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Ausgabe:

1989

Spalte:

624-626

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Schweitzer, Friedrich

Titel/Untertitel:

Lebensgeschichte und Religion 1989

Rezensent:

Mokrosch, Reinhold

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Theologische Literaturzeitung 114. Jahrgang 1989 Nr. 8

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sehen Gottesdienst einfuhrt und zugleich die nachkonziliare Liturgiereform
gegen Mißverständnisse, auch gegen Anwürfe aus dem traditionalistischen
Lager in Schutz nimmt. Aus Einzelbeiträgen für die
Zeitschrift „Christ in der Gegenwart" entstanden, ist der Adressat
nicht der säkularisierte und dennoch interessierte Zeitgenosse
schlechthin - für ihn müßte man alles sehr viel elementarer erläutern!
-, sondern der mit seiner Kirche und ihrem Gottesdienst lebende, mitdenkende
Katholik. Das heißt: Es ist zugleich ein anspruchsvolles
Buch, das dem Leser liturgietheologische Bemühungen keineswegs
erspart. Schon das Vorwort (5f) liefert eine sehr dichte Summe katholischen
Liturgieverständnisses, die dann im ersten Teil („Liturgie als
Ausdrucks- und Zeichenhandlung", 11-51) entfaltet wird: Christus
als „Bild Gottes" das Ursakrament, die Kirche (mit ihren „Grundaufgaben
" Martyria, Liturgia, Diakonia) „Grundzeichen" göttlichen
Heilswillens; Liturgie als ganze wie in allen ihren Vorzügen „sakramentales
Handeln unter Zeichen", in Zeichen gefaßter „Dialog zwischen
Gott und Mensch". Solche Zeichenhaftigkeit wird anthropologisch
begründet („Kommunikation ist auch zwischen Menschen nur
unter Zeichen möglich", 14), zugleich aber mit einem „realistischen",
sich auf antikes Denken berufenden Zeichenbegriff verknüpft: „So
kann von der Liturgie als Zeichen gesagt werden, daß es nicht wie
jedes Zeichen nur auf etwas anderes verweist, sondern daß es eine
Wirklichkeit gegenwärtig setzt" (13). Genau dies bedürfte jedoch -
besonders im Zusammenhang der „Frage nach der Zeichen und Sym-
bolfähigkeit des modernen Menschen" (17)- noch genauerer Reflexion
, die auch Erkenntnisse einer allgemeinen Zeichentheorie
(Semiotik) zu berücksichtigen hätte. Was soll man sich unter einer
„real zeichenhafte(n) Vermittlungsweise" (13; T. Schneider) vorstellen
, wo doch gilt: „Zeichen ohne Glauben" (und das heißt doch wohl:
ohne Verständnis für, ohne Verständigung über das, was sie vermitteln
) „sind unwirksam"? (23) Daß zwischen Zeichen- bzw. Symbolfähigkeit
und Gemeinschaftsfähigkeit (18; man könnte ergänzen: der
sozialen Dichte in Gruppen und Gesellschaften) eine positive Korrelation
besteht, läßt sich auch soziologisch erhärten; dem entspricht es,
wenn die Gemeinde selbst als „das grundlegende sakramentale Zeichen
" herausgestellt wird (35 f)-

Mit Recht besteht der Vf. darauf, daß „Zeichen erlernt werden"
(21); mißverständlich ist darum die Unterscheidung von „naturalen"
und „geschichtlichen" Zeichen (210, zumal er im Anschluß an
P. Hünermann darauf hinweist, daß „Zeichen nur aus dem Kontext
der kommunikativen Handlung heraus verstanden werden können, in
der sie gebraucht werden", und keinesfalls von ihrer „.natürlichen'
Symbolik" her erschließbar sind (59). Auch hier könnte ein Rückgriff
auf semiotische Einsichten von erhellender Wirkung sein.

Im Blick auf die „Sinnlichkeit" (A. Lorenzer) der Liturgie konstatiert
der Vf. für die Kirche des Westens eine „Engführung auf die beiden
Sinne Gehör und Gesicht" (26); er versucht darum, das Augenmerk
verstärkt auf den „Leib", seine Wahrnehmungs- und Ausdrucksmöglichkeiten
, zu lenken und Liturgie als ganzheitliches, alle
Sinne umfassendes Handeln zu begreifen. Dabei fällt eine ganze
Familie „sinnenfälliger Zeichen" freilich fast vollständig aus: Von
Musik und Gesang, von Klängen aller Art ist nur dort beiläufig die
Rede, wo die Behandlung anderer, anscheinend sinnenfälligerer Zeichen
dazu Anlaß bietet. Mit Nachdruck insistiert der Vf. jedoch auf

dem Zeichencharakter des gottesdienstlichen Wortes (.....denn auch

das Wort ist Zeichen, weshalb die Rede von .Wort und Zeichen'
äußerst ungenau ist", 14, 21, 30 u. ö.); konkret wird dies dort, wo er
über die „Zeichenhaftigkeit der Sakramente" (53ff) nachdenkt und
dabei das „deprekative Gebet" als jene Wortgestalt sakramentalen
Handelns herausstellt, die der Zeichenhaftigkeit der Liturgie mehr
entspricht als die „indikativische Spendeformel", die eine „Verrccht-
lichung", ja, „Verengung" des Gottesdienstverständnisses anzeigt
(540- Dem entspricht es, wenn er „Lobpreis und Anrufung Gottes
über dem Wasser" als ein „Hauptelement der Taufe" herausstellt
(61 ff) und auch bei der Trauung (entgegen der gegenwärtigen Rechtslage
!) dem „feierlichen Segensgebet über Braut und Bräutigam" (der

„Hochzeits-Berakha") eine das Ehesakrament konstituierende Bedeutung
zugeschrieben wissen möchte (740-

Zeichen müssen sich wandeln, weil sie an „raum-zeitliche Gegebenheiten
, damit aber an die Geschichte" gebunden sind (37). Weil
der Vf. hiervon überzeugt ist, enthält sein Buch darum eine Reihe
beachtenswerter Anregungen für eine Weiterentwicklung der Liturgie
, die auch evangelische Liturgik aufmerksam zur Kenntnis nehmen
sollte; das gilt besonders für das Kapitel, das sich mit der Feier der
„österlichen drei Tage" beschäftigt (91 ff). Das Buch ist ganz und gar
auf die katholische Liturgie hin entworfen; auf die reformatorischen
Kirchen und ihren Gottesdienst wird nur hier und da am Rande (und
dann nicht immer zutreffend: die Frage der liturgischen Gewänder ist
sehr viel differenzierter zu behandeln, 152) Bezug genommen. Und
doch möchte man jedem evangelischen Liturgen, der sich um die
Gestaltung eines Osternachtgottesdienstes bemüht (ein Brauch, der
sich zunehmend ökumenisch verbreitet), die entsprechenden Abschnitte
(92-98, 136fT) zur Lektüre empfehlen. Mit Gewinn sind auch
die abschließenden Kapitel über „Ausdruckshandlungen des Körpers
" (107ff; hier vor allem die Abschnitte zum Friedensgruß, zum
„liturgischen Kuß", zu „Spiel und Tanz" als „leibhafte(n) Zeichen
des Glaubens"), „Orte gotfesdienstlichen Handelns" (121 ff) und „Elementare
Zeichen im Gottesdienst" (135ff; hier über Kerzen, Weihrauch
, liturgische Bücher, Hungertuch, liturgische Kleidung und Farben
, das „Zeichen der Asche") zu lesen.

Berlin Karl-Heinrich Bicritz

Praktische Theologie:
Katechetik/Religionspädagogik

Schweitzer, Friedrich: Lebensgeschichtc und Religion. Religiöse Entwicklung
und Erziehung im Kindes- und Jugendalter. München:
Kaiser 1987.264 S. 8'. Kart. DM 35,-.

Die ev. Religionspädagogik wird seit ihrer Wende der empirischen
Wende und seit ihrem Symboldidaktikboom mit einer neuen Thematik
konfrontiert: mit den kognitiv-strukturellen Konzepten religiöser
Entwicklung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Kaum
ein Universitäts-Seminar, kaum eine Religionslehrer-AG und kaum
ein Fort- oder Weiterbildungskurs, in denen nicht die transatlantischen
Theorien Fowlers und (mit schweizerischem Akzent) Osers/
Gemünders im Gefolge der Piaget-, Kohlberg- und Goldmann-
Schulen euphorisch rezipiert oder brüsk abgelehnt würden.

Die Gemüter erhitzen sich an brisanten Grundsatzfragen: Gibt es
eine Kinder-, Jugend- und Erwachsenen-Religiosität? Darf es so etwas
überhaupt geben? Ist Religion nicht unteilbar? Und wie verhielten sie
sich zum christlichen Glauben? Ferner: Kann Glaube .sich entwik-
keln'? Ist er nicht Geschenk? Und wäre eine Reife-Entwicklung zum
Glauben nicht höchst unchristlich (höchst katholisch - wie manche
Protestanten noch hinter vorgehaltener Hand hinzufügen)? Und
schließlich: Darf die Aufgabe religiöser Erziehung in der Förderung
religiöser Entwicklung bestehen? Sollte sie nicht eher für die Bedingungen
des Cilaubensempfanges als für die der Glaubensentwicklung
sorgen? Für manche wird das Geschenk des Glaubens und der Rechtfertigung
, also das Zentrum des Christentums, in diesen Theorien verraten
. Für andere dagegen wird in ihnen die Inkarnation endlich ernsl
genommen, weil Glaube und Religion in der Lebensgeschichte verankert
würden. Die Debatten sind kontrovers, polarisiert und gereizt.
- Sie leiden unter einem doppelten Manko: Die Diskutanten kennen
sich in den Theorien nicht ausreichend aus, weil es keine gute Einfüh-
rungslitcratur gibt, und es fehlt an empirischem Material zur Religiosität
von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen.

Die erste Lücke schließt das als Einführung geschriebene hervorragende
Buch von Fi Schweitzer in brillanter, die zweite in ansprechender
Weise. Mit einer bewundernswerten, pädagogischen, theolo-