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Ausgabe:

1989

Spalte:

615-617

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Thönissen, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Das Geschenk der Freiheit 1989

Rezensent:

Kreß, Hartmut

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Theologische Literaturzeitung 114. Jahrgang 1989 Nr. 8

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Abgeschlossen wird der Band mit Imaginationen Gottes als Mutter,
Liebender und Freund. Diese Mataphern werden durch die je unterschiedlichen
Aspekte der Liebe verbunden (Agape, Eros, Philia).
Ebenso werden jeweils spezifische Züge des Handelns und der Ethik
für jede der drei Metaphern entfaltet.

Trotz de/ Distanz, die die Autorin gegenüber der hermeneutischen
Theologie an den Tag legt, leistet sie letztlich selbst einen Beitrag
dazu, wie es ihr Bemühen, sich mit der Tradition auseinanderzusetzen
, nicht anders erwarten läßt. Die Dringlichkeit der Herausforderungen
unseres Zeitalters hat sie im Horizont ihrer Erfahrungen - „Ich
bin Weiße, gehöre zum Mittelstand und schreibe für die breite christliche
Mitte." (XIII) - zu einem Gedankenversuch veranlaßt, der jenseits
von Prä- oder Postmodernismen in der Diskussion jedenfalls
über die Rekonstruktion christlicher Bildsprache angesichts gewachsener
ethischer Verantwortung gehört werden sollte als ein auch in der
Verbindung von theologischem Feminismus und Prozeßtheologie
bemerkenswerter Beitrag. So werden neben G. Kaufmann und anderen
auch Rosemary R. Ruether und J. B. Cobb jr. dankbar als
Gesprächspartner genannt.

Rostock Jens Langer

Systematische Theologie: Ethik

Thönissen, Wolfgang: Das Geschenk der Freiheit. Untersuchungen
zum Verhältnis von Dogmatik und Ethik. Mainz: Grünewald 1988.
341 S. gr. 8" = Tübinger theologische Studien, 30. Kart. DM 48,-.

Schon A. Schopenhauer betonte: „Moral predigen ist leicht, Moral
begründen ist schwer." Die Aufgabe einer Begründung von Ethik hat
die neuzeitliche Philosophie und Theologie durchgängig begleitet,
wobei auch die Theologie sich dem Denkhorizont einer säkularisierten
, nach-aufgeklärten Gesellschaft zu stellen hat. Die vorliegende
Tübinger kath.-theol. Diss. erörtert die ethische Begründungsthematik
in theologiegeschichtlicher wie in systematischer Hinsicht, und
zwar anhand der theologischen Grundlagenfrage nach dem Verhältnis
von Dogmatik und Ethik.

In einem 1. Teil (19-129) stellt der Autor theologiegeschichtliche
Aspekte sowie die gegenwärtige Diskussion zum Dogmatik-Ethik-
Problem dar, wobei er umfassend auf katholische wie evangelische
Positionen eingeht. Für die evangelische Theologie wird der Gegensatz
zwischen kulturprotestantisch bzw. liberal geprägter Sicht (u. a.
Schleiermacher, Troeltsch, Rendtorff) und K. Barth betont. Die für
das evangelische Verständnis von Dogmatik und Ethik ebenfalls wichtige
Debatte zur Zweireichelehre bleibt hingegen beiseite. Im Blick auf
die katholische Theologie wird, in interessanter Weise, die nach-
thomanische Kasuistik und Verrechtlichung der Morallehre als Ablösung
der Ethik von der Dogmatik dargestellt; die Tübinger Schule
des 19. Jh. (v. a. J. M. Sailer, J. B. Hirscher, später: F. X. Linsenmann)
mit ihrer Forderung nach einer „Theologisicrung der Moraltheologie
" (48f) wird hiervon positiv abgehoben. Die Intention, die Morallehre
theologisch bzw. dogmatisch zu begründen, macht sich der
Autor zu eigen. Daher lehnt er die in der heutigen evangelischen
Theologie seines Erachtens vorherrschende „Tendenz zur Verselbständigung
der Ethik gegenüber der Dogmatik" (76) ab. Er verweist
negativ auf das von E. Troeltsch vertretene Anliegen, Ethik statt
Dogmatik als Grundlagendisziplin neuzeitlicher Theologie zu begreifen
, und greift den Troeltsch rezipierenden Ethik-Entwurf Trutz
Rendtorffs an, der den Gottesgedanken funktionalisiere und die Theologie
preisgebe (94). Die überpointierte Kritik an Rendtorffs ethischer
Theologie hätte freilich nähere Belege erfordert. Ihrerseis fragt die
Studie danach, an welcher Stelle die theologische Ethik mit neuzeitlichem
Denken „kompatibel" sei: Dies sei beim neuzeitlichen Autonomie
- und Freiheitsbegriff der Fall (z. B. 124), der, im 2. Teil des
Buches (131-164), anhand des Frciheits- und Menschenrechtsdenkens
von I. Kant entfaltet wird. Kant stehe einer „theoiogische(n)
Inanspruchnahme" (162), nämlich der Deutung durch ein christologi-
sches Personverständnis, offen.

Im Anschluß an diese Sicht Kants beschäftigt sich der 3. Teil des
Buches mit dem eigentlichen systematischen Anliegen, der dogmatischen
Begründung von Moraltheologic: „Gnade und Person. Versuch
einer Bestimmung des Verhältnisses von Dogmatik und Ethik im
Horizont einer Theologie der Freiheit" (165-321). Unter Rückgriff
auf H. Krings' „reduktiv-analytische" Untersuchung von Freiheit
(168ff) wird endliche Freiheit als verwiesen auf Gott bzw. Gott als
unbedingte und vollkommene Freiheit interpretiert. Ebenfalls mit
Hilfe der transzendental-logischen Analytik wird die dialogische
Struktur des Menschseins erörtert. Die Klassiker dialogischen Denkens
, etwa M. Buber oder F. Rosenzweig, werden freilich nur beiläufig
oder gar nicht erwähnt. Zu Bubcr wird die (verkürzende, sehr einseitige
!) geistesgeschichtliche Deutung M. Theunissens rezipiert, die
Bubers Dialogik nur als bloße Antithese und als Gegenentwurf zur
Transzendcntalphilosophie versteht (263). Demgegenüber betont der
Autor, J. Heinrichs u. a. folgend, die Vermittelbarkeit von dialogischem
und transzendentalem Denken (264f, 215ff). Dies führt ihn zu
einem Verständnis der zwischenmenschlichen Beziehung als „Miteinander
von Freiheiten" (219). Insofern sich - so die theologische Zuspitzung
- menschliche Freiheit und die zwischenmenschliche Relation
letztlich göttlicher Gnade verdanken (223 ff, 268ff), lassen sich
Freiheit und Dialogik theologisch in der Gottes- und Gnadenlehre
begründen, ebenso wie der dialogische Personbegriff auf die Trinitäts-
lehre (2890 und Christologie (316f) zurückgeführt wird.

Die Leitgedanken des Buches bestehen mithin darin, mit Hilfe des
neuzeitlichen dialogischen Personbegriffs die überzeitlich-ontologi-
sche Naturrechtslehre der Neuscholastik (278ff) zu überwinden, hierdurch
eine Öffnung katholischer Morallehre zur Neuzeit zu dokumentieren
, zugleich aber auch eine erneute dogmatische (Letzt-)
Begründung der Ethik zu formulieren. An die Lehre von Natur und
Gnade anknüpfend, werden Ethik und Dogmatik im Analogiemodell
einander zugeordnet. Moralische Aussagen, u. a. zur Freiheit und zum
Personsein des Menschen, sind reflexiv-rcduktiv bzw. in einer transzendentalen
theologischen Reflexion auf die „christologische (.) Bestimmung
menschlicher Personalität" (3200 zurückzubeziehen. -
Ungeachtet instruktiver Einzeldarstellungen zur Theologiegeschichte
und zu heutigen Denkansätzen fordert die Studie freilich insgesamt zu
Anfragen heraus.

I. Die vom Autor rezipierte reflexiv-rcduktive Methode (z. B. 198f.
3140 sucht die neuzeitliche Ethik der Freiheit, des Personseins und
der Menschenrechte begründend auf sinnstiftende dogmatische Aussagen
(Gnade, trinitarischer Personbegriff Christologie) zurückzuführen
. Jedoch: Welches sind die Kritirien und die Grenzen für eine
solche Methode theologischer „Reduktion", d. h. theonomer Fundierung
neuzeitlicher Begriffe? Sicherlich ist ein deduktives Verständnis
der Ethik gegenüber der Dogmatik nicht aufrechtzuerhalten (mit
Recht kritisch hierzu 3l9f u. ö.). Aber das „reflexiv-reduktive" Prinzip
mutet seinerseits wie ein apologetisches Verlähren an, das philosophische
Aussagen jeweils nachträglich theologisch nachvollzieht und
legitimiert. Überdies: Insofern eine „theologische Inanspruchnahme"
(162) und „Kompatibilität" zwischen neuzeitlicher Philosophie und
Theologie angestrebt wird, wird das ja auch spannungsreiche Verhältnis
von Philosophie und Theologie von vornherein unter ein harmonisierendes
Vorzeichen gestellt: zu Ungunsten wechselseitiger kritischer
Akzente. Wenn der Autor z. B. - an sich einleuchtend! - den
neuzeitlichen dialogischen Personbegriff mit dem personalen christlichen
Gottesgedanken verknüpft, wären auch die erkenntnis- und
religionskritischen Einwände gegen ein personales Gottesverständnis
(J. G. Fichte, L. Feuerbach; vgl. auch G. Simmel) mit aufzuarbeiten
gewesen. Überhaupt werden Religionskritik, Nihilismus und Atheismus
in der vorliegenden Studie, die doch die Theologie in den Kontext
der Neuzeit einzustellen sucht, ausgeklammert. Zum Untertitel
des Buches („Verhältnis von Dogmatik und Ethik") fällt auf, daß das