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Ausgabe:

1989

Spalte:

674-676

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Wedderburn, Alexander J. M.

Titel/Untertitel:

The reasons for Romans 1989

Rezensent:

Schmithals, Walter

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Theologische Literaturzeitung 114. Jahrgang 1989 Nr. 9

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Sinne auf S2 zurück. Durch diese Interaktion wird eine bestimmte
Isomorphie zwischen beiden Subjekten erzeugt. Hierdurch erhalten
Sl und S2 und der ganze metaphorische Ausdruck eine neue Bedeutung
, dies es vor der Metaphernbildung überhaupt noch nicht gegeben
hat. Diese neue Bedeutung ist nicht reduzierbar. Dies ergibt sich aus
dem diaphorischen Aspekt von S2 und aus der Tatsache, daß der
Interaktionsprozeß theoretisch nie an ein Ende kommt.

In einem dritten Schritt gelangt der Vf. folgerichtig zur Analyse der
kognitiven Funktion der Metapher. Im streng positivistischen Sinn
haben eigentlich nur Aussagesätze eine solche Funktion. Aber wenn
die Interaktionstheorie stimmt, kommt man nicht umhin, der
Metapher eine kognitive Funktion eigener Art zuzugestehen. Diese
besteht darin, auf noch nicht wahrgenommene Isomorphien zwischen
den zwei Subjekten der Metapher hinzuweisen und somit, zu einer
neuen Einsicht zu führen. Hiermit verbunden ist die Aufforderung,
das bisherige sprachlich-begriffliche System gemäß den Erfordernissen
dieser neuen Einsicht zu modifizieren und umzugestalten. Je
erfolgreicher eine Metapher diese Funktion ausübt, um so mehr wird
sie in den normalen Sprachgebrauch aufgenommen. Die innovativen
und die unvollendeten Metaphern befinden sich als suggestive performative
Äußerungen am Beginn bzw. in der Mitte dieses Prozesses, die
Klischees als konstatierende performative Äußerungen jedoch an
seinem Ende. Es ist klar, daß diese Sicht der Dinge eine konstruktivistische
epistemologische Position impliziert, die aber, wie der Vf.
betont, mit einem Sprache-Realität-Realismus auf rationaler com-
mon-sense-Basis vereinbar ist.

Als nächste Aufgabe obliegt es nun dem Vf., zu untersuchen, ob die
NT-Gleichnisse und Parabeln als Interaktionsmetaphern verstanden
Verden können. Das forschungsgeschichtliche Material drängt in
einer eindeutigen Tendenz in diese Richtung. Während am Anfang
bei Jülicher die strikte Auffassung herrscht, daß Gleichnisse und
Parabeln keine Metaphern, sondern erweiterte Vergleiche seien, verkehrt
sich über Dodd und Wilder bis hin zu Funk, O. Via, Crossan,
McFague, Te Seile, Weder u. a. diese Ansicht m ihr Gegenteil. Allerdings
kritisiert der Vf. bei aller Zustimmung an den letztgenannten,
daß sie keine hinreichende Analyse der Metapher, wie er sie vorgenommen
hat, vorlegen und auch keinen befriedigenden Vergleich
zwischen Metapher einerseits und NT-Gleichnis bzw. Parabel andererseits
vornehmen.

Letzteres unternimmt der Vf. gegen Ende seines Buches, an
Hand der berühmten Metapher von Pascal „Der Mensch ist nicht nur
e'n Schilfrohr, das Schwächste der Natur, sondern er ist ein denkendes
Schilfrohr" und des Gleichnisses Mt 13,33 und der Parabel
Mt 20,1-15. Er kommt zum Schluß, daß alle drei Beispiele in ihrer
allgemeinen funktionalen Struktur als Interaktionsmetaphern zu
verstehen sind. Diese Sicht der Dinge liefert zusätzlich noch die theoretische
Untermauerung der Jülicherschen Unterscheidung von
Gleichnissen, Parabeln und Beispielerzählungen. Hinsichtlich der
ollgemeinen kognitiven Struktur der drei Texte gelangt der Vf. zu
ähnlichen Schlußfolgerungen: Gleichnis und Parabel, als Interak-
tionsmetaphern verstanden, stellen uns in S2 und seinem explizit-
'mpliziten Komplex eine neue Ordnung vor die Augen. Sie laden nun
dazu ein, Sl („das Reich Gottes") in interaktionistischer Weise als
'somorph hinsichtlich dieser neuen Ordnung zu begreifen. Die Parabel
betont darüber hinaus die gegensätzliche Spannung zwischen
dieser neuen Ordnung und der alten Ordnung dieser Weltzeit. So
Werden neue Einsichten geschaffen. Diese gipfeln in der Aufforderung
, das gewohnte sprachlich-begriffliche System nach ihren Erfordernissen
zu modifizieren und umzugestalten. Je nach Erfolg bleiben
die Gleichnisse nun kognitiv suggestive Sprachhandlungen (keine
Sprachereignisse) oder werden zu konstatierenden performativen
Äußerungen.

Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse analysiert der Vf. schließlich
die spezifische funktionale Struktur und kognitive Funktion der
NT-Gleichnisse. Er geht davon aus, daß dem Interaktionsmechanismus
auf logisch-semantischer Ebene ein Interaktionsmechanismus

auf kommunikativer (pragmatischer) Ebene korrespondiert. Die
Interaktion erfolgt hier zwischen Verkündiger und Hörer der Gleichnisse
und Parabeln. Sie hat zur Folge, daß die Gleichnis- bzw.
Parabelerzählung das Reich Gottes nicht nur neu beschreibt, sondern
seine neue Ordnung performativ konstituiert und die Hörer zur Entscheidung
für oder gegen diese Ordnung zwingt. Vier Handlungsabläufe
sind nun möglich. Der Hörer kann konstruktiv und positiv die
Gleichnis- bzw. Parabelerzählung aufnehmen oder negativ und
destruktiv ablehnen. Auf diese seine Reaktionsweisen können zwei
weitere Handlungsabläufe folgen: ein positives, konstruktives oder ein
negatives, destruktives Geschick.

Da nun für alle Gleichnisse und Parabeln Sl („das Reich Gottes")
gleicji ist, können alle Gleichnisse und Parabeln als eine einzige große
komplexe Metapher aufgefaßt werden. Diese hat nun eine hypothetisch
angenommene Makrostruktur, innerhalb derer die einzelnen
Gleichnisse und Parabeln ihre spezifische kognitive Funktion erhalten
. Da gibt es zuerst die Prologgleichnisse, die die spezielle kognitive
Funktion bekommen, die vier möglichen Handlungsverläufe auf die
Verkündigung der Reich-Gottes-Gleichnisse und -Parabeln zu reflektieren
. Dann folgen die dramatischen Parabeln im mittleren Teil. Sie
haben jetzt die spezielle kognitive Funktion, den komischen bzw.
tragischen Ausgang der Annahme bzw. Ablehnung der Reich-Gottes-
Gleichnisse und -Parabeln zu verdeutlichen. Der Epilog besteht
wieder aus einfachen Gleichnissen, die alles noch einmal zusammenfassen
(z. B. Mt 24,45-51). Auf diese Weise beantwortet der Vf. die
Frage, die er am Anfang seines Buches stellte.

Die eigentliche Leistung der Arbeit besteht darin, gerade diese
Frage in Auseinandersetzung mit so umfangreichen Gebieten wie der
Metaphernforschung und ihrem sprachphilosophischen und sprachanalytischen
Hintergrund einerseits und der Gleichnisforschung mit
ihrem immensen forschungsgeschichtlichen Material andererseits in
einem logisch folgerichtigen argumentativen Stil mit respektheischender
systematischer Kraft beantwortet zu haben. Darüber hinaus
beweist der Vf., welch einen großen Nutzen die Theologie z. B. aus
sprachanalytischen und litcraturwissenschaftlichen Methoden zu
ziehen vermag, einen Nutzen, der schließlich sogar der Exegese zugute
kommt. Der beträchtliche Umfang des bearbeiteten Stoffs macht dann
aber auch klar, daß manche Details nicht mit der Gründlichkeit von
Spezialuntersuchungen ausgeführt werden konnten. So ist nicht
systematisch dargelegt worden, was eigentlich performative Äußerungen
sind und wie die vom Vf. behaupteten kognitiv suggestiven oder
konstatierenden Sprachhandlungen in eine allgemeine Theorie der
Sprachhandlungen eingeordnet werden können. Eine Auseinandersetzung
mit J. L. Austin und seiner Schule findet nicht statt. Ähnliches
gilt u. a. von dem Sinn- und Bedeutungsproblem (meaning-
referring). Hier wäre es angemessen gewesen, nicht so lange G. Freges
Position zu besprechen, sondern sogleich in die moderne Diskussion
mit Strawson, Searl u. a. Sprachanalytikern einzutreten. Schließlich
ist die Auseinandersetzung mit E. Jüngel (p. 185 und 186), gemessen
an seiner Bedeutung, sicher zu kurz geraten. Der Hinweis, daß er die
obskure Ansicht verträte, daß die Relation zwischen Sprache und
Realität metaphorisch sei, übersieht den philosophischen Hintergrund
dieser Auffassung bei Nietzsche und Jüngels differenzierte Darlegung
. Diese Anmerkungen schmälern aber keinesfalls die große
Leistung, die der Vf., wie oben dargelegt, mit dieser Arbeit vollbracht
hat.

Jänickendorf Wilfried Flach

Wedderburn, A. J. M.: The Reasons for Romans. Ed. by J. Riehes.
Edinburgh: Clark 1988. XI, 169 S. 8' = Studies of the New Testament
and Its World. Lw. £ 9.95.

Die vorliegende Studie von Wedderburn, der sich bereits durch
andere Beiträge zum Römerbrief ausgezeichnet hat. setzt die Reihe
der neueren Untersuchungen fort, die sich mit dem historischen