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Ausgabe:

1989

Spalte:

612-613

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Becker, Thomas

Titel/Untertitel:

Geist und Materie in den ersten Schriften Pierre Teilhard de Chardins 1989

Rezensent:

Daecke, Sigurd Martin

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Theologische Literaturzeitung 114. Jahrgang 1989 Nr. 8

612

programmatisch das Thema von „Populorum progressio" wiederaufgenommen
wird: die Entwicklung der Menschheit, jetzt aber in neuen
Dimensionen, denn seit jener Zeit hat sich die Welt vielfach gewandelt
. Die Konflikte haben sich verschärft. Die Spannungen haben sich
nicht nur global ausgeweitet. Sie haben auch längst den Rahmen des
Ökonomischen überschritten. Insofern bedarf es eines ganz neuen
Herangehens, eines neuen Konzeptes von Entwicklung als einer
Dimension der gesamten menschheitlichen Existenz, die die Ökonomie
ebenso einschließt wie die Menschenrechte, die Identitiät jedes
einzelnen Volkes wie seine Freiheit und die Solidarität mit allen, die
um ihres Menschseins willen auf Solidariät angewiesen sind. Johannes
Paul II. macht keine konkreten Vorschläge. Nur an einer Stelle setzt er
sich gezielt für Reformen ein. Er nennt das internationale Handelssystem
, das Welt-Währungs- und -Finanzsystem, die Frage des Transfers
von Technologie sowie die Überprüfung der Struktur der bestehenden
internationalen Organisationen. Im übrigen aber beschränkt
er sich auf die Analyse und vor allem auf den Bereich, der der
Kirche als eigentliche Aufgabe gewiesen ist: die Verkündigung und die
Schärfung der Gewissen. Denn das Hauptziel der kirchlichen Soziallehre
sei es nicht, einen dritten Weg „zwischen liberalistischcm Kapitalismus
und marxistischem Kollektivismus" aufzuweisen, sondern
die Wirklichkeit im „Licht des Glaubens und der kirchlichen Überlieferung
. . .zu deuten" und den „Christen eine Orientierung zu geben."

Es kann hier nicht darum gehen, eine weitere Interpretation oder
vielleicht sogar kritische Einschätzung der Enzyklika zu geben. Das
ist mancherorts bereits geschehen, weil es einfach auch notwendig ist,
damit die einzelnen Aussagen in ihrer Tragweite auch tatsächlich
erkannt werden. Die vorliegende Ausgabe bietet denn auch neben
dem Text der Enzyklika (S. 9-104) einen Kommentar aus der Feder
von W. /sx>r/T(Professor an der Universität München) und A. Baumgartner
(Mitarbeiter an demselben sozialethischen Institut) (S. 107 bis
138). Allerdings handelt es sich dabei nicht so ganz um einen Kommentar
. Im Umschlagtext wird zwar betont, daß er „den Text Abschnitt
für Abschnitt im Kontext der heutigen Diskussion analysiert,
den Zusammenhang mit der Soziallehre der Kirche untersucht und
die zukunftsweisenden Perspektiven eindrucksvoll herausarbeitet".
Was tatsächlich geboten wird, ist jedoch im großen und ganzen nicht
viel mehr als eine Paraphrase des Textes, eine Zusammenfassung
unter Konzentration auf die Hauptlinien, insofern eine Lesehilfe. Von
einem wirklichen Kommentar möchte man doch etwas mehr an
Informationen und wirklichem Aufschluß erwarten. Völlig unverständlich
ist, wie das Inhaltsverzeichnis (S. 50 derart verunglücken
konnte. Es ist insofern wichtig, als die Enzyklika selbst als Texteinteilung
nur eine durchlaufende Numerierung größerer Abschnitte aufweist
, Zwischenüberschriften, die den Text gliedern und weitere
Zusammenhänge herausstellen, also schon Zusätze des jeweiligen
Herausgebers sind, für den Leser aber nicht zu entbehren. Aber nicht
einmal die Hälfte aller Seitenangaben ist hier korrekt; z. T. differieren
die Angaben von der Wirklichkeit um mehr als sechs Seiten!

So merkt man der Ausgabe also leider schon auf den ersten Seiten
und dann in verschiedener Hinsicht die Eile an, das Interesse, möglichst
schnell auf dem Markte zu sein. Der Sache dienlich sind solche
Prioritäten nicht so ganz. So schnell werden die Aussagen des Papstes,
seine Analyse ebenso wie seine Warnungen und Mahnungen, nicht
veralten.

Einen ganz anderen Eindruck dagegen macht die Arbeit von Johannes
Schasching SJ, Professor für katholische Soziallehre und Soziologie
an der päpstlichen Universität Gregoriana in Rom.

Auch hier werden der Text der Enzyklika und der Kommentar miteinander
verbunden: S. 7-110 Kommentar, S. 113-187 Enzyklika.
Hinzu treten ein kurzes Quellen- und Abkürzungsverzeichnis
(S. 1880- Ganz wichtig ist das abschließende Register (S. 190-192),
das auch den Kommentar mit einschließt und das Arbeiten mit dem
Text erheblich erleichtert. Und die Angaben sind verläßlich. Der Text
der Enzyklika wird ganz ähnlich gegliedert wie in der Ausgabe von
Korff-Baumgartner, doch werden hier nicht nur die Hauptabschnitte

mit direkten Überschriften versehen, sondern zur leichteren Orientierung
werden die wichtigsten Gedanken noch einmal als Marginalien
herausgehoben. Schon in solchen äußeren Dingen bemerkt man
befriedigt den Unterschied.

Und dieser bestätigt sich, wenn man dann versucht, sich die Enzyklika
tatsächlich mit Hilfe des Kommentars zu erarbeiten. Er ist nicht
nur um vieles ausführlicher, er bietet auch das Material, was man
erwarten möchte. Nur bedingt am Gedankenfortschritt der Enzyklika
orientiert, werden verstärkt Sachfragen herausgestellt: Die Botschaft
von „Populorum progressio" - Das Bild der heutigen Welt - Was
heißt Entwicklung? - Die theologische Analyse - Bausteine und
Wege, so lauten die Überschriften der Kapitel, hinzu tritt ein weiterer
Abschnitt, der die einzelnen „Grundfragen" noch einmal für sich
behandelt (Die Wirklichkeit deuten - Der Schrei in das Gewissen - Ist
eine Kultur der Solidarität möglich?) sowie quasi als Anhang ein
Pressebericht, der nicht nur die „begeisterte Aufnahme" der Enzyklika
schildert, sondern auch Anfragen und Kritik an ihren Aussagen
aus den verschiedenen Lagern deutlich macht.

Ausgesprochen hilfreich erweisen sich zwei Momente: Zum einen
der ständige Versuch, die Einzelaussagen des Papstes immer wieder
auf „Kernfragen", „Kerngedanken" oder „Kernstücke" bzw. auf
„Grundelemente" oder „Grundvorstellungen" zurückzuführen. Auf
diese Weise bleibt stets der rote Faden sichtbar, die eigentliche Zielrichtung
gerät nie aus dem Blick. Und damit ist auch schon eine wichtige
Voraussetzung für das andere geschaffen, worauf hier ausdrücklich
hingewiesen sei. Der Kommentar bemüht sich durchweg, die
Aussagen der Enzyklika mit denen früherer amtlicher Kundgaben der
römisch-katholischen Kirche, eigentlich von „Quadragesimo anno"
an, zu verklammern, wobei nicht nur die einschlägigen päpstlichen
Enzykliken herangezogen werden, sondern auch noch weitere Dokumente
des kirchlichen Lehramtes, vor allem die Verlautbarungen der
Päpstlichen Kommission Justitia et Pax. Auf diese Weise werden Ansatz
und Fortschreiten der kirchlichen Soziallehre hinlänglich deutlich
gemacht wie andererseits sowohl das Konstante als auch das Neue
in diesem Lehrschreiben entsprechend aufgewiesen, beides in gleicher
Weise von Belang.

Eines scheint gewiß: Zur gegenwärtigen weltweiten Anstrengung
um Entwicklung und Frieden ist diese Enzyklika ein wichtiger Beitrag
. Und für jedes Mittel, das dazu hilft, ihn entsprechend aufzunehmen
, sollte man dankbar sein.

Schöneiche bei Berlin Hubert Kirehner

Systematische Theologie: Allgemeines

Becker, Thomas: Geist und Materie in den ersten Schriften Pierre
Teilhard de Chardins. Freiburg-Bascl-Wien: Herder 1987. 240 S.
gr.S^FThSt, 134. Kart. DM 48,-.

Diese Freiburger Dissertation füllt eine Lücke in der sonst so umfangreichen
Teilhard-Literatur: Sie untersucht die ersten vier theologisch
relevanten Veröffentlichungen des damals noch unbekannten
jungen Jesuiten Teilhard de Chardin aus der Zeit seines Studiums und
fragt, ob und wieweit sich darin bereits die bekannten Gedanken des
späteren Teilhard zum Problem „Geist und Materie" finden. Überraschend
ist, daß diese Lücke erst nach rund einem Vierteljahrhundcrt
intensiver Teilhard-Forschung entdeckt worden ist, und noch dazu
von einem deutschen Theologen und Biologen. Es ist ein großes Verdienst
dieser Arbeit, den wirklich „jungen" Teilhard überhaupt entdeckt
und vorgestellt sowie bewußtgemacht zu haben, daß die bekannten
sogenannten „frühen Schriften" Teilhards aus den Jahren
des Ersten Weltkrieges bereits die zweite Schaffensperiode Teilhards
darstellen, der damals schon Mitte bis Ende Dreißig war.

Mit der Vorstellung und Analyse der Schriften des Studenten Teilhard
aus den Jahren 1905 bis 1912 hat Thomas Becker wirklich etwas