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Ausgabe:

1989

Spalte:

551-553

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Krusche, Günter

Titel/Untertitel:

Bekenntnis und Weltverantwortung 1989

Rezensent:

Huber, Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 114. Jahrgang 1989 Nr. 7

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turgisch" verstandenen und gestalteten Gottesdienst entwickelt - eine
Vokabel, die der Vf. in einem Aufsatz des Rez. aufgespießt hat und die
er nun mit dem Odium „des Unechten, des bloß ,Gespielten', vielleicht
sogar Entfremdeten" (91) belädt. Die hier aufgebaute Alternative
ist-mit Verlaub gesagt - wenig reflektiert; sie nimmt wiederum
nichts von dem zur Kenntnis, was je zu dieser sehr ernsthaften, lebensnotwendigen
Beschäftigung des homo ludens gesagt wurde. Hier (wie
auch bei der Auseinandersetzung mit der Vorstellung vom Gottesdienst
als „Kultdrama") rächt sich, daß die Reflexionsebenen nicht
deutlich unterschieden werden; wird alles auf einer (vorgeblich theologischen
) Ebene verhandelt, wird alles schief - auch die Theologie.
Das alles ist kein Einwand gegen das Ziel, der Gemeinde zum „Selber
sagen" (96), das heißt, zu authentischer Rede zu verhelfen. Falsch sind
wieder nur die Alternativen, die aufgebaut werden, zum Beispiel
Ästhetik versus Authentizität (97).

Im Kapitel „Leib in Sicht" (102 ff) zeichnet sich dann schon deutlich
jener eingangs beschriebene Traum-Gottesdienst ab; es geht um
die „Möglichkeit der gottesdienstlichen Gemeinde, ihrer Gemeinschaft
Gestalt zu geben". Agendenkritische Überlegungen zur Gottesdienstordnung
(„Plädoyer für eine offene Agende", 123ff) schließen
sich an, bringen bedenkenswerte Anregungen, übergehen aber wieder
zu rasch psychosoziale Einwände (zum Beispiel das „Bedürfnis nach
Wiederholung", Ritualität als anthropologische Kategorie usw., 128)
mit dem supranaturalistisch eingefärbten Hinweis auf das Wirken des
Heiligen Geistes. Kann und darf man so mit den grundlegenden Bestimmungen
der conditio humana (hier: der. zyklischen Struktur der
Zeiterfahrung, 129) umgehen?

Das letzte Kapitel bestimmt den Gottesdienst als das „Herz der
Gemeinde" (143 ff), das jenen „Hin- und Rückstrom" (152) in Gang
hält (der Vf. beruft sich ausdrücklich auf E. Lange, 152f), in dem
„gottesdienstorientierter Gemeindeaufbau" (162) geschieht. Auch
hier ist der Zugriff auf den einzelnen total: Das „angebliche Bedürfnis
mancher Gemeindeglieder nach einem Alleinsein im Gottesdienst"
wird als „Krankheit" denunziert, die zu bekämpfen und zu heilen ist
(161). „Theologie der Gottesdienstgestaltung": Was ist das für eine
Theologie, die so das Gespür für lebensnotwendige Spannungen (und
Entspannungen) und damit verbundene Dialektik vermissen läßt?

Berlin Karl-Heinrich Bieritz

Ökumenik: Allgemeines

Krusche, Günter: Bekenntnis und Weltverantwortung. Die Ekklesio-
logiestudie des Lutherischen Weltbundes - Ein Beitrag zur ökumenischen
Sozialethik. Berlin: Evang. Verlagsanstalt 1986. 254 S.
gr. 8 Kart. DDR M 17,-; Ausland DM 22,-.

In vielen Hinsichten handelt es sich bei dieser Veröffentlichung um
ein ungewöhnliches Buch. Der Vf. hat es in eben der Zeit als Promotionsarbeit
an der Leipziger Theologischen Fakultät eingereicht, als er
von der Aufgabe eines Dozenten für Praktische Theologie im Berliner
Sprachenkonvikt in das Amt des Generalsuperintendenten für Berlin
wechselte. Er beschreibt den Zusammenhang zwischen ökumenischer
Sozialethik und Ekklesiologie im Blick auf Entwicklungen und Studienprojekte
der siebziger und frühen achtziger Jahre, an denen er
selbst an herausgehobener Stelle beteiligt war. Und er widmet dieses
Buch den beiden Generalsekretären des Ökumenischen Rates der Kirchen
und des Lutherischen Weltbundes, die in eben jener Phase der
ökumenischen Entwicklung unmittelbare Verantwortung trugen:
Philip Potter und Carl Mau. Es handelt sich um ein zugleich engagiertes
und kompetentes, ein informatives und nachdenkliches Buch.

Krusches Hauptthese heißt: Die Entwicklung der ökumenischen
Sozialethik wirft notwendigerweise die Rückfrage nach dem Auftrag
der Kirche in der Welt auf. Ökumenische Sozialethik und Ekklesiologie
lassen sich nicht voneinander trennen. Die ekklesiologische
Schlüsselfrage heißt: „Welche Rolle spielt die Kirche in der Geschichte
Gottes mit den Menschen und welche Rolle hat sie zu spielen
"?

Diesen Zusammenhang entfaltet der Vf. in drei Schritten. Der erste
Teil stellt den Entwicklungsgang der sozialethischen Debatte im Ökumenischen
Rat der Kirchen seit der Ersten Vollversammlung 1948 bis
zur Wende von den siebziger zu den achtziger Jahren dar (S. 17-87).
Auf knappem Raum gelingt Krusche eine konzentrierte und anschauliche
Analyse der wichtigsten Diskussionsphasen von der „verantwortlichen
Gesellschaft" über die „verantwortliche Weltgesellschaft" bis
zur "just, participatory and sustainable society". In all diesen Etappen
begegnet immer wieder die Frage nach dem Selbstverständnis der Kirche
in ihrem Verhältniszurgesellschaftlichen Entwicklung.

Der zweite Teil schildert die Ekklesiologiestudie des Lutherischen
Weltbundes als Beitrag zu einer ökumenischen Sozialethik
(S. 88-129). Die von der Studienkommission des LWB zwischen den
Vollversammlungen 1970 in Evian und 1977 in Daressalam verantwortete
Studie über "The Identity of the Church and its Service to the
Whole Human,Being" arbeitete heraus, daß die Identität der Kirche
nicht abseits ihrer Weltverantwortung definiert und bewahrt werden
kann. Diese Einsicht mußte insbesondere angesichts der Herausforderung
durch die Apartheid in Südafrika mitsamt ihren innerkirchlichen
Auswirkungen bewährt werden; die Erklärung der Apartheid
zum Status confessionis durch die Vollversammlung 1977 wird deshalb
im Zusammenhang mit der Ekklesiologiestudie dargestellt.

Der dritte Teil schließlich konkretisiert den Zusammenhang
zwischen der Identität der Kirche und ihrer Verantwortung im politisch
-gesellschaftlichen Zusammenhang am Beispiel der Friedensverantwortung
der Kirche. Das wird an der Diskussion zwischen 1979
und 1983 veranschaulicht; der Vf. berücksichtigt insbesondere die Prozesse
der. kirchlichen Urteilsbildung im Ökumenischen Rat der Kirchen
, im Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR und in der Evangelischen
Kirche in Deutschland. Ein 1985 geschriebener Ausblick
erörtert die Hoffnungen auf ein ökumenisches Konzil des Friedens.

Dieser dritte Teil ist deshalb von besonderem Gewicht, weil er,
ausgehend von den Erfahrungen im Feld der kirchlichen Friedensverantwortung
, manche Ergebnisse weiter differenziert und präzisiert, die
sich aus der Ekklesiologiestudie <J,es LWB ergeben haben. Bemerkenswert
ist die Zurückhaltung, mit der Krusche auf den Begriff des Status
confessionis reagiert. Seine Unschärfe und seine inflationäre Verwendung
sind Anlaß zu dieser Zurückhaltung. In deutlicher Parallele zu
gleichzeitig auch in der Bundesrepublik Deutschland angestellten
Überlegungen formuliert Krusche als Ergebnis: „Daher ist die Friedensverantwortung
der Kirche nicht mit der punktuellen Ausrufung
des Status confessionis abgegolten. Sie bedarf eines permanenten
Prozesses des Bekennens" (S. 167).

Ähnliche Differenzierungen ergeben sich auch im Blick auf d>e
Ekklesiologie. Krusche knüpft an diejenigen Überlegungen an, die
zwischen vier elementaren Gestalten der Kirche unterscheiden: der
Universalkirche bzw. kirchlichen Föderation, der Regionalkirche, der
Ortsgemeinde, der Gruppe. Doch er warnt davor, den Gruppen in der
Kirche einen ekklesiologischen Sonderstatus als „Nachfolgegruppen
zu geben, in denen sich Anspruch und Wirklichkeit der Nachfolge
Jesu reiner verwirklichen als in anderen Gestalten der Kirche. Hier
wie an anderen Stellen bewährt sich die Absicht des Vf., die Aufmerksamkeit
für die empirische Realität der Kirche und die komplexen
Bedingungen, unter denen sie lebt, unverkürzt im theologischen
Urteil zurGeltung kommen zu lassen.

Insgesamt handelt es sich um ein ermutigendes Buch. Es zeigt, daß
die Zuwendung zu den Problemen und Nöten der politisch-gesellschaftlichen
Entwicklung nicht auf Kosten theologischer Intensität zu
gehen braucht, sondern daß sich im gelungenen Fall beides zu einer
überzeugenden Einheit verbindet. Es zeigt zugleich, daß die ökumenische
Diskussion der letzten beiden Jahrzehnte hinsichtlich des Verhältnisses
von Sozialethik und Ekklesiologie zu Klärungen geführt
hat, an denen weiterzuarbeiten sich lohnt.

Es handelt sich zugleich um ein besonnenes Buch. Krusche urteilt