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Ausgabe:

1989

Spalte:

613-615

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

McFague, Sallie

Titel/Untertitel:

Models of God 1989

Rezensent:

Langer, Jens

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Seite 1, Seite 2

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Theologische Literaturzeitung 114. Jahrgang 1989 Nr. 8

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Neues und Unbekanntes erforscht und so das Teilhard-Bild deutlich
ergänzt und erweitert. Seine Arbeit erfaßt und erhellt auch das nicht
leicht zugängliche biographische und literarische Umfeld Teilhards in
den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg und korrigiert dabei manche
Aussagen und Urteile der maßgeblichen Biographen Cuenot und
Schiwy. Erst die detaillierte Kenntnis der von Teilhard vorausgesetzten
oder mit seinen Schriften kontrastierenden Literatur erlaubt, die
mehr oder weniger ausgeprägte Eigenständigkeit und Originalität des
jungen Teilhard zu dieser Zeit zu beurteilen.

Es war bewundernswert mutig, sich dieser Aufgabe zu stellen. Denn
erstens steht Teilhard in diesen Jahren - wie Becker es auch mehrfach
betont - noch vor der „Synthese", vor der Überwindung des Dualismus
, vor der Entdeckung der Evolution und vor den umwälzenden
neuen Erkenntnisssen; er ist erst auf dem Wege dorthin. Und selbst wo
Teilhard das Neue schon ahnt, hat er es zweitens doch nicht oder nur
indirekt und verschleiert geschrieben, da es sich bei den vier untersuchten
Schriften ja um Auftragsarbeiten, um Veröffentlichungen -
im Gegensatz zu den späteren Manuskripten aus der Zeit des Publikationsverbots
- handelt, bei denen Teilhard das, was er vielleicht sogar
schon wußte und dachte, auf keinen Fall schreiben durfte. Becker
zeigt in seinen scharfsinnigen Analysen immer wieder, wie selbst die
vorsichtigsten Formulierungen Teilhards eigentlich schon über das
hinausgehen, was er riskieren durfte. Und drittens rechnet er damit,
daß die untersuchten Schriften von der Zensur überarbeitet und entschärft
sind, so daß dasjenige, was Teilhard vielleicht sogar geschrieben
hat, noch gestrichen oder geändert worden sein könnte.

Unter diesen drei Voraussetzungen dürften die Spuren des Kommenden
und sich im Denken Teilhards Entwickelnden, die Schritte
2"r Synthese von Geist und Materie, eigentlich gar nicht zu finden
sein. Diese geringe Wahrscheinlichkeit, zu den erwarteten Funden zu
kommen, muß man sich vor Augen halten, wenn man bei der Lektüre
der vorliegenden Untersuchung über die Ergebnisse der Spurensuche
v'elleicht etwas enttäuscht ist. Trotzdem ist es ein großes Verdienst
Beckers, als erster eine genaue Analyse der frühesten Schriften Teilhards
vorgenommen und damit gezeigt zu haben, daß im Denken
Teilhards nicht 1916 plötzlich ein Bruch auftritt und ohne Vorberei-
lung, gleichsam als eine Erleuchtung, das Neue da ist. Die Arbeit
zeichnet einen Entwicklungsprozeß im Denken Teilhards nach, der
s>ch seit der ersten Schrift von 1905 in jeder Veröffentlichung aufzeigen
läßt, wenn auch mit den genannten Einschränkungen.

Die ganz leisen neuen Töne sind nur vordem Hintergrund der vom
Vr- kenntnisreich recherchierten anderen Literatur, die Teilhard gelesen
hatte, wahrzunehmen - einerseits der Bücher und Aufsätze der
Vertreter des Transformismus und des philosophischen Evolutionis-
mus, andererseits derjenigen der traditionsverpfiiehteten Evolutions-
kr'tik und des philosophischen Dualismus. Von der einen Seite ist
Teilhard beeinflußt, wenn auch mit kritischer Distanz, von der andern
hebt er sich jedoch schon deutlich ab, obwohl eres eigentlich nicht
dürfte. So hat Beckerdas gängige Bild des jungen Teilhard korrigiert
u"d in ein neues Licht gesetzt. Dem Bild der Entwicklung von Teiles
Denken hat er das Anfangstück hinzugefügt, das uns bisher
befehlt hat. Die Entfaltung von Teilhards Entwurf ist dadurch klarer
geworden.

Aachen Sigurd Martin Daecke

^cFague. Sallie: Models of God. Theology foran Ecological, Nuclear
Age. Philadelphia, PA: Fortress Press 1987. XV, 224 S. 8".

Sallie McFague, Theologieprofessorin in Nashville, Tennessee
(vanderbilt Divinity School), entwickelt ein Konzept, das die
Geschichtlichkeit der Theologie außerordentlich ernst nimmt. Sie

a8t beharrlich danach, wie das christliche Anliegen erfüllter
Menschlichkeit auch in modernen Paradigmen über die Anthropologe
hinaus wirksam werden kann für die Welt in ihrer Gesamtheit.

Kommunikation und Interdependcnz, Wechsel und Transformation
sind nach Darlegung von McFague die Kategorien einer Theologie
für die heutige Zeit, um die es der Autorin geht. Das bedeute
lebendige Beziehung zwischen allem Seienden anstelle mechanistischer
Separation. Das schließt auch Verantwortung für Schwächeres
und Verwundbareres, als es die Menschen sind, entsprechend mit ein.
Die Sprache enthülle das jeweilige Verhalten: Will man z. B. Berge
bezwingen oder sich mit ihnen befreunden? (9) Diese neue Sensibilität
gegenüber der Welt insgesamt ist es, die den nuklearen Holocaust verhindert
. Unzureichend ist das augustinischc „Deum et animam scire
cupio. Nihilne plus? Nihil omnino." Aufgrund seiner Verantwortung
für die Beziehung alles Seienden wurde der Mensch zu einer Art
co-creator, der sich die Integrität der Schöpfung als Leib Gottes angelegen
sein läßt.

Dieser Entwurf will eine hierarchisch formulierte Theologie überwinden
durch das Konzept einer metaphorischen Theologie, die zugleich
heuristisch ist. Als Aufgabe wird gesehen, in Zusammenhang
von Tradition und Gegenwart adäquate Bilder zu entwerfen. Bilderstürmerei
ist also nicht angesagt. Denn auch der eigene Entwurf steht
ja in Beziehung zu anderen und will nicht eine absolute Herrschaft
aufrichten. Daher werden auch Vorbehalte gegenüber einem theologischen
Konstruktivismus angemeldet, als dessen Vertreter Schleiermacher
, Tillich u. Gordon Kaufmann exemplarisch benannt werden.

Nein, ein metaphorisches, heuristisches Konzept will sich anders
verstehen; unabgeschlossen, sich nicht zu ernst nehmend - gerade weil
es um letzten Ernst geht, vor dem Theologie sich im Dienst ständigen
Mühens um angemessenen Ausdruck zu bescheiden hat. Der eigene
Versuch wird als ergänzungsbedürftiges Experiment eingestuft, dem
der kritische Leser eine Chance geben möge. Gleichsam in der kreativen
Lücke zwischen Poesie und Philosophie muß die Theologie in
ihrer Zeit die Sprache für das finden, was nicht direkt auszusagen ist.
Etwa von Gott als „Mutter" zu sprechen, bedeutet laut McFague
keine Identifikation, sondern eine Metaphorik des Verhältnisses von
Gott und Welt, die dem Beziehungscharakter besser entspricht als das
weithin mißverstandene Vater-Bild, dem die Autorin in nichtpatriarchalischer
Interpretation übrigens gerecht zu werden sich vollauf
bemüht, insbesondere da sie den Eltern-Aspekt zu integrieren gewillt
ist.

Wie bei den Theologien im Kontext von realen Befreiungen sieht
McFague auch in ihrem Entwurf den Zusammenhang zwischen einer
bestimmten Erfahrung und dem Anspruch auf Universalität. Wenn
die Vertreter von Befreiungstheologien ihre Identität als Christen
durchhalten wollen, ist eine veränderte Interpretation der christlichen
Überlieferung für sie unabdingbar. Angesichts der Drohungen durch
einen ökologischen Kollaps und nuklearen Holocaust ist es für heutige
Theologie notwendig, den christlichen Glauben so zu formulieren
, daß dessen Verantwortlichkeit für die Erhaltung der Schöpfung
deutlich wird: „Wenn wir nicht lernen, gemeinsam zu leben, werden
wir gemeinsam sterben." (53)

Vfn. will die Theologie heute keine geringere Aufgabe wahrnehmen
lassen, als diese durch Paulus und Johannes zu ihrer Zeit wahrgenommen
worden ist. Die gemeinsame Tradition ist die materiale Norm,
die Jesus-Überlieferung, die konventionelle Erwartungen und weltliche
Standards in Frage stellt, die Außenseiter mit im Blick hat,
nichthicrarchisch und antitriumphalistisch in der Vision einer Erfüllung
für die gesamte Schöpfung ist. Vfn. drückt es biblisch aus: Jesu
Verhalten in seinen Gleichnissen, in Tischgemeinschaft und auf dem
Wege zum Kreuz stellt ein Paradigma von Gottes Verhältnis zur Welt
dar.

Diese Relation bildet das Kernstück der Darlegungen. Die Welt
wird nicht als Wirkungsbereich des göttlichen Herrschers interpretiert
, sondern metaphorisch aufgefaßt als Leib Gottes. Damit soll
die innige Beziehung zwischen Gott und Schöpfung ausgesagt werden,
und zwar nach aller Betonung des Metaphorischen nun ausdrücklich
auch noch im Sinne eines Ais-Ob verstanden. (70) Weder Pantheismus
noch Reduktion auf den Evolutionsprozeß seien gemeint, sondern
eben jenes liebevolle Interesse Gottes an der Welt.