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Ausgabe:

1989

Spalte:

40

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Titel/Untertitel:

Nr. 41 - 90 1989

Rezensent:

Holtz, Gottfried

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Theologische Literaturzeitung 114. Jahrgang 1989 Nr. 1

40

viten beeinflußt. Römische Gesetze stellten „Bischöfe spätestens seit
Justinian in den Zusammenhang der öffentlichen Stadtverwaltung"
(28). Cassiodor zeigt das schon für das ostgotische Italien. Es war also
ein Zustand, ..der schon zuvor bestanden haben muß, und zwar
keinesfalls nur im Osten des Reiches" (31). Schon das 4. Jh. hatte
..eine unerhörte Aufwertung des Bischofsamtes" gebracht (33). Gallische
Quellen stellen den Bischof in die Reihe der ..possesores". und
dieser Befund „entspricht dem der justinianischen Gesetzgebung"
(40). Der gallische Bischof konnte, „ebenso wie seine Kollegen des ostgotischen
und byzantinischen Bereichs, gegen Ende des 5., spätestens
aber im 6. Jahrhundert mit Tätigkeitsmerkmalen in Verbindung
gebracht werden . . .. die seine Mitwirkung am munizipalen Geschehen
dokumentieren" (491). Das Dossier des Bischofs Desiderius von
Cahors zeigt die Herrschaft eines Bischofs im 7. Jh. (73 ff). Der Bischof
fühlt sich als Vertreter des Königs, „von Usurpation irgendwelcher
Herrschaftsrechte kann nicht die Rede sein. Alle zivilen Tätigkeiten
des Kirchenleiters sind auch schon in der spätrömischen Gesetzgebung
, spätestens unter Justinian belegt" (77). Die Karolinger haben
dann „Bischöfe in extremer Weise als Funktionäre im öffentlichen
Auftrag eingesetzt" (81).

Reinhold Kaiser stellte sich das Thema „Königtum und Bischofsherrschaft
im frühmittelalterlichen Neustrien". Berichte des Bischofs
Gregor von Tours zeigen „viele Beispiele königlicher Bischofsbestellungen
" (86). Der Machtverlust der Merowinger erhob Bischöfe vielfach
zu Vorstehern von „quasi autonomen Kirchenstaaten" (95). Das
brachte finanzielle und militärische Macht. Karl Martell lenkte in
eine andere Richtung: Er belohnte seine Vasallen mit Kirchenvermögen
. „So wurde das dualistische Prinzip der regionalen und lokalen
Verwaltung begründet und gefestigt; Grafen und Bischöfe bildeten
nunmehr gemeinsam die Kerngruppe der Amtsträger, die für die Verbreitung
und Durchführung der königlichen Befehle und Aufträge
sorgten" (99). Georg Jenais Aufsatz „Gregor der Große und die Stadt
Rom (590-604)" kommt zu der Formulierung: „Das Bischofsamt war
mit einer problematischen Doppelfunktion belastet worden, die den
Amtsinhaber leicht von seiner ursprünglichen, nämlich von der geistlichen
, innerkirchlichen Aufgabe abbringen konnte. . . Gregors
Äußerungen über sein Bischofsamt spiegeln dieses Problem denn
auch wider. . ." (122). Gregor kümmerte sich um die Verteidigung
Roms und um Frieden. In Rom waren u. a. 3000 virgines sacrae zu
versorgen. Ihn kümmerten auch Vorgänge in Neapel, Misena und auf
den Inseln Sardinien. Korsika und Sizilien (136t). Römischer Kirchenbesitz
war weit über Italien verteilt, vor allem im Süden. Gregor
hat „den üblichen Rahmen bischöflicher Zuständigkeiten erweitert,
einmal sogar eindeutig gesprengt. . .. indem er sich in den Kompetenzbereich
des Kaisers und seines Vertreters begab". Seine karitative
Arbeit einschließlich der Sorge um Wasserleitungen blieb „eher im
Rahmen von Tätigkeiten und Funktionen, welche sich auch bei
anderen Bischöfen Italiens zwischen dem 4. und 6. Jahrhundert
finden" (143).

Franz J. Fellen untersucht die „Herrschaft des Abtes". Es geht um
die Herrschaft im Kloster: Herrschaft nach außen sowie auch die
spirituelle Seite des Amtes kommen weniger in den Blick (151). Es
geht um „Herrschen und Gehorchen im frühen Mönchtum" (179ff).
Schon Basilius wollte verhindern, daß es zu einem „demokratikon
Schema" komme (207, Anm. 83). In diesem Sinne deutet F. auch die
Regel Benedikts: „Der Abt wird nur an eine abstrakte Norm (provide
et juste) und die Regel (?). nicht an den Konsens der Mönche gebunden
. Er ist ihnen nicht einmal eine Begründung oder gar Rechenschaft
für seine Entscheidung schuldig . . ." (235). Benedikt forderte „letztlich
bedingungslosen Gehorsam" (238). In karolingischer Zeit wurden
Äbte in das Herrschaftssystem eingebunden, sie wurden ..mit
adeligen-herrschaftlichen Maßstäben gemessen" (259). Die Königsboten
bekamen jedoch Weisung, „Klagen der Mönche über Mißstände
in ihren Klöstern nachzugehen" (265). Der Weg zu Reformen
des Mönchtums führte „zunehmend über die Einschränkung der
Befugnisse des Abtes" (271). Seit der Mitte des 9. Jh. geschah „nicht

nur die Aufnahme in den Konvent, sondern auch das Ausscheiden mit
dem Konsens von Abt und Brüdern" (283). Benedikt aber hatte sich
nach Fcltens Deutung „bedingungslos für die Sicherung der äbtlichen
Autorität" entschieden (294).

Ludolf Kuchenbucher überschreibt seinen Beitrag: „Die Klostcr-
grundherrschaft im Frühmittelalter - eine Zwischenbilanz". Klöster
wurden ursprünglich auf verschiedene Weise versorgt, für däs
9./10. Jh. wird behauptet, „daß die monastischen Institutionen
weitestgehend die Grundherrschaft adaptiert haben. Schritt für
Schritt, zugleich ihre Form verändernd, drängte sie andere Versorgungsarten
ab oder ordnete sie sich unter. . ." (297). Die Kloster-
grundherrschaften stehen „aktiv im Zusammenhang der frondienstbezogenen
Betriebsgrundherrschaft" (340). Alle Besitzanalysen zeigen
„engste Verflechtungen zwischen Adel, Wellklerus und Konventen,
bezeugen darüber hinaus vielfaltige funktionsteilige" Verbindungen
(342). - Dieter Hägermann beschließt den Band: „Der Abt als Grundherr
- Kloster und Wirtschaft im frühen Mittelalter". Die Handarbeit
bekam „ihren unabdingbaren Platz neben dem Stundengebet; überspitzt
könnte man formulieren, daß in den detaillierten, die jeweilige
Jahreszeit berücksichtigenden Vorschriften der Bencdiktinerregel die
frühesten Arbeitszcitregelungen des Abendlandes vorliegen" (345).
Die Statuten des Abtes Adalhard von Corvey werden ausgewertet
(351 ff), auch andere Quellen kommen in den Blick (369fT). „Das Vordringen
der Geldwirtschaft bewirkte die Reduktion der klösterlichen
Eigenwirtschaft. . . die Abtei wurde mehr und mehr zum Geld- und
Abgabenempfänger aus Spezialbetrieben . . ." (384). Hägermann
spricht von der „kreativen Epoche" der Klöster im Frühmittelalter:
Äbte konnten als Grundherren die ökonomische Grundlage schallen
„zum Erhalt der klösterlichen Gemeinschaft, zur Ausgestaltung der
Missionsarbeit und zur Armenfürsorge" (385).

Rostock Gert Haendler

Rcindel. Kurt [Hg.]: Die Briefe des Petrus Damiani. 2: Nr. 41-90.
München: Monumenta Germaniae Historica 1988. XXXV. 579 S.
4'= Monumenta Germaniae Historica. Die Briefe der deutschen
Kaiserzeit, IV. 2.

Über Band I der Briefe des Petrus Damiani (1983) hat ThLZ 112.
1987, 52f ausführlich berichtet. Band 2 enthält Briefe aus den Jahren
1052 bis 1062. Sie sind gerichtet u. a. an die Päpste Victor IV., den
zum Papst erwählten Bischof Gerhard von Florenz, Nikolaus II. und
Alexander II. Mehrere Briefe wenden sich an Hildebrand. Auffällig ist
die Anrede in Brief 79: „Beatissimo papae Nicoiao et Hildebrando
venerabili archidiacono" (S. 398). Briefe an einen Papst nennen
normalerweise nicht noch den Archidiacon; hier wird Hildebrand
noch ausdrücklich als venerabilis bezeichnet. In Brief65 berichtet
Petrus Damiani dem Archidiacon Hildebrand über die Lage in Mailand
nach dem Aufstand der Pataria 1059. Brief 58 geht auf die doppelte
Papstwahl des Jahres 1058 ein und spricht sich für Nikolaus II-
aus. Zwei Briefe (88 und 89) sind an Bischof Cadulus von Parma
gerichtet, dem Petrus Damiani Vorwürfe macht, weil er sich zum
Gegenpapst hatte wählen lassen. Leider fehlt ein Teil des Briefes 89
(S. 557-564) mit dem interessanten Gespräch zwischen einem Anwalt
der Kurie und einem Vertreter des Königshofes. Weitcrc Briefe
wurden geschrieben an herrschende Personen, so z. B. an Kaiserin
Agnes (Brief 71) oder an den Markgrafen von Tuszien (Brief 67, 68);
der französischen Königin Anna schrieb er im Namen des Papstes
Nikolaus (Brief 64). Mehrere Briefe sind an Mönche gerichtet, von
denen Abt Desiderius von Monte Cassino besonders genannt sei. der
spätere Papst Victor III. (Brief 82,86 und 90). Aufschlußreich sind die
Bibelstcllen, die am Rande der Ausgabe notiert werden; mitunter häufen
sie sich und zeigen an. wie stark Pelms Damiani aus der Bibel
lebte. Seine Exegese geht freilich uns ungewohnte Wege, so z. B. in
Brief 49 über die Schöpfungsgeschichte (S. 66-71).

G.H.