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Ausgabe:

1989

Spalte:

618-619

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Grewel, Hans

Titel/Untertitel:

Brennende Fragen christlicher Ethik 1989

Rezensent:

Gerber, Uwe

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Theologische Literaturzeitung 114. Jahrgang 1989 Nr. 8

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unverkennbare Dilemma der „Krise der Dogmatik in der Neuzeit" vor allem das erste und das vierte Moment bedeutsam zu sein, weil in

(G. Ebeling) nicht eigens thematisiert wird. ihnen die wichtigsten Entscheidungen fallen.

2. Bezogen auf die ethische Perspektive des Buches, ist der Einwand Die Wahrnehmung eines Problems als eines sittlichen ist der erste

thematischer Engluhrung zu erheben. Laßt sich die Deutung der Neu- Schritt, um die Urteilsbildung in Gang zu setzen. Die sittliche Dimen-

zeit und ihrer Menschenrechtsethik tatsächlich alkin auf den Autono- sion wird erst entdeckt, „sobald der Urteilende wahrnimmt, daß mit

mie- und FreiheitsbegrilT abstellen (132, 159, 284, 308), um diesen diesem Problem ihm etwas vorgelegt wird, was ihn in seinem Verhal-

dann dogmatisch zu überhöhen (vgl. den Buchtitel: „Das Geschenk ten unbedingt angeht" (30). So gerät das Sittliche in große Nähe zum

der Freiheit")? Die Postulate sozialer Gerechtigkeit, Gleichheit u. a. Religiösen, denn „die Erfahrung von etwas, was den Menschen un-

blciben hierbei unbeachtet. Ferner: Gerade angesichts moderner, bedingt angeht, verweist auf eine letzte Sinnerfahrung, der das reli-

technologischer und ökologischer Probleme reicht es nicht aus, nur giöse Reden von Gott zu entsprechen sucht" (29). Das wirkt sich im

die Freiheit ermöglichende „personale Liebe" zum „Schlüsselbegriff" vierten Sachmoment, der Normenprüfung, so aus. daß „die Bezug-

der Ethik zu erklären (285, 317). Hier scheint für die theologische nähme auf ein Letztes, das uns schlechthin angeht----den Ausschlag

Grundlegung einer zeitgemäßen Ethik eine breitere begriffliche Basis zu geben vermag für die Bevorzugung einer speziellen Norm, welche

vonnöten. die Entscheidung zwischen möglichen Handlungsalternativen herbei-

Wachtbcrg-Nicdcrbachcm Hartmut Kroß

führt" (39). Im Beitrag zur Picht-Gedenkschrift (1984) bezeichnet
Tödt die Zukunftsdimension als die entscheidende im Zusammenspiel
der Zeitmodi beim Sieh-Vcrhalten. Verantwortung kann nur

TBdt, Heinz Eduard: Perspektiven theologischer Ethik. München: werd™ - wen" Jede Gegenwartsentscheidung auf das

Kaiser 1988 285 S 8" Kart DM48- künftige Ollenbarwerden vor dem Richterstuhl Gottes ausgerichtet

ist. Der theologische Charakter der ethischen Theorie Tödts ist hier
In diesem Band sind Arbeiten des emeritierten Heidelberger Profes- unübersehbar,
sors für Systematische Theologie und Sozialethik aus den letzten zehn Im zweiten Teil des Bandes sind Artikel abgedruckt, die Tödt für
Jahren gesammelt, um anläßlich seines 70. Geburtstages auf seine die TRE. das EKL und ESL sowie die Enzyklopädische Bibliothek im
ethische Konzeption wieder aufmerksam zu machen. Wolfgang Herder-Verlag verfaßt hat. Sie befassen sich mit Grundbegriffen der
Ruber weist im Vorwort darauf hin, daß Tödt während seiner Lehr- politischen Ethik, denen die Aufmerksamkeit des Autors schon in sei-
•atigkeit kein zusammenfassendes Lehrbuch geschrieben, sondern nen Büchern über „Frieden im wissenschaftlich-technischen Zeitseine
Auffassung im Dialog mit den Studierenden und der sich wan- alter" (1966) und über „Menschenrechte" (1977) galt^Entsprechend
delnden Situation entwickelt habe. der Aufgabe solcher Artikel überwiegen historisches Material und
■ Ein „Lehrbuch" ist auch dieser Band nicht; vielmehr ist der Leser Darstellung anderer Positionen, während die eigene Sicht nur kurz
wie bei den meisten solcher Aufsatzbände darauf angewiesen, selb- entfaltet werden kann. Vor allem bedingt die Anlage von Nachständig
weiterzudenken und aus den vorliegenden Anstößen Konse- schlagcwerkcn, daß es nicht zu einer Konkretisierung des vom Autor
9uenz.cn zu entdecken. Es kommt hinzu, daß der Band aus zwei recht entwickelten Schemas mit seinen Sachmomenten kommen kann,
divergenten Teilen zusammengesetzt ist. Unter dem Titel „Sittliche Etwa im Beitrag „Frieden" ist im Sinne einer Situationsanalysc aus-
Urtcilstindung" geht es um Studien zu Grundsätzen und Methode führlich von „Indikatoren" rriedensfördernder und friedenshemmen-
e'ner ethischen Theorie, unter dem Titel „Ethische Grundbegriffe" der Prozesse die Rede, doch weder die Prüfung von Verhaltensoptio-
um Stichwörter politischer Ethik, die ursprünglich für Lexika verfaßt nen (Gleichgewicht der Rüstung - kalkulierte einseitige Abrüstung)
Worden sind. Das ergibt natürlich kräftige Unterschiede im Argumcn- noch die der bisher geltenden Normen im völkerrechtlichen und im
'ationsstil zwischen beiden Teilen, und Tür das im Vorwort genannte theologischen Bereich kann im Rahmen eines solchen Artikels disku-
2'el. die ethische Konzeption des Autors vorzustellen, trägt eigentlich tiert und ausgearbeitet werden. So findet der Leser nur kurze Bemer-
nurder erste Teil etwasaus kungen zum biblischen Material und zu kirchlichen Verlautbarungen
Tödt sieht die Ethik wie die Dogmatik einer Wirklichkeit gegen- in der Ökumene und der katholischen Kirche, die zur eigenen Urteils-
"ber, die „der kritischen Interpretation und Entschlüsselung vom bildung zu blaß bleiben.

Glauben her bedarf, wobei nur die Fragehinsichten in der Dogmatik So stellt sich doch die Frage, ob das Buch durch den Abdruck der
'Wahrheit) und der Ethik (das im Blick auf das Gute zu Verantwor- Artikel im zweiten Teil wirklich gewonnen hat. Dabei zeigt die Biblio-
tende) verschieden sind" (13). Die Ethik kann nicht von einer all- graphie am Ende des Bandes, in welchem Maße Tödt sich auf spezielle
gemeinen Evidenz des Sittlichen ausgehen - und hätte dann nur die Fragen der kirchlichen, gesellschaftlichen und weltpolitischen Situa-
Motivation zu klären - sondern sie muß jeweils ein inhaltliches Urteil tion eingelassen hal und ihnen in einer Fülle von Beiträgen nacheilen
, das sich Tür Christen aus der mehr oder weniger bewußten gegangen ist. Darin wird auch die unmittelbare Wirkung und Ermuti-
Rückfrage an Perspektiven und Intentionen des Glaubens ergibt" gung faßbar, die von Tödt bis heute ausgegangen ist. Dem siebzigjähri-
"7>. Wenn das sittliche Urteil wissenschaftlich reflektiert wird. gen Autor ist zu wünschen, daß er noch weiterhin ermutigend und
kommt es zur ethischen Theorie. In ihr werden die Relationen analy- orientierend seine Summe in die kirchlichen und gesellschaftlichen
siert. in denen ein Mensch existiert und die sich in drei Aspekte bün- Diskussionen einbringen kann.

dein lassen: Handeln, wenn es um die Wirkung nach außen geht. Lei- Rostock Joachim Wicbering
den, wenn die Entwicklung vornehmlich von außen her erfolgt, Iden-
tilät, wenn es um die Bestimmtheit des Selbst geht. Indem ein Mensch

sich zu anderen Menschen, zur Geschichte und zur natürlichen Um- Grewel, Hans: Brennende Fragen christlicher Kthik. Göttingen: Van-

*elt verhält, wird er zu einem sittlichen Urteil genötigt. „Er ist nicht denhoeck & Ruprecht 1988. X, 220 S. 8 Kart. DM 29,80.

"ur ein Betroffener, sondern auch einer, der seine Integrität in seiner _

F.,,,, ., . „ ., .... _.. • ,„„,;„m„ Rjwhp sitt- Dieses Panorama ethischer Gegenwartsprobleme, vornehmlich aus

Entscheidung aufs Spiel setzt (54 . Dieser existentielle Bezug siu _ ° .

'icherUrteilewirdvonTödtstarkbetont. dem Bereich der Bundesrepublik, klart in einem eintuhrenden Teil

Erstmals ha. Tod. 1977 in der ZEE den „Versuch zu einer Theorie das Verständnis von Ethik ah, eines Dialoges über vcran.worthches

ethi*, , ,. . „ ..„. ,, ,,,7rr„ IQ77 XI (11 Bei der Handeln, die Frage nach dem C hnstlichen, das es nur als Handeln und

Clnischer Urtcilshndung vcrollcntlicht (ZEE 21, !9//. »I Ii), dci uti , „, , , ur . . ... ....

Jahr . * c .* , . . j m^;n,;„rt und Denken im/aus Glauben in der Nachfolge Jesu gibt, und über den

Jahrestagung der Societas Ethica 1979 hat er das modifiziert una ueu^ o

zweiter,. I^eser „zweite Versuch" is, in unserem Band abgedruckt, „roten Faden der „neu.estamcn liehen Uberheferung von Botschaft

*obci nun die sechs Sachmomente breit entfalte, werden, die bei einer und Beispiel des Jesus von Nazareth (40

tischen Urleilsfindung zu beachten sind. Unter ihnen scheinen mir Die ersten vier Kapitel behandeln das Got.es-Problem als Frage