Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1989

Spalte:

548-549

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Matthäus, Markus

Titel/Untertitel:

Lukas 1989

Rezensent:

Winkler, Eberhard

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

547

Theologische Literaturzeitung 114. Jahrgang 1989 Nr. 7

548

Predigt zu wecken. In vier Fällen fungieren statt eines Bibeltextes ein
Thema, ein Bild oder ein Gedicht als Vorgaben. Für die Bonhoeffer-
Wirkungsgeschichte ist hinzuweisen auf eine Silvesterpredigt über
Bonhoeffers „groot Gloobensgedicht" von der Jahreswende 1944/45
mit dem Versuch einer Übertragung ins Niederdeutsche (S. 92 f; vgl.
auchS. 86 u. 277).

Plattdeutsch als Bibel- und Predigtsprache? Bei seiner verstärkten
kirchlichen Renaissance seit etwa zwanzig Jahren kann das Niederdeutsche
sich nicht mehr - wie berechtigterweise noch im 19. Jh. -
dadurch legitimieren, daß einzig mittels seines Gebrauches das Evangelium
bestimmten Gemeinden oder Menschengruppcn in ihnen
nahegebracht werden könne. Dieser sozial-hermcneutischc Impuls
niederdeutscher Predigttätigkeit ward überholt, seitdem für alle
Gemeindeglieder-dies mindestens seit der Dominanz elektronischer
Medien - das Hochdeutsche zu einem allgemein genutzten Kommunikationsmittel
geworden ist. Der Gebrauch des Plattdeutschen in
niederdeutsch geprägten Kirchgemeinden kann also heute nur als Teil
einer sprachlichen Doppelstrategie begründet und praktiziert werden
.

Für eine kritische Analyse plattdeutscher Predigten lassen sich zwei
Leitfragen stellen: 1. Wird das plattdeutsche Sprachmedium in einer
solchen Weise verwendet, daß es in Predigtprozesse der Gegenwart
eigene Töne einbringt, spezifische Elemente, durch die das Plattdeutsche
sich, linguistisch und soziolinguistisch gesehen, von der
Hochsprache zu unterscheiden vermag? 2. In welchem Verhältnis
stehen solche möglicherweise positiven Elemente sprachlicher Regio-
nalisierung zur allgemeinen Urbanisierung des Lebens, wie verhalten
sich Heimat und Horizont zueinander, wie .Feldwege' zu ,Welt-
wegen'? Denn so berechtigt die Erfahrungen von Geborgenheit und
tröstender Nähe geistlich gesehen sind, so anstrebenswert darum die
Verwendung des Plattdeutschen als Kirchensprache sein kann, so sehr
ist andererseits zu warnen vor einer abseitigen oder sich flüchtenden
Heimatlichkeit, erst recht vor einer neuen Ideologie der Intimität, der-
zufolge modern-technische Entwicklungen, Rationalität oder politisch
-kultureller Liberalismus als verderbenbringende Mächte zu
perhorreszieren wären.

Was zunächst die zweite Fragestellung anlangt, so gibt es in diesem
Predigtband zwar gelegentlich ungebrochene Plädoyers für Heimat
und Brauchtum, es gibt je einmal auch eine klischeehaft-konservative
Rede über die Friedensbewegung bzw. die Kommunisten, es gibt
einige Male Optionen für die beständigen gegenüber den veränderbaren
irdischen Werten. Beherrschend jedoch sind solche Äußerungen
nicht. Durchgehend werden vielmehr zusammen mit Fragen des individuellen
Bereichs Zeitnöte als offene Problemlagen und Zukunftsaufgaben
skizziert, die anzugehen und zu bearbeiten plattdeutsche
Predigt ermutigen möchte. Das betrifft u. a. Arbeitslosigkeit, Drogensucht
, Umweltkrise, Welthungerprobleme. Besonders häufig werden
Fragen von Frieden und Abrüstung angesprochen. Neofaschismus
und Antisemitismus werden abgewiesen. Namen von aktuellen Politikern
tauchen ebenso auf wie solche von modernen Literaten. Kon-
tentanalytisch geurteilt, findet also der Vorwurf einer nostalgischen
Kirchlichkeit oder eines sprachlichen Regressionsverhaltens an diesen
Predigten schwerlich Anhalt. Einige Male wird in ihnen auch
direkt und dezidiert die Meinung abgewiesen, es gäbe eine „heele
Plattdüütsch-Welt" (S. 142).

Biblisch-theologisch gesehen, ist das Spektrum breit. Eine gewisse
Bevorzugung der Predigt des Gottvertrauens läßt sich bemerken -
möglicherweise ist sie mit hervorgerufen durch die Einstellung auf
schlichte Hörer, in deren Glaubensverständnis das Gottvertrauen eine
betonte Rolle einzunehmen scheint (vgl. Horst Albrecht, Predigen,
1985, S. 27). Auffällig selten ist eine konfrontative Verkündigung, was
aber weniger in gesuchter Hörernähe seinen Grund haben dürfte als
vielmehr in einer Gesamtrichtung gegenwärtiger kirchlicher Arbeit
überhaupt, die die Entsprechung zwischen Glaubensbotschaften und
Menschen gegenüber dem Widersprechen bevorzugt.

Was nun die Frage spezifischer sprachlicher Vermittlungsweisen

anlangt, so fällt auf, daß thematisch gegliederte Predigtverläufe relativ
selten vorkommen. Hier vorgelegte Beispiele weisen zwar aus, daß
diese homiletische Kompositionsform auch mit Plattdeutsch meisterhaft
gelullt zu werden vermag. Jedoch überwiegen Predigten,
deren Abläufe nach einem lockeren Reihungsprinzip gebaut sind.
Solch assoziativ-reihendes Verfahren ist ein Prinzip, dem auch sonst
das Redevcrhalten in schlichten und bezichungsnahen Kommunikationszusammenhängen
folgt. Die Formverläufe in den Predigten
dieses Bandes zeigen die Tendenz plattdeutscher Verkündigung,
Hörernähe und leichte Verstehbarkcit anzuzielen.

Einschränkend ist freilich im Blick auf einige Predigten des Bandes
anzumerken, daß das Reihungsprinzip auch derart auszuufern vermag
, daß wichtige Aussagen der zugrunde gelegten biblischen Texte
überdeckt oder zerfasert werden. Ein ebensolches Für und Wider
betrifft auch narrativ angelegte Predigten. Das Narrative darf als ein
Proprium plattdeutschen Sprechverhaltens betrachtet werden. Es gibt
in diesem Band Predigten, in deren narrativem Verlauf kerygmatische
Inhalte eindrucksvoll umgesetzt sind, einige andere zwar auch, die viel
vom Leben, aber dabei wenig von der Bibel erzählen. Freilich sind
solche Eingeschränktheiten nicht nur gegenüber plattdeutschen Predigten
anzumelden, können sie doch überall auftreten, wo das Wagnis
des Predigens unternommen wird. F"ür die plattdeutsche Homiletik,
der eine zusammenfassende Theoriebildung u. W. noch fehlt, wäre zu
wünschen, daß sie die Spezifika plattdeutschen Sprechverhaltens
reflektieren und zu deren rhetorischem Einsatz anleiten würde.

Was insgesamt an diesen plattdeutschen Predigten auffällt, ist der
gegenüber dem Hochdeutschen meist höhere Grad an menschlicher
Nähe, emotionaler Beziehung und seclsorgerlicher Direktheit. Formal
wird das bereits in den überwiegend gebrauchten Anredeformen
deutlich, die das ,,Du" und das „Ihr" nicht scheuen. Letztlich folgt die
Verringerung der Distanz zwischen Prediger und Hörer aus der
Sprachnatur des Plattdeutschen selbst. Dessen Güte und Grenzen als
Predigtsprache hat Jörg Wangerin in einer Predigt folgendermaßen
benannt: „De Wetenschap, de Technik, de moderne Weertschap, de
hebben sik up Hoochdüütsch rutemaakt; int Plattdüütsche is nich so
vel dacht worden; so is dat wat eng bieben, un so hett dat man blot de
Wüürd un den Snack för dat Handfastc, dat Kloore, dat Einfache un
nich för de Theorie, da heit, för all dat Spekulieren un Spintisieren. So
moet ok ein Prediger sik kloor un einfach utdrücken, ob hei dat will
oder nich. Hei kann nich so dröög snacken, as ein dat lesen oder in de
Bäuker schrieben deit. Un dat is doch wol gaud, wenn ein de kloore un
einfache Wohrheit ok kloor un einfach graad rut snacken deit."
(S. 98)

Berlin Christian Bunners

Vincon, Herbert: Spuren des Wortes. Biblische Stoffe in der Literatur.
Materialien für Predigt, Religionsunterricht und Erwachsenenbildung
. I: Matthäus - Markus - Lukas. Stuttgart: Steinkopf 1988.
560 S.8geb. DM 58,-.

Der Band enthält literarische Texte zu den Predigttexten aus den
Synoptikern, die in den Perikopenreihen (PTO) von 1978 enthalten
sind. Rund 150 Autoren von Thomas von Celano bis zur Gegenwart
sind berücksichtigt. Am häufigsten kommen Annette von Droste-
HülshofT, Luise Rinser, Matthias Claudius und Reinhold Schneider
zu Wort, aber auch kritische Stimmen wie die von Gottfried Benn,
Tilmann Moser oder Arno Schmidt finden Gehör. Manche Texte sind
eher Antitexte als positive Aufnahme biblischer Aussagen. Kritische
Anfragen an biblische Inhalte enthalten besonders die Zitate von Josef
Popper-Lynkeus. Der Herausgeber möchte die Texte nicht nur unter
dem Gesichtspunkt der Verwertbarkeit und des Nutzens für Gemeindepfarrer
und Religionspädagogen, sondern auch zur Unterhaltung
und Erbauung verstanden wissen. Er findet selber einiges „ärgerlich,
anstößig, störend, provozierend, vieles überraschend, bedenkenswert,
unverbraucht". Den Lesern wird es ähnlich ergehen. Sie sollen ermu-