reformatoren bestimmte. Die Anleitung durch die
humanistische Philologie von Reuchlin und Erasmus muß als
gewinnbringend für die reformatorische Auslegung eingeschätzt
werden, als hilfreich die neue biblische Sprachgestalt bei beiden, die
von scholastischer Definitionslast nach der Vulgata frei ist.

Für den reformatorischen Umgang mit dem Text ist der Rhetorik
zur Auslegung des Römerbriefs durch Mcianchthon, Bullinger und
Calvin ein größeres Gewicht beizulegen, als Parker vermag. Die
katholischen Ausleger haben auf diese Methode kaum aus traditionalistischer
Anhänglichkeit verzichtet (S. 206). die Reformatoren aber
sie als hermeneutischen Schlüssel zum Römerbrief gebraucht, der
methodisch entfaltet selbst eine Methode zur Erkenntnis der ganzen
Schrift werde-so das Programm Melanchthons schon I 520.

Darum fragt sich, wie berechtigt die kontextlose Beschreibung des
Zeitraums von 1532 bis 1542 und der drei Passagen ist. Mit der immaT
nenten Beobachtung der drei Textstellen scheidet beispielsweise der
Umgang mit dem Gesetz für den Glaubenden Rom 6f und Rom 10
aus. mit der isolierten Zeitspanne fehlt der Hintergrund des 1522 von
Luther edierten Melanchthonkommentars von 1520. Er kennt in
einer eigentümlich humanistischen Lesart Luthers Vorlesung von
1515/1516, wandelt sie spiritualisierend ab und ist die überwundene
Voraussetzung zur reputativen und korrelativen Rechtfertigungslehre
des Kommentars von 1532. Mit der Grenze 1542 fallen Entscheidungen
im letzten Römcrkommentar Melanchthons von 1556 fort und in
dem von J. Brenz aus dem Jahr 1564. Dieses Werk bereitet exegetisch
die Konkordienformel vor. indem es zwischen den Positionen, wie sie
die Kommentare Melanchthons von 1522 und 1532 extrem markieren
, übergreifend vermittelt. Aus solchem Kontext käme in Sicht, wie
verschiedenartige Kommentare von 1532 bis 1542 nicht individuelle
oder konfessionelle Prägungen vorführen, sondern den Prozeß einer
sach- und schriftgemäßen Entfaltung der Gerechtigkeit Gottes in der
Epoche der Reformen und der Reformation vorantreiben. Entsprechende
Kriterien zeigt das Buch kaum: Ist Melanchthons Satz, daß
Gottes Zorn ein Opfer fordere, tiefempfunden ("a theology of the
heart". S. 185) oder ist er ein Rationalismus, der den Begriff der
Gerechtigkeit Gottes, wie ihn Luther auslegt, verdunkelt? Ist ein
Glaube, der Christus als Opfer ergreift, gegen die Frage gefeit (die
Parker nur Cajetan stellt, die Brenz aber an Mcianchthon brieflich
erwägt), ob er verdienstlich werde?

Stuttgart Stefan Strohm

Uber, Werner. Lehmann. Karl. u. Matthias Lutz-Baehmann [Hgg.]:
Dogmengeschichte und katholische Theologie. Würzburg: Echter
1985. 539 S. gr. 8". Lw. DM 48.-.

Seit Harnacks Zeiten sind katholische Arbeilen zur Dogmengeschichte
in dieser Zeitschrift häufig und gründlich, kritisch und
konstruktiv besprochen worden, wobei der Gründer sich am fleißigsten
betätigte. „Überblickt man die Gesamtzahl der einschlägigen
katholischen Buchverölfcnllichungcn. so hat man den Eindruck, daß

gut die Hälfte davon von der ThLZ rezensiert wird. Das ist, verglichen
mit anderen Rezensionszeitschriften, ein sehr hoher Anteil" (278). Zu
diesem Ergebnis kommt die gehaltvolle statistische Studie von Hermann
Josef Sieben (Ein halbes Jahrhundert katholischer Dogmen-
gesehichtsschreibung im Urteil der „Theologischen Literaturzeitung"
1876-1930. 275-302). Sie verdeutlicht exemplarisch, welch beachtliche
Leistungen seit Beginn des 20. Jh. katholischerseits in dieset
Disziplin erbracht wurden, die gemeinhin „bis vor wenigen Jahrzehnten
als eine Domäne evangelischer Theologen" galt (so die Hgg. im
Vorwort. 9: auch die Widmung des Buches an die großen Fachvertreter
H. Bacht. A. Grillmcier und A. Schönmetzer zu deren 75. Geburtstag
signalisiert das). Durch die Fülle der Forschungsbeiträge
dürfte sich heute eher eine Umkehrung der Situation ergeben haben
Auf jeden Fall kann man den vorliegenden Versuch, eine wissenschaftstheoretische
Bilanz zu ziehen und dogmengcschichtliclu
Grundsatzfragen, konzeptionelle Probleme sowie forschungsgeschichtliche
Aspekte zu erörtern, auch evangelischerseits nur als
wichtigen Beitrag begrüßen. Wenngleich sich hier die Problemlagi
anders darstellt, ist es doch hilfreich, angesichts der im Protestantismus
seit längerem offenkundigen Theorieschwäche und Produktionsstagnation
im Fach Dogmengeschichte einen Blick auf das fruchtbare
Feld des Nachbarn zu werfen. Die ökumenische Grundorienticruni
des Bandes erleichtert das: die Tatsache, daß die Vff. der 21 Beiträge
weitgehend sich durch dogmengeschichtliche Spezialforschungen unc
Monographien als Kenner der Materie ausgewiesen haben, komm1
der Grundsatzreflexion zugute.

Die epochalen Leistungen des Protestantismus für die Konstituic
rung der Dogmengcschichtsschreibung als moderner Wissenschaf
würdigt Karl Heinz Neufeld anhand von F. C. Baur, A. Ritsehl um
A. Harnack (Gebundenheit und Freiheit. Liberale Dogmenge
Schichtserforschung in der evangelischen Theologie, 78-96). Erstell
deren systematische Konzeptionen zutreffend dar. wobei er Harnack:
theologische Qualifizierung der Geschichte besonders betont un<
implizit deren Nähe zum katholischen Ansatz anklingen läßt. Ha
Harnack sich von diesem stets durch seine kritische Sicht der vorfind
liehen Kirche - und damit des Dogmas als einer Funktion von Kirchi
- abgehoben, so macht der Weg der beiden Konvertiten Pcterson un(
Schlier deutlich, daß eine evangelische Sicht des Verhältnisses vol
Wahrheit und Geschichte sich mit der katholischen verbinden läßt
wenn die Frage nach der Autorität der Kirche und des Dogmas positi'
beantwortet wird. Daß die Denkanstöße dieser Bonner Exegetcn lü
beide Konfessionen noch nicht ausgeschöpft sind, kann man der Dar
Stellung ihrer Auseinandersetzung mit Barth und Bultmann durcl
Werner Löser entnehmen (Das „bleibend Denkwürdige". Zum Dog
menverständnis Erik Petersons und Heinrich Schliers. 329-352)
Nicht zu Unrecht verweist Bernhard l.ohse darauf, daß seit 1945 „in
evangelischen Bereich eine intensive Neubesinnung auf das Wesen de
Dogmas und die Aufgabe der Dogmengeschichte eingesetzt" habe (99
und daß „die Differenz zwischen der Autorität der Dogmen für di'
katholische Dogmalik und der Bedeutung der Bekenntnisse für di1
evangelische Dogmatik wesentlich geringer ist, als es bei obcrfläch
licher Betrachtung den Anschein haben könnte" (104). Doch seit
kurzer Beitrag „Theorien der Dogmengeschichte im cvangclischci
Raum heute" (97-109), der einen präzisen Überblick über die For
schungsgeschichtc und den Problemstand gibt, macht eher deutlich
daß jene Neubesinnung eben doch nicht intensiv genug war. um di
innerprotestantischen Aporicn dieser Disziplin zu beheben, sondert
nur Ansätze hat erkennen lassen. „Die Stellung der Dogmen
geschichtc in der orthodoxen Theologie - am Beispiel Griechen
lands". von Gerhard Podskalsky, 110-1 16, angesprochen, trägt d
wenig zur Klärung bei.

Ein eindrucksvolles forschungsgcschichtliches Panorama zeichne
Leo Sehejfezyk: „Katholische Dogmengeschichtserforschung: Ten
denzen- Versuche - Resultate" (119-147), der zutreffend resümiert
..Dogmengeschichtsschreibung erweist sich in gewisser Weise als di
anspruchsvollste theologische Disziplin" (146). In der Tat kommt i