Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1989

Spalte:

684-685

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Rickauer, Hans-Christian

Titel/Untertitel:

Rechtfertigung und Heil 1989

Rezensent:

Smolinsky, Heribert

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

683

Theologische Literaturzeitung I 14. Jahrgang 1989 Nr. 9

684

„um Fortführung der theologischen Debatte", aber ohne Erfolg. Jede
Seite versuchte, der anderen die Schuld für den Abbruch zuzuschieben
, was dann auch noch nach dem Ende des Gespräches in Streitschriften
seine Fortsetzung fand, die „Ausdruck blinden Hasses gegen
die eine oder die andere Partei" sind. Schon während der Verhandlungen
war es zu Tumulten in Kirchen gekommen, wobei die Mehrheit
der Bevölkerung der Stadt auf der Seite der Evangelischen stand.

Der Vf. fragt, ob 1557 nicht der „Wendepunkt zwischen Reformation
und Gegenreformation" anzusetzen sei. Wenn es auch schwer
sein dürfte, einen solchen „Punkt" wirklich zu finden, so ist doch richtig
, daß die Spaltung der Protestanten in Worms der römisch-katholischen
Seite einen erheblichen Auftrieb verschaffte: Ihr Selbstbewußtsein
wurde gestärkt, und publizistisch ließen sich diese Vorgänge auch
gut verwerten.

B. von Bundschuh hat dies alles ausführlich erzählt, wobei ihm eine
hervorragende Kenntnis der Archivalien zu bescheinigen ist. Aus seiner
Darstellung wird mehr als deutlich, daß Worms 1557 ein Fehlschlag
war, der neue Lösungen herausforderte.

Wolfenbüttel Gerhard Müller

Liebing, Heinz: Humanismus - Reformation - Konfession. Beiträge
zur Kirchengeschichte in Verb. m. I. Geyer u. U. Kühneweg hg.
von W. Bienert u. W. Hage. Marburg: Elwert 1986. 287 S. gr. 8' =
Marburger theologische Studien, 20. Lw. DM 48,-.

Erst im Jahresabstand konnte der aus Anlaß des 65. Geburtstages
von H. Liebing konzipierte Aufsatzband erscheinen, der einen großen
Teil des relativ schmalen Werkes des Tübinger und Marburger
Kirchenhistorikers vereint. Die bislang ungedruckte Dissertation von
1953 über „Die Schriftauslegung Sebastian Castellios" eröffnet den
Band (11-124). Die Hgg. weisen auf den Forschungsfortschritt hin,
betonen aber auch, daß Liebings Fragestellung und Ergebnisse keinesfalls
gegenstandslos geworden sind. Die moralisch verstandene , justi-
tia' als Wesen des Christentums erweist sich als hermeneutisches
Materialprinzip Castellios (86). Im Gegenentwurf zur imputativ verstandenen
Rechtfertigungslehre der Reformatoren definiert Castellio
die Gerechtigkeit, „die Christus den Menschen durch sein Beispiel wie
durch seinen Impuls (,Geisf) gibt", als effektiv (122). Bei aller Eigenständigkeit
(u. a. Vernunftgebrauch, pädagogische Aufgabe), lassen
diese Gedanken Castellios eine gewisse strukturelle Ähnlichkeit zu
Vorstellungen im Kreise frühreformatorischer alternativer Denker
wie T. Müntzer (z. B. 123: Die Gerechtigkeit als Werk Christi, die
durch sein Vorbild und seinen Geist gegeben wird und gerechtes Handeln
ermöglicht). Bereits die Dissertation zeichnet sich durch das
nicht häufig anzutretfende Merkmal aus. das auch für die Aufsätze
gilt, durch einen gut lesbaren Stil. Von den zehn Aufsätzen und Vorträgen
sei auf zwei besonders hingewiesen. Die Bedeutung der Rhetorikkenntnis
für die Kirchengeschichtsschreibung demonstriert Liebing
in seiner Zürcher Gastvorlesung von 1967 über „Perspektivische
Verzeichnungen. Über die Haltbarkeit der fable convenue in der Kirchengeschichte
" (127-146) an den Beispielen „finsteres Mittelalter"
und „Überwindung der Aufklärung". Die Zerstörung solcher Klischees
gehört nach Liebing zur bleibenden Aufgabe der Kirchengeschichtsforschung
, zu ihrer störenden Funktion innerhalb der
Theologie (Ebeling). In seinem Festschriftbeitrag für H. Rücken von
1966 behandelt Liebing „Die Ausgänge des europäischen Humanismus
" (147-176). Er zeichnet die Begegnung zwischen Humanismus
und Reformation nach, durch die sich die historische Relevanz des
Humanismus erfüllte. Das „Grundproblem der europäischen Geschichte
, die Frage nach dem Verhältnis von Glauben und Bildung"
war „aus der Schule ins Leben zurückgeholt" worden (162).

Wo sich der Humanismus der Bekenntnisfrage stellte, kam es zu
einem konfessionellen Ausgang der humanistischen Bewegung: „Der
Ausgang führte in die Schule, in die Schule zurück, sofern das alte
vitae, non scholae nun im Sinne von vitae per scholam verstanden
werden muß" (158). Der unkonfessionelle Humanismus (Frankreich,

Niederlande, England, Venedig) „verzichtete auf die Schule und auf
das hohe Maß an Dauer, an Stabilität und starb als selbständige Größe
aus" (160). In der Frage „Glaube und Bildung" blieb über diesen doppelten
Ausgang hinaus das Anliegen des Humanismus erhalten. Die
nur als „Anregung und Diskussionsgrundlage" (148) gedachte Skizze
ist bei allem Forschungsfortschritt im einzelnen in den letzten zwei
Jahrzehnten noch nicht durch eine umfassende Darstellung ersetzt
worden.

Die weiteren Beiträge: Sola Scriptum - Die reformatorische Antwort auf das
Problem der Tradition (163-176); CA XVI De rebus civilibus - Ordnungen für
den Menschen: Unterrichtung der Gewissen im Gebrauch christlicher Freiheit
(177-190); „Propric" und „translate", Erwägungen zur Hermeneutik der konfessionellen
Auseinandersetzung (191-203); Kirche und Konfessionen bei
Ferdinand Christian Baur (205-215); Ferdinand Christian Baurs Kritik an
Schleiermachers Glaubenslehre (217-232); Historisch-kritische Theologie.
Zum 100. Todestag Ferdinand Christian Baursam2. Dez. 1960 (233-246); Zur
Frage des päpstlichen Primats und des obersten Lehramtes in der katholischen
Kirche (247-267); Die Marburger Theologische Fakultät im Preußischen
Staate (261-275). Ein Personenreg. und die Bibliographie Heinz Liebing
(285-287) schließen den von den Hrsg. sorgfältig betreuten Band ab. Druckfehler
: 173 Anm.39WA 18.673, 15-33.

Berlin Siegfried Bräuer

Dogmen- und Theologiegeschichte

Rickauer, Hans-Christian: Rechtfertigung und Heil. Die Vermittlung
von Glaube und Heilshandeln in der Auseinandersetzung mit der
reformatorischen Lehre bei Konrad Klinge (1483/84-1556). Leipzig
: St. Benno 1986. XXII, 273 S. gr. 8" = Erfurter Theologische
Studien, 53. Kart. M 25,50.

Der Erfurter Franziskaner Konrad Klinge (Clinge) fand in der
neueren reformationsgeschichtlichen Forschung keine große Beachtung
. Symptomatisch dafür ist es, daß bei der zweiten Auflage des
LThK keine eigenständige Bearbeitung des entsprechenden Stichwortes
möglich war, sondern der alte Artikel von Nikolaus Paulus aus
den 30er Jahren leicht modifiziert übernommen wurde. Dabei verdient
Klinge durchaus das Interesse des Historikers. Als katholischer
Prediger im protestantisierenden Erfurt wirkte er jahrzehntelang im
engsten Kontakt mit der reformatorischen Theologie, und seine
Werke, die man einer zweiten Phase des literarischen Streites um die
Reformation zurechnen kann, spiegeln eine katholisch iranische
Richtung, welche die Anliegen ihrer Gegner verstehen wollte. Es ist
kein Wunder, daß Klinge 1590 im Zuge der Gegenreformation ebenso
wie Erasmus, Witzel, Wild u. a. auf den Index gesetzt wurde.

Vf. hat das Verdienst, aus dem literarischen Werk des Franziskaners
mit „Rechtfertigung und Heil" ein zentrales Thema der Reformationsgeschichte
herausgegriffen zu haben. Die Arbeit ist in zwei großen
Teilen durchgeführt: 1. Das Leben und die Werke Konrad Klin-
ges (S. 7-172); 2. Die Begründung der Hcilsnotwendigkeit sittlich
guter Handlungen (S. 173-273). Ihr „Ziel... ist es aufzuzeigen, mit
welcher theologischen Begründung Klinge in der Auseinandersetzung
mit der reformatorischen Auffassung die Heilsnolwendigkeit sittlichen
Handelns lehrt" (S. 2).

Klinge, 1483/84 geboren und* somit gleichaltrig mit Luther,
erscheint quellenmäßig faßbar ab 1518 als sächsischer Franziskaner.
In Erfurt promovierte er 1520 zum Doktor der Theologie, wurde Leiter
des dortigen Generalstudiums des Ordens und Professor an der
Theologischen Fakultät. Den reformatorischen Neigungen im Erfurter
Kloster dürfte er anfangs abwartend oder wohlwollend gegenübergestanden
haben; erst im Laufe der Zeit wurde er zum klaren Gegner
der Reformation. Ab 1525/26 erweist er sich als einer „der führenden
Köpfe der katholischen Partei in Erfurt" (S. 16). Klinge war bis zu seinem
Tode 1556 in Erfurt in ständige Auseinandersetzungen verwik-
kelt. Sein Versuch, die reformatorischen Anliegen aufzugreifen und in
die katholische Theologie zu integrieren, ließ ihn für Flacius lllyricus

I