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Ausgabe:

1989

Spalte:

685-688

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Hardt, Tom G. A.

Titel/Untertitel:

Venerabilis et adorabilis eucharistia 1989

Rezensent:

Slenczka, Reinhard

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Theologische Literaturzeitung 114. Jahrgang 1989 Nr. 9

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bedrohlich erscheinen. Bei den harten Konfessionalisten im Katholizismus
fand er ebensowenig Gegenliebe.

Der umfangreichste Teil der Arbeit besteht in einer Werkanalyse.
Sie erschien als notwendig, um die innere Einheit der Schriften Klin-
ges zu belegen, die alle erst nach seinem Tode erschienen. Ausführlich
sind die zentralen Opera untersucht, deren zeitliche Einordnung nicht
leicht ist: Katechismus, Interimsschrift, De securitate conscientiae,
Summa doctrinae Christianae Catholicae, Loci communes. In einer
für den Leser ermüdenden Folge analysiert der Vf. unter den Gesichts-
Punkten Rechtfertigung, Gnade, gute Werke, Glaube, Gesetz und
Freiheit jeweils die einzelnen Schriften. S.o wichtig diese Analyse sein
mag, um möglichen Einschüben und inhaltlich-theologischen Veränderungen
durch die späteren Herausgeber auf die Spur zu kommen;
man hätte methodisch anders verfahren sollen! Zum Beispiel wären
anstelle wörtlicher Übersetzungen (oft nicht als solche gekennzeichnet
) oder Paraphrasen der Texte zusammenfassende und erklärende
Durchblicke denkbar gewesen. Um so dankbarer nimmt man die
Zusammenfassung am Ende des Buches (S. 268-273) zur Hand, in der
die Ergebnisse deutlich werden.

Der systematische Teil muß bei dieser Methode vieles wiederholen
. Wertvoll ist es, daß man Gesetz, Evangelium und freier Wille
als zentrale Themen der Theologie Klinges nachweisen kann. Für ihn
wird der Mensch um der Verdienste Christi willen von Gott angenommen
. Der Glaube spielt im Rechtfertigungsgeschehen eine zentrale
Rolle. Die Heiligung ist im Sinne einer Umwandlung verstanden.
Klinge hat in diesem Zusammenhang die Lehre von der doppelten
Gerechtigkeit als Erklärungsmodell herangezogen, die als Ausgleichs-
formel z. B. im Regensburger Buch diente und seine Bemühungen um
die Integration reformatorischer Anliegen in die katholische Position
zeigen. Den freien Willen bejahte er und sah ihn als Ermöglichungs-
grund des sittlichen Handelns an. Die guten Werke folgen aus der
Rechtfertigung des Menschen und sind, wie Klinge in vorsichtigen
"endungen formuliert, heilsnotwendig.

Dem Vf. gelingt es, Einflüsse Melanchthons nachzuweisen, die sich
Wegen des Themas nahelegten. In Klinges Theologie kann er eine Entwicklung
feststellen, welche man als „wachsende Katholisierung"
bezeichnen könnte. Zwar hätte man sich eine umgreifendere Einordnung
in den zeitgenössischen Kontext gewünscht, aber soviel kann
man schon sagen: Im Konzert der vielfältigen „Theologie des Übergangs
" von der offene Situation in der ersten Hälfte des 16. Jh. hin zur
Ronfessionalisierung ist Klinge, bei dem im Unterschied zu vielen
anderen Irenikern die Scholastik eine große Rolle spielte, eine interessante
Erscheinung, welche durch die vorliegende Arbeit mehr Profil
erhalten hat.

Freiburg Heribert Smolinsky

Hardt, Tom G. A.: Venerabiiis et adorabilis Eucharistia. Eine Studie
über die lutherische Abendmahlslehre im 16. Jahrhundert. Hg. von
J. Diestelmann. Aus dem Schwed. von S. Diestelmann. Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht 1988. VIII, 355 S. m. 5 Abb., 1 Farbtaf.
gr. 8" = Forschungen zur Kirchen-- und Dogmengeschichte, 42.
Kart. DM 58,-.

Außerhalb Skandinaviens ist das bereits 1971 erschienene schwedi-
sche Original dieses Buchs kaum zur Kenntnis genommen worden,
was freilich nicht allein an der Sprache liegen muß. Denn auch die
verdienstvolle Übersetzung kann nicht den denkerischen Anspruch
aufheben, den eine solche historische und dogmatische Untersuchung
*u Spezialproblemen der Abendmahlslehre und -praxis im 16. Jh. an
den Leser stellt. Natürlich lassen sich die Verstehensschwierigkeiten
'eicht mit der Bemerkung überwinden, diese Probleme seien doch
'ängst geschichtlich überholt. Allerdings trifft man damit zugleich auf
d'e Tatsache, daß sich in der gegenwärtigen Sakramententheologie
a"es vorwiegend um die Deutung der Einsetzungsworte dreht, während
deren Wirkung schon deshalb nicht bedacht wird, weil man sie
n'cht mehr als Herrenworte, sondern als Gemeindebildung ansieht.

Die Folgen einer mangelhaften Sakramentenlehre jedoch treten
unweigerlich in einer oft erschütternden Verwilderung der Sakramentspraxis
zutage.

Der lateinische Titel des Buchs verweist auf das dogmatische
Hauptthema; er enthält eine Anspielung auf die These XV aus
Luthers Schrift „Wider die XXXII Artikel der Theologisten zu
Löwen" von 1545, die genau lautet: „In Eucharistia sacramento vene-
rabili et adorabili est & exhibetur & sumitur vere & reipsa corpus &
sanguis Christi tarn a dignis quam indignis." (WA 54, 426, 130 Vor
allem durch die Schriften Georgs III. von Anhalt ist diese Stelle zu
einem Hauptbeleg für die Verteidigung der Sakramentsanbetung im
deutschen sowie über Laurentius Petri aber auch im schwedischen
Luthertum geworden. Unbestritten bleibt jedoch, daß die als Anbetung
verstandene Elevation der Abendmahlselemente von Luther
stets als Adiaphoron angesehen worden ist, nämlich als ein Stück,
„das an sich selbst frey und on fahr des Gewissens stehen oder liegen
kundte". (WA 54, 165, 231) Aber, so meint Vf.: „Das bedeutet nicht,
daß Luther das Verfechten der Adoration oder deren Verwerfung zulässige
Opiniones innerhalb der Kirche sein läßt. Unbedingt gilt, daß
niemand die Richtigkeit der Sakramentsanbetung dogmatisch bestreiten
darf." (244) Nicht die Begründung, sondern eben die Bestreitung
der Adoration ist das Thema des Buchs, und deshalb konzentriert sich
alles auf den großen Adorationsstreit von 1 558 ff.

Die über die theologiegeschichtliche Untersuchung hinausgehende
Hauptthese des Vf. aber ist, daß nicht allein die Kon kordien formel,
sondern zusätzlich deren fehlerhafte Kommentierung bis hin zur letzten
wissenschaftlichen Göttinger Ausgabe in den entscheidenden
Punkten bei der Bestimmung von „usus sacramenti" und bei der
Beurteilung der Sakramentsanbetung den Sieg der melanchthoni-
schen Richtung über das genuine Luthertum gebracht habe: „Damit
war der konkrete Sakramentsglaube des älteren Luthertums als mittelalterlich
verurteilt und abgewiesen und konnte nicht länger verteidigt
oder überhaupt verstanden werden. Seine Kultbräuche hörten auf.
Von den dahinterliegenden Vorstellungen kann angenommen werden
, daß sie in die Volksfrömmigkeit verwiesen wurden, um da ihren
Winterschlaf zu halten." (332) An mehreren Stellen des Buchs werden
editorische Korrekturen zur Weimarana vorgeschlagen (240 A 13;
251 A 73; 289 A 222 sowie 330fzu BSLK F. C. VII).

Zur Entfaltung und Begründung der These wird in den ersten sechs
Kapiteln des Buchs sehr weit ausgeholt sowohl in der Auswertung
von Quellen wie auch in der Auseinandersetzung mit herrschenden
Meinungen in der theologischen Forschung. Dabei tritt ein Gegensatz
zwischen Luther und Mclanchthon in großer Schärfe hervor. Aus der
Fülle der Argumente, die hier im einzelnen weder beschrieben noch
beurteilt werden können, seien zwei Punkte herausgegriffen:

Zunächst wird gezeigt, wie sich bei Luther selbst ein Wandel vollzogen
hat. Während er in seinen frühen Schriften in Übereinstimmung
mit der scholastischen Theologie (Thomas und Biel) die Naturen
in der Einheit der Person unterscheidet mit der Folge, daß immer
nur die Gottheit angebetet wird („Die Anbetung, die Christus als
Inkarnierter erhält, ist ganz identisch mit der, die immer gegenüber
der Gottheit geschieht", 51 A 60), beginnt die Änderung mit dem
„sermo de duplici i'ustitia" von 1519. Sie besteht darin, daß nunmehr
Inkarnation und Entäußerung unterschieden werden und alles auf die
„communicatio idiomatum" bezogen wird. „Damit hat", so resümiert
Vf. „Luther durch eine neue Bibelauslegung die Christologie
geschaffen, die allein die Möglichkeit der Allgegenwart des Leibes
Christi zu erkennen vermag." (56) „Das bedeutet, daß der Leib Christi
nicht mehr wie in der Scholastik im uneigentlichen Sinne anbetungswürdig
ist, so daß seine Anbetung von dem Verhältnis aus motiviert
wird, daß die Gottheit das eigentliche Objekt der Anbetung ist: Der
Leib Christi ist nun selbst anbetungswürdig." (57)

Der andere wichtige Punkt betrifft das Verhältnis von Christologie
und Sakramentenlehre. Es ist sicher nicht zu bestreiten, was jedoch
leicht übersehen wird, daß Luthers Gleichsetzung „panis est corpus
Christi" sowohl den Widerspruch der scholastischen Theologie (145)