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Ausgabe:

1989

Spalte:

608-609

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Titel/Untertitel:

Der Widerstand von Kirchen und Christen gegen den Nationalsozialismus 1989

Rezensent:

Amberg, Ernst-Heinz

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Theologische Literatuczeitung 114. Jahrgang 1989 Nr. 8

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zu solchem dogmatischen, zumeist mit einer affirmativen Parteinahme
für die theologischen wie kirchenpolitischen Entscheidungen
K. Barths verbundenen Reduktionismus weiß sich Meier, wie Nowak
in einem instruktiven einleitenden Überblick über die theologische
Biographie und das breite zeithistorische CEuvre seines Lehrers zeigt
(7-15), einefn „Pathos der Empirie" (11) verpflichtet. Anstelle der
suggestiven Eindeutigkeit dogmatisch klarer Freund-Feind-Verhältnisse
suche Meier „die realen geschichtlichen Sachverhalte in ihrer
nicht selten widersprüchlichen Komplexität wahrzunehmen und sein
Urteil Schritt für Schritt am Material zu bewähren" (11).

Diese Offenheit für die Phänomene kennzeichnet ausnahmslos
auch die von Nowak zusammengestellten Aufsätze, die instruktive
Ergänzungen zu Meiers dreibändigem opus magnum „Der evangelische
Kirchenkampf" bieten. Die Aufsätze dokumentieren vier
Schwerpunkte von Meiers Arbeit: das Interesse am Thema Volkskirche
und an der Frage, inwieweit die konfessorischen Kirchenbilder
der verschiedenen BK-Gruppierungen eine prinzipielle, freikirchlichen
Vergemeinschaftungsformen verpflichtete Volkskirchenkritik
implizieren; die Wahrnehmung des gesellschaftsgeschichtlichen Kontextes
des Kirchenkampfes, insbesondere der widersprüchlichen Reli-
gions- und Kirchenpolitik der NSDAP; das Bemühen um eine strikt
zeitgeschichtliche, gegenüber metahistorisch dogmatischen Aktualisierungen
kritische Deutung der „Theologischen Erklärung" von Barmen
und der heftigen Auseinandersetzung, die über ihren Bekenntnischarakter
in den dreißiger Jahren sowie nach 1945 geführt worden
sind; schließlich den Versuch, zwischen der weithin noch von theologischen
Grabenkämpfen beherrschten protestantischen Kirchen-
kampfhistoriographie und der neueren allgemeinhistorischen Debatte
um Resistenz und Widerstand Brücken zu schlagen.

Dabei ist entscheidend, wie Meier diese Themen eng miteinander
verknüpft. Indem er den Kirchenkampf nicht nur innen, etwa in einer
rein BK-zentrierten Perspektive, sondern auch von außen, etwa von
der Wahrnehmung damaliger Eliten her thematisiert, sucht er den
Nachweis zu führen, daß selbst das breite Spektrum von volkskirchlich
orientierten, um Integration der heterogenen kirchenpolitischen
Kräfte bemühten Mittelgruppen im Protestantismus zu einem wichtigen
Faktor praktischer Resistenz gegenüber den Totalitätsansprüchen
des Nationalsozialismus geworden ist. Meier will sich methodische
Distanz zum geschichtlichen Gegenstand verschaffen, indem er die
Resistenz protestantischer Milieus mit Resistenz und Widerstandshandeln
anderer gesellschaftlicher Kräfte wie insbesondere der organisierten
Arbeiterbewegung kritisch vergleicht. Das ist ein Akt der
Aufklärung, den man nur begrüßen kann, auch wenn man das
Resistenzpotential im Protestantismus skeptischer einschätzt.
Meiers konsequent historisierende Barmen-Deutung führt zu kritischer
Abgrenzung von verbreiteten innerprotestantischen Widerstandsideologien
, denen zufolge der theologisch-kirchenpolitische
Kampf der BK-Gruppen gegen deutschchristliche Überfremdung der
Volkskirche und gegen die Reichskirche der Intention nach gleichbedeutend
mit politischem Widerstand gegen den nationalsozialistischen
Staat gewesen sei. Schon in seiner Dissertation erwies sich
für Meier „die politische Vorstellungswelt von Deutschen Christen
und nicht weniger Glieder der Bekennenden Kirche . . ., unbeschadet
der divergierenden theologischen Positionen, nicht selten als
deckungsgleich" (8).

Wer so deutlich wie Meier die politischen Schwächen weiter Kreise
der „Bekennenden Kirche" benennt und zugleich das strukturelle
Resistenzpotential auch solcher volkskirchlicher Milieus hervorhebt,
die die „deutsche Revolution" der Nationalsozialisten zunächst
unterstützt haben, steht leicht im Verdacht, mit der Zerstörung der
bekenntniskirchlichen Widerstandslegenden nur einer Legitimationshistoriographie
der Volkskirche Vorschub leisten zu wollen. Wichtiger
als eine solche innertheologische Problematisierung seines Forschungsansatzes
dürfte aufgrund seines Interesses, dogmatische Engführungen
in der kirchlichen Zeitgeschichtsschreibung zu überwinden
, jedoch die Klärung der Frage sein, in welchem theoretischen

Bezugsrahmen Meier die ihm vorschwebende stärkere Vernetzung
kirchlicher Zeitgeschichtshistoriographie mit „gesellschaftsgeschichtlichen
" Fragestellungen überhaupt zu vollziehen sucht. Weder orientiert
er sich einfach an einem klassisch marxistischen Paradigma noch
auch an einer modernisierungstheoretischen Perspektive, wie sie insbesondere
im Gefolge M. Webers entwickelt worden ist. Gerade für
Meiers zentrales Thema, die unterschiedlichen Reaktionen konkurrierender
protestantischer Milieus auf Krisenphänomene gesellschaftlicher
Modernisierung, dürfte die Aufnahme modernisierungstheoretischer
Problemstellungen produktiv sein. Denn dann können unterschiedliche
Kirchenbilder miteinander systematisch verglichen werden
, ohne einen normativ vorausgesetzten Kirchenbegriff dogmatisch
zu privilegieren.

Augsburg Friedrich Wilhelm Graf

Kirchliche Zeitgeschichte (KZG). Internationale Halbjahrcsschrift für
Theologie und Geschichtswissenschaft. 1. Jahrgang. Heft 1/1988.
Themenschwerpunkt: Der Widerstand von Kirchen und Christen
gegen den Nationalsozialismus. 208 S. Heft 2/1988. Themenschwerpunkt
: Theologie und Politik. S. 209-431. Göttingen: Van-
denhoeck & Ruprecht 1988. gr.8°. Jahresabbonement DM 68,-.

Es entspricht der Bedeutung der kirchlichen Zeitgeschichte, daß ihr
ein eigenes Organ zur Verfügung steht. Dies ist nun seit 1988 der Fall:
•inzwischen sind zwei Hefte der neuen Internationalen Halbjahresschrift
für Theologie und Geschichtswissenschaft „Kirchliche Zeitgeschichte
" (KZG) im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht erschienen.
Der Herausgeberkreis zeigt ein breites Spektrum in wissenschaftlicher
, kirchlicher und geographischer Hinsicht. Ob für alle wichtigen
Stimmen heutiger kirchlicher Zeitgeschichtsforschung Raum sein
wird, kann erst die weitere Entwicklung zeigen. Die bisherigen Beiträge
lassen bereits erkennen, daß in dieser Forschungsarbeit ein
höherer Grad wechselseitiger Herausforderung zu erwarten ist als auf
anderen historischen Feldern. Das entspricht eben dem besonderen
Gegenstand „Kirchliche Zeitgeschichte", erhöht aber zugleich auch
die Verantwortungaufallen Seiten.

Heft 1, 1988, ist dem Verleger Günther Ruprecht zum 90. Geburtstag
gewidmet - ein glücklicher Gedanke, der zugleich den verlegerischen
Einsatz von Vandenhoeck & Ruprecht für dieses neue Zeitschriftenprojekt
in dieser Zeit unterstreicht. Die bisher erschienenen
Hefte haben jeweils einen Themenschwerpunkt. Damit wird eine bei
Zeitschriften häufiger werdende Praxis auch für die KZG übernommen
. Auf jeden Fall ist dieses Verfahren leserfreundlich; ob es stets
den Fortgang der Forschung direkt fördert, wird sich zeigen. In Kauf
genommen werden muß, daß auch einmal ein Beitrag erscheint, der in
strengem Sinne nicht zum Thema gehört.

Heft 1, 1988. hat den Themenschwerpunkt: ..Der Widerstand von Kirchen
und Christen gegen den Nationalsozialismus". Dazu gibt es sechs Aufsätze:

K. von Klemperer: Reflections and Reconsiderations on the German
Resistance (13-28); P. Stein bach: Widerstandsdiskussion und Widerstandsforschung
im Spannungsleid politischer Entwicklungen (29-49); G. Besier:
Widerstand im Dritten Reich - ein kompatibler Forschungsgegenstand für
gegenseitige Verständigung heute? Anfragen aus historisch-theologischer Perspektive
(50-67); R. P. Ericksen: Widerstand als ambivalenter Gegenstand
historischer Forschung: Am Beispiel der evangelisch-theologischen Fakultät
der Universität Göttingen (68-78); T. Austad: Der Widerstand der Kirche
gegen den nationalsozialistischen Staat in Norwegen 1940-1945 (79-93); E.-A.
Scharffenorth: Die Aufgabe der Kirche in Kriegszeiten. Der Einsatz von
George Bell und Gerhard Leibholz für eine konstruktive Deutschlandpolitik
Großbritanniens 1941-1943(94-1 15).

Außerdem gibt es folgende Sparten: Zur Diskussion, Essay, Miszellen. Dokumentation
(G. Besier [Hg.]: Ökumenische Mission in Nachkriegsdcutschland.
Die Berichte von Stewart W. Herman über die Verhältnisse in der evangelischen
Kirche 1945/46. 1. Teil), Forschungsberichte, Buchbesprechungen,
Hochschulschriften, Nachrichten, Vorschau.

Der Themenschwerpunkt von He/i 2, 1988, lautet: Theologie und Politik.
Diesmal gibt es drei Aufsätze:

G. Ringshausen : Die lutherische „Zweireichelchre" und der Widerstand