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Ausgabe:

1989

Spalte:

676-677

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Yarbrough, O. Larry

Titel/Untertitel:

Not Like the Gentiles 1989

Rezensent:

Reinmuth, Eckart

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Theologische Literaturzeitung 114. Jahrgang 1989 Nr. 9

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Anlaß des Römerbriefes befassen. Entgegen einer Tendenz, die von
Karl Barth bis Ernst Käsemann die Auslegung des Römerbriefes
beherrschte, ist Wedderburn mit der älteren Forschung seit F. C. Baur
der begründeten Überzeugung, der Römerbrief werde als eine allgemeine
Lehrschrift der zentralen Gedanken des paulinischen Evangeliums
mißverstanden und müsse auch im einzelnen im Blick auf seine
konkreten Abfassungsverhältnisse interpretiert werden. Der Vf. ist
mit der einschlägigen Literatur vor allem der jüngeren Zeit gut vertraut
und führt sogar, was nicht unproblematisch ist, seine eigenen
Einsichten im allgemeinen mehr im kritischen Gespräch mit anderen
Ansichten vor als durch eindringliche Analysen des Römerbriefes
selbst.

Wedderburn geht von der Integrität des Briefes aus. Zwar beobachtet
er manche der solcher Integrität entgegenstehenden Phänomene
richtig, aber da ihm nicht einleuchtet, daß ein Redaktor mehrere
Briefe zusammengefügt haben könnte und sollte, hält er lieber an der
Einheit des Schreibens fest. Die Widersprüche in den Rahmenstücken
des Briefeingangs und -ausgangs meint er erklären oder doch verstehen
zu können; die Dubletten des Briefformulars beachtet er nicht.

Unter der Voraussetzung der Integrität des Briefes gibt Kap. 16 zu
erkennen, daß Paulus über die römische Christenheit gut informiert
gewesen sein muß, und Kap. 14-15 zeigen, daß sich in Rom zwei
christliche Gruppen gegenüberstehen, deren eine hinter Paulus
zurückbleibt, wenn sie die Tora für weiterhin verbindlich hält,
während die andere über Paulus hinausgeht, wenn sie diese judaisie-
rende Gruppe nicht in der Gemeinde dulden will. Paulus versucht,
zwischen diesen beiden Gruppen der ,Starken' und der .Schwachen'
zu vermitteln; denn er fühlt sich den Römern nicht nur als Apostel
verpflichtet, sondern er benötigt auch eine einmütige, ihm verbundene
Gemeinde, damit seine in Kap. 15 geäußerten Bitten um
Rückendeckung bei der Kollektenreise nach Jerusalem und um
Unterstützung seiner Spanienreise nicht ins Leere gehen sollen.
Damit sind einige Anlässe - der Vf. legt Wert auf den im Titel seines
Buches gewählten Plural - für den Römerbrief bereits genannt.
Kap. 12-13 bereiten - eine im Prinzip richtige, im einzelnen problematisch
durchgeführte Beobachtung - Kap. 14-15 bereits konkret
vor.

Diese im wesentlichen überzeugenden und wenig umstrittenen
Ansichten verlangen nun freilich unter der Voraussetzung, daß der
Römerbrief einheitlich aus seinen konkreten Abfassungsverhältnissen
zu verstehen ist, Kap. 1-11 dementsprechend zu erklären. Den
Kap. 9-11 wendet der Vf. nur wenig Aufmerksamkeit zu. Er sieht in
diesem Abschnitt die beiden Gruppen von Kap. 14-15 angesprochen.
Gegenüber den ,Schwachen' rechtfertige Paulus seine Heidenmission,
während er die .Starken' vor antijudaistischer Überheblichkeit warne.
In der Tat ist die doppelte Hinsicht in 9,1-11,10 einerseits und in
11,11 ff andererseits (wie bereits in 3,1-4, worauf Wedderburn richtig
hinweist) nicht zu verkennen, doch begegnen in Kap. 9-11 weder die
Gruppen von Kap. 14-15 noch nimmt Paulus überhaupt auf Verhältnisse
in Rom direkt Bezug, und er wehrt sich auch nicht gegen judai-
stische, sondern gegen jüdische Polemik, eine von Wedderburn beiseite
geschobene Beobachtung.

Kap. 1-8 stellt Wedderburn - zu einseitig - unter das Stichwort
,Gerechtigkeit Gottes'. Paulus greife dieses Stichwort auf, weil die
schwachen' Judenchristen in Rom ihm vorgeworfen haben, sein
Evangelium verletzte die göttliche Gerechtigkeit. Gegen diesen Vorwurf
verteidige sich der Apostel; der Hauptteil des Römerbriefes ist
also wesentlich apologetisch konzipiert und richtet sich einseitig an
die ,Schwachen', wenn Paulus auch "with at least half an eye" (139)
zugleich die .Starken' im Blick haben soll. Wedderburn läßt sich vor
allem von einem eigenartigen Verständnis der Bemerkung in 1,16a
leiten: Die Feststellung, Paulus .schäme' sich des Evangeliums nicht,
soll auf den Vorwurf reagieren, Paulus habe allen Grund, sich zu
schämen, denn seine Botschaft sei "indead shamefull" (104); und
zwar lautet der Hauptvorwurf der römischen Judaisten, die Preisgabe
der jüdischen Vorzugsstellung durch den paulinischen Universalismus
bedeute, Gott als „ungerecht" hinzustellen. Dazu führe die
Preisgabe des Gesetzes zu einer Unmoral, die gleichfalls Gottes
Gerechtigkeit in Frage stelle.

Man sieht: Wedderburn bewegt sich relativ eng, freilich unausdrücklich
, auf den schon von Baur beschrittenen Wegen, der in seiner
Untersuchung „über Zweck und Veranlassung des Römerbriefes"
(1836) den Römerbrief gleichfalls „von hinten aufrollte" und Paulus
die Meinung der römischen Judenchristen zurückweisen ließ, es sei
ungerecht, wenn der Apostel den Heiden vollen Anteil am Heil zuspreche
, solange Israel nicht zum Glauben an Jesus Christus gefunden
habe. Der gegen Baur vor allem erhobene Einwand, Paulus rede nicht
Juden- sondern Heidenchristen an, trifft Wedderburn nicht, der im
Rahmen eines sich heute herausbildenden Konsensus die „Judaisten"
in Rom für Heidenchristen hält, die als Gottesfürchtige der Synagoge
angehörten und auch als Christen ihre jüdischen Gewohnheiten
beibehalten wollten. Andere Einwände gegen die von Wedderburn
vorgetragene Sicht bleiben indessen gewichtig: Die Darlegungen des
Paulus in Kap. 1-5 sind in keiner Weise apologetisch, sondern assertorisch
; das Stichwort „Gerechtigkeit Gottes" wird - man vergleiche
nur den Galaterbrief- von Paulus selbst eingeführt, stammt aber nicht
von den römischen „Judaisten"; die Apologetik in Kap. 6 und 7 sowie
in Kap. 9 richtet sich nicht an judenchristliche, sondern an jüdische
Adressaten; die Gruppen von Kap. 14-15 treten in Kap. 1 -8 nirgendwo
in den Blick; überhaupt bezieht Paulus sich in Kap. 1 -8 anders als
in Kap. 14-15 nie ausdrücklich auf eine spezifisch römische Situation
, und die von ihm zusammengestellten Texte sind auch nicht im
Blick auf die römische Christenheit konzipiert.

Darüberhinaus muß man fragen, warum Paulus, der von sich aus
und unaufgefordert nach Rom schreibt, jenen Anlaß seines Schreibens
nicht, wie es angemessen gewesen wäre, den Lesern mitteilt, damit sie
seine Gedanken richtig verstehen. Nur eine Untersuchung zum
Römerbrief, die dieser Frage nicht ausweicht - was freilich bei den
Auslegern die Regel ist-, kann methodisch befriedigen.

Die Fragestellung der vorliegenden Studie ist zu begrüßen. Ein hinreichendes
Verständnis des Römerbriefs - diese Erkenntnis setzt sich
langsam wieder durch - ist in der Tat nur zu erzielen, wenn man weiß,
warum Paulus an die römischen Christen und in ihre konkrete Situation
hinein das schreibt, was wir im Römerbrief lesen - und warum er
den Anlaß seines Schreibens nicht nennt. Eine überzeugende Antwort
auf diese Fragen enthält auch Wedderburns Untersuchung nach
meinem Urteil nicht.

Berlin (West) Walter Schmithals

Yarbrough, O. Larry: Not Like the Gentiles. Marriage Rules in the
Letters of Paul. Atlanta, GA: Scholars Press 1985. XX, 150 S. 8'
= SBL. Dissertation Series, 80. Kart. £ 11.95; Lw. £ 17.95.

Die vorliegende Dissertation (Yale-Universität 1984, Betreuung
Wayne A. Meeks) zielt auf das Verständnis der Weisungen in
IThess 4,3-8 und lKor7 ab. Zunächst werden die Moralauffassungen
zu Ehe und Sexualität im jüdischen (7-29) sowie im hellenistisch
-römischen Bereich (31-63) dargestellt. Bei der Sichtung der
„Apokryphen und Pseudepigraphen" (8-18; hier werden auch Philo
und Josephus referiert) geht Y. vor allem dem Verbot der ehelichen
Verbindung mit Nichtjuden nach; er stellt seine Bedeutung für die
Diaspora-Situation heraus und sieht in ihm einen entscheidenden
Aspekt für die Interpretation von 1 Thess 4,3-8. In besonderer formaler
wie inhaltlicher Nähe zu diesem Text werden Tob 4,12;
TestLev 9,9-10 gesehen (vgl. I8,69f, 77, 86). Die Rabbinen (18-29)
legen das Gewicht ihrer Weisungen mehr auf die Normierung des
Alltagslebens, während die Weisungen der „Apokryphen und Pseudepigraphen
" die Identität der Gemeinde in einer als unmoralisch
empfundenen Welt stärken wollen (28). Der Ertrag des Überblicks
über den hellenistisch-römischen Bereich bleibt zunächst offen; einerseits
wird auf die hier tatsächlich vorauszusetzende Unsittlichkeit hingewiesen
, andererseits wird der vielfach belegbare Wunsch nach Stabi-

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