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Ausgabe:

1989

Spalte:

592-593

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Limbeck, Meinrad

Titel/Untertitel:

Matthäus-Evangelium 1989

Rezensent:

Luz, Ulrich

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Theologische Literaturzeitung 1 14. Jahrgang 1989 Nr. 8

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gieschluß ein wesentliches Element der historischen Kritik des AT ist.
Für dieses Programm ist der erste Aufsatz grundlegend: "The Evolution
ofthe Pentateuchal Narratives in the Light ofthe Evolution ofthe
Gilgamesh Epic" (21 -52). Eine kurze Darstellung der Geschichte der
Pentateuchkritik führt zu der grundsätzlichen Frage: Entsteht auf
diese Weise altorientalische Literatur? Zur Beantwortung dieser Frage
bietet sich für T. das Gilgamesch-Epos deshalb an, weil es als
"heroepic" mit dem Abraham- oder Mose-Erzählungskreis vergleichbar
sei. Der Werdegang aber des Gilgamesch-Epos zeige, daß die Ergebnisse
der Literarkritik realistisch sind. Denn sein Überlieferungsprozeß
lasse deutlich die Verarbeitung literarischer Quellen erkennen,
wobei in älterer Zeit mit diesen Quellen viel freier umgegangen wird
als auf der jüngeren und jüngsten Überlieferungsstufe, wo die Texte
schon fester verformt waren. Hierbei wachse die Zahl stilistischer und
inhaltlicher Spannungen, die aus der Verschiedenheit der verarbeiteten
literarischen Quellen einleuchtend erklärt werden könne. T. selbst
sieht den Wert dieses Vergleichs mit Eißfeldt (Einleitung41976, 320)
darin, daß „die Gesamtbetrachtung" der Entstehung des Pentateuchs
durch das Werden und Wachsen des Gilgamesch-Epos bestätigt wird.

Im zweiten Aufsatz geht Tigay der "Conflation as a Redactional
Technique" (53-95) nach. Zu den Redaktionstechniken im Penta-
teuch, wie sie eben auch die Urkundenhypothese voraussetzt, gehört
auch die ,,Kombinationsmethode" verschiedener Texte durch Ein-
schmelzung, wofür beispielhaft auf Gen 6,5-8,17 verwiesen wird. Die
empirischen Modelle hierfür sind: das Sabbatgebot in 4 QDeut"
.5,12-15, eine Dublette in der LXX des Esther-Buches, Ex 18 u. 20 im
Samaritanus und Beispiele aus der nachbiblischen und der modernen
Literatur. Aus allen Texten ist zu ersehen, daß Unausgeglichenheiten
auf eine solche Verschmelzung verschiedener Texte zurückgehen
können.

Der dritte Beitrag kommt aus der Feder von Tov: "The Composi-
tion of 1 Samuel 18 in the Light of the Septuagint" (97-130). Er zeigt
an Hand des kürzeren und deshalb eine frühe Textgestalt bezeugenden
LXX-Textes,daß lSam 16,17-18,30 aus zwei'voneinander unabhängigen
Erzählungsversionen komponiert wurde. Dieser Nachweis
stützt die Vermutung, Texte der Sam-Bücher mit ähnlichen Merkmalen
ebenso zu interpretieren.

Rofe illustriert an "Joshua 20" die "Historico-Literary Criticism"
(131-147). Die Richtigkeit der bisherigen literarkritischen Analyse
von Jos 20 ergibt sich aus Vergleichen mit Num 34 und Deut 4; 19.
Sic führen zu der Vermutung, daß eine noch vollständig erhaltene
Grunderzählung der P durch Dtr ergänzt wurde, weil in LXX
v. 4-5.6* fehlen. Daraus wird gefolgert, daß der P-Text in
Num 35,9-15 vorliegt und daß v..16-24 und v. 25-34 spätere Zusätze
sind.

Der nächste Beitrag stammt wieder von Tigay: "The stylistic
Criterion of Source Criticism in the Light of Ancient Ncar Eastem
and Postbiblical Literature" (149-173). In steter Auseinandersetzung
mit den "Harmonizers" und unter sorgfältiger Auswertung altorientalischer
und talmudischer Textbeispielc wird zusammenlässend festgestellt
: Stilistische Auffälligkeiten sind alsalleiniges Kriterium für die
Pentateuch-Kritik zu schwach; treten sie aber zusammen mit anderen
Anzeichen auf, stellen sie wertvolle Hilfen für den Kritiker dar.

Zakovitch geht der "Assimilation in Biblical Narratives" (175 bis
196) nach. Er bezeichnet damit den Vorgang, daß die Ähnlichkeit
zweier Erzählungen durch sekundäre Entlehnungen noch vergrößert
wird. Dieses kann an biblischen Stoffen beobachtet werden, die in der
Wiedergabe durch die LXX, die Apokryphen und 'osephus eine derartige
Ausgestaltung erfahren haben. Schließlich führt Z. eine Reihe
fraglicher Texte vor, deren stilistische Eigenheiten daraufhindeuten,
daß auch hier Assimilation vorliegt.

Cogan stellt "The Chronicler's Use of Chronology as Illuminated
by Neo-Assyrian Royal Insciptions" (197-209) dar und zeigt auf, daß
Datierungen und die Abfolge von Ereignissen in verschiedenen
Chron-Tcxten literarische Ausdrucksmittel sind, die keine historische
Ausdeutung zulassen.

Tov wendet sich "The Litcrary History of the Book of Jeremiah in
the Light of Its Textual History" (211-237) zu. Auf Grund der Überzeugung
, daß der kürzere, auch in Qumran bezeugte LXX-Text von
Jer der ursprüngliche ist, wird die längere MT-Version als Edition II
verstanden und in einem sorgfältigen Vergleich ihre "Editorial
Aspects" erhoben.

Mit "Summary and Conclusions" schließt Tigay diesen Band ab.
Er faßt noch einmal die Hinweise der verschiedenen Beiträge zusammen
und wertet sie als Bestätigung der wichtigsten Hypothesen
der bisherigen literarkritischen Arbeit am AT. Das gilt sowohl für die
Urkunden- als auch für die Ergänzungshypothese; aber auch die Assimilation
wird als eigenständiges Modell erhärtet. Dabei liegt alles Gewicht
auf der Tatsache, daß es in den Literaturen des alten Vorderen
Orients empirische Modelle für die Hypothesen der Literarkritik gibt
und alle Literarkritiker ermutigt werden, nach solchen Analogien
Ausschau zu halten, um daraus zu lernen. Zugleich wird durch diese
kritische Textanalyse die Arbeit des Redaktors oder der Redaktoren
viel durchsichtiger, kann doch sein bzw. ihr Werk als "a new
creation" bezeichnet werden.

Anhangsweise ist dem Buch der Aufsatz von George Foot Moore
"Tatian's Diutessaron and the Analysisof the Pentateuch" (243-256)
aus JBL 1890 beigegeben. Abkürzungs- und Literaturverzeichnis sowie
Indices beschließen diesen Band.

Das ausführliche Referat ist veranlaßt durch den ungemein anregenden
Gehalt dieses Sammelbandes. Er weist nachhaltig auf eine
Lücke der bisherigen literarkritischen Arbeit hin, zeigt den Weg zu
ihrer Schließung und geht auf ihm erste Schritte voran. Gewiß sind die
verschiedenen Aspekte der hier angestellten Vergleiche unterschiedlich
gewichtig. Durch Bemerkungen des Hg., die dem jeweiligen Beitrag
vorangestellt sind, wird eine Integration der Einzelbciträge in das
Gesamtkonzept herbeigeführt. Aufs Ganze gesehen, ist somit ein erstaunlich
geschlossenes Werk entstanden, das der nun schon längere
Zeit anhaltenden Pentatcuch-Debatte - aber nicht nur dieser - neue
Impulse zu verleihen vermag. Denn wenn es gelungen ist, wie der Hg.
zuversichlich urteilt, die Grundsätze der Literarkritik empirisch erhärtet
und somit dieser Methode durch die Analogie etwas von ihrer
Hypothetik genommen zu haben, so wäre das ein gewaltiger Schritt
nach vorn. Und das räumt dem Buch einen vorderen Platz in der alt-
testamentlichen Wissenschaft ein.

Corrigcndum: Die Tafel auf S. 130 sieht köpf.

Greift waM Hans-Jürgen Zobel

Neues Testament

Limbeck. Meinrad: Matthäus-Kvanfjtlium. Stuttgart: Kath. Bibelwerk
1986. 312 S. 8' = Stuttgarter Kleiner Kommentar - Neues Testament
I -. Kart. DM 24,-.

Ein so langes Evangelium wie das Matthäusevangelium in einer
Reihe wie dieser zu kommentieren ist keine leichte Aufgabe. Allgemeinverständlich
, und das heißt: den Informationsstand „Null-plus".
den der durchschnittliche heutige I^aien-Bibellcser mitbringt, voraussetzend
, und wirklich kurz muß ein solcher Kommentar in dieser
Reihe sein. Was beides bedeutet, kann man erst ermessen, wenn man
bedenkt, wie sich die Gattung Kommentar in den letzten fünfzig
Jahren entwickelt hat: Die Kommentare werden immer länger, zunehmend
mehrbändig. Die traditionell allgmeinverständlichen
Kommentare werden immer professioneller, weil die Fachcxegetcn,
die sie schreiben, ihr Vorwissen beim Leser schlicht voraussetzen. So
ist z. B. der traditionelle Laienkommentar „Das Neue Testament
Deutsch" zum typischen Theologiestudentenkommentar geworden.
In dieser Situation ist ein wirklich „Kleiner Kommentar" zugleich ein
mutiges und nötiges Unternehmen.

Limbecks Grundproblem war also nicht so sehr ein theologisches,
sondern ein didaktisches. Wie hat er es gelöst? Er hat sich dafür ent-