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Ausgabe:

1989

Spalte:

35-36

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Wolter, Michael

Titel/Untertitel:

Die Pastoralbriefe als Paulustradition 1989

Rezensent:

Trummer, Peter

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 1 14. Jahrgang 1989 Nr. 1

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englischer Bibelwissenschaft im Dienste dieses für den christlichen
(Hauben so zentralen Textes darstellt (vgl. den schönen Schluß des
Vorworts. S. VIII).

Jena/Naumburg (Saale) Nikolaus Walter

Wolter, Michael: Die Pastoralbriefe als Paulustradition. Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht 1988. 322 S.gr. 8' = FRLANT. 146. Lw.
DM 98,-.

Obwohl in letzter Zeit wieder bestritten1, sieht W. die Pastoralbriefe
(= Past) zu Recht als Schreiben eines einzigen nachpaulinischen
Autors und - trotz der Eigenart, besonders des 2Tim - nach meinem
Vorschlag2 als Corpus pastorale (17ff). Da nach der fiktiven Briefsituation
2Tim das Ende der Sammlung markiert, ist nur zu klären,
welcher der beiden restlichen Briefe das Corpus eröffnet. W. entscheidet
sich mit guten Gründen für 1 Tim (21) und nennt als Motiv seiner
Verdoppelung durch Tit die paarweise auftretenden Boten bzw. Zeugen
(201 0- Diese beiden Schreiben sind paränetische Briefe an Einzelpersonen
(132. 138, 155). die über ihre Adressaten eigentlich die
Gemeinde ansprechen bzw. einbeziehen (156. 161). Die Adressaten
selbst bekleiden kein aktuelles Gemeindeamt (I98IT). sondern haben
die Aufgabe, den Abstand zwischen Paulus und der nachapostolischen
Zeit zu überbrücken (980- 1 Tim hat den ordinierten, Tit hingegen
den nichtordinierten Empfänger im Blick (189ff), während der
2Tim nicht nur Testament, sondern Freundschaftsbrief ist (206-214),
der von der Gemeinde absieht (147).

Von dieser Gesamtanlage her gewinnt W. in lTim 1,12-17 den
Sehlüsseltext für das ganze Corpus. Diese erste Selbstvorstellung des
Pastoralen Paulus präsentiert ihn nicht nur als Vorbild des nachpaulinischen
Amtsträgers (den ich übrigens ja noch eher als „Laien" sehe!),
sondern als ersten der geretteten Sünder und damit als Prototyp des
Heils für alle Glaubenden (27-64). Diese heilsgeschichtliche Priorität
des Paulus begründet auch seine Autorität und bestimmt sein Verhältnis
zur - eigentlich Gott anvertrauten - Überlieferung, deren Unantastbarkeit
nicht in ihrem Inhalt, sondern in der Treue des Paulus und
der Empfänger gründet (I 170. wie auch der Autor der Past unter den
„treuen Menschen" (2Tim 2,2) zu suchen ist (25). Kurz: Die Past
enthalten nicht Paulustradition, sie.s;Wes (96).

Verfolgte meine „Paulustradition der Past" (Frankfurt 1978 = BET,
8) vor allem die literarischen Bezüge zwischen Paulus und den Past,
so arbeitet W. stärker formgeschichtlich und bringt beachtenswerte
hell.-röm. Analogien zum Briefcorpus als solchem (19f). Anklänge
aus dem Depositalrecht (115) oder kaiserlichen Mandaten u. ä.
(164-177). Darüber hinaus befruchtet er die Auslegung der Past um
viele Details, z. B. .zurücklassen' (Tit 1.5) als 1.1. für die Einsetzung
von Stellvertretern (183). .nicht vernachlässigen' (lTim4.14) bzw.
.erstarken' (2Tim 2.1) als verbreitete Begriffe einer Amtsübernahme
(185-188. 21 5ff). und besonders das oft mißdeutete .Wiederaufflammen
' von 2Tim 1,6 gilt nicht mehr einem mutlos gewordenen Apostelschüler
, sondern beschreibt die Situation der Nachfolge:.Entsprechend
dem Vorbild Mose-Josua wird die durch Handauflcgung vollzogene
Designation (und nicht Geistverleihung!) nach dem Tod des
Vorgängers rechtswirksam (218-222).

W., der die Berechtigung der von den Past reklamierten Paulus-
tradition betont (1010. subsumiert darunter zu rasch das gesamte
Textmaterial der Past. unter dem sich auch „Nichtpaulinisches" findet
. Vage bleibt auch das Verhältnis der Gemeinde zur Gnosis
(256-268) und entgegen dem Grundsatz, daß „nachapostolisch" nur
zeitlich und nicht wertend gemeint sei (97). schwingen im abschließenden
Urteil doch wieder entschuldigende Untertönc mit: Als eine
der Denunziation ausgesetzte Minderheit habe die Paulusgcmcinde
doch in einigem von ihrem Gründerapostcl abweichen müssen (2670-
Damit wird aber die innere Spannung dieser eigenartigen Paulustradition
zwischen der Bewahrung des Corpus paulinum und der schöpferischen
Freiheit ihrer Neuinterpretation im Corpus pastorale doch zu
wenig ersichtlich.

Trotz dieser Einwände sind wir mit W.s Arbeit im Verständnis der
Past als nachpaulinischer Schreiben um ein entscheidendes Stück vorangekommen
, fürwahr keine Selbstverständlichkeit, wo für viele
Pseudcpigraphic in der Bibel noch immer unerhört ist.

Graz Peter Trümmer

' Vgl. Roland Schwarz: Bürgerliches Christentum im NT? Eine Studie zu
Ethik. Amt und Recht in den Past. Klosterncuburg 1983. 22-25 (=ÖBS. 4) und
Peter Hofrichter'. Strukturdebatte im Namen des Apostels. Zur Abhängigkeit
der Past untereinander und vom IPetr. in: Anlange der Theologie (FS. J. B.
Bauer) hg. v. Norbert Bro.x u. a„Graz 1987. 101-I 16.

" Corpus Paulinum - Corpus Pastorale. Zur Ortung der Pauluslradition in
qden Past. in: Paulus in den ntl. Spätschriften, hg. v. Karl Kertelge, Freiburg
1981,122-I45(=QD.89).

Jones. F. Stanley: „Freiheit" in den Briefen des Apostels Paulus. Eine
historische, exegetische und religionsgeschichtliche Studie. Göttingen
: Vandenhoeck & Ruprecht 1987. 301 S. gr. 8" = Göttinger
Theologische Arbeiten, 34. Kart. DM 62,-.

Das Buch - eine erweiterte Göttinger Dissertation - folgt in einer
kurzen Forschungsübersicht und in der exegetischen Entfaltung der
Arbeit den drei Fragen: nach der Bedeutung der Freiheitsgedanken
innerhalb der paulinischen Theologie, nach dem theologiegeschichtlichen
Ort derselben innerhalb des Urchristentums und nach ihrem
Zusammenhang mit der antiken Religions- und Geistesgeschichte.
Die Untersuchung beschäftigt sich ausschließlich mit denjenigen
Stellen in den echten Paulusbriefcn. in denen Wörter vom Stamm
eleuther- vorkommen.

In chronologischer Folge werden beide Kor. Gal und Rom behandelt
. Der Vf. zeigt, daß in ihnen keine einheitliche Bedeutung der Freiheitsgedanken
des Paulus zu finden ist. vor allem nicht die traditionelle
„Freiheit vom Gesetz, von der Sünde und vom Tod", ja dal! der
Begriff der Freiheit keine zentrale Stelle in der Theologie des Apostels
einnimmt.

Da in einer kurzen Besprechung einer Arbeit mit reichen, oft überraschenden
exegetischen und religionsgcschichtlichen Details nicht
auf Einzelheiten eingegangen werden kann, sollen nur einige Resultate
angeführt werden. Sozial-politisch erscheint der Freiheitsgedanke
(Sklaven-Freie) in lKor7,2lf; 12,13; Gal 3,28; 4,22f, wobei dem
christlichen Sklaven in 1 Kor 7,21 f „innere" Freiheit als Trost zugesagt
wird, was an stoisch-kynische Gedanken erinnert. Wo Paulus von
seiner eigenen Freiheit redet (lKor9,19), ist seine finanzielle Unabhängigkeit
gemeint, die den Apostel frei macht gemäß sokratischen
Idealen. 1 Kor 9,1 und 10.29 weisen wahrscheinlich auf ein Freiheitsverständnis
hin. das die Korinther aufgrund ihres monotheistischen
Bekenntnisses (dem eine christliche Begründung fehlt) Für sich in
Anspruch nehmen, nämlich die Freiheit von den Göttern, die ihnen
erlaubt, auch geweihtes Fleisch zu essen. Paulus übernimmt diesen
Freiheitsgedanken im Gal im Zusammenhang mit dem Stoicheia-
dienst und wendet ihn auch auf das Gesetz an. Der Vf. sieht hier wie
überall hellenistische Einflüsse im Hintergrund. In 2Kor3.17 will
Jones ..die Freiheit" mit der „parrhesia" identifizieren und vergleicht
dazu kynische Gedanken. Allgemein hellenistischem Verständnis
entsprechen Gal 2,4; 5,13; Rom 8.2 im Sinne von „Freiheit zu tun,
was man will": die Freiheit, die die Möglichkeit der Wahl, der Entscheidung
eröffnet. Von Rom 8.21 her möchte Jones Gal 4,26 erklären
als Freiheit von der Vergänglichkeit gemäß hellenistisch-jüdisch'
apokalyptischem Denken, das Paulus vielleicht schon vor seinem
Christwerden bekannt waren. „Neutraler" Gebrauch der Freiheit erscheint
in Rom 6.18-22 im Sinne von „Freiheit von Verpflichtung
".

Alle diese Aussagen zeigen, daß Freiheit in den paulinischen Briefen
nicht in der Bekehrung des Paulus, in seiner Tauftheologie oder in
den „In-Christus"-Gcdanken. im Zusammenessen von Juden- und
Heidenchristen oder in apokalyptischer Ideologie gründen. Ansätze