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Ausgabe:

1989

Spalte:

543-544

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Rulla, Luigi M.

Titel/Untertitel:

Psychological structure and vocation 1989

Rezensent:

Klessmann, Michael

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 114. Jahrgang 1989 Nr. 7

544

Leistungsgesellschaft gilt der Mensch nur so viel, wie er leisten kann.
Unser Selbstwertgefühl darf sich jedoch nicht auf das gründen, was wir
aus uns machen, sonst überfordern wir uns ständig. Die biblische Zusage
, daß Christus für uns gestorben ist, befreit uns von der Angst und
Sorge um den Wert des eigenen Lebens" (L8). Was wir bis jetzt aus Teil
III berichteten, steht in III. 1: „Heute glauben können" - gewiß Kernstellen
des Ganzen. Daraus werden dann - vereinfacht gesagt - kirchliche
und ethische Konsequenzen gezogen: „In Gemeinschaft glauben
" (III.2) und „Den Glauben leben" (III.3). Ausgangspunkt von III.2
ist wieder die Volkskirche. Weitere Themen sind u. a.: Taufe, Konfirmation
, Erwachsenenbildung, Kirchenmusik, Gottesdienst, Diakonie
(innerhalb der Gottesdienstthematik die Predigt). In Teil III.3 muß angesichts
der Fülle von Problemen z. T. recht summarisch geredet werden
; dafür nur ein Beispiel: „Der Frieden ist ungesichert. Christen müssen
alles daran setzen, Kriege zu verhindern. Das Rüstungsdenken muß
überwunden werden. Der Friede ist politisch zu sichern. Konfrontation
muß durch Kooperation überwunden werden. Das erfordert ein Umdenken
im politischen wie im wirtschaftlichen Leben" (37).

Abschließend werden „Aufgaben" (Teil IV) genannt, und zwar
unter fünf Schwerpunkten (40-45), die insofern eine Auswahl darstellen
, als nach Überzeugung der EKD „die Erneuerung der Kirche
durch eine Besinnung auf den Glauben sich praktisch auf alle Bereiche
kirchlicher Arbeit auswirken muß" (40):

1. Bibel: Sie soll als die „leuchtende Grundlage unseres Glaubens"
in den Mittelpunkt gestellt werden (41). Ermuntert wird zu einem
Leben mit der Bibel.

2. Einladende Kirche - Einladende Gemeinden: Merkmale sind:
Gleichberechtigtes Zusammenleben von Frauen und Männern, von
Gruppen; ökumenische Partnerschaft; Öffnung der Gemeinde auch
für Kirchenferne und Zweifelnde (42).

3. Weitergabe der Glaubensbotschaft: Betont wird besonders mit
Recht die Weitergabe an die nachwachsende Generation sowie die
Gesellschaft (43).

4. Diakonie: Hinweis auf das Aufeinanderangewiesensein von
Gemeindediakonie und überörtlichen diakonischen Einrichtungen.
Die Weite des zugrundeliegenden Diakonieverständnisses zeigt sich
darin, daß hier auch der Konziliare Prozeß und die politische Verantwortung
Erwähnung finden.

5. Gottesdienst: Als „Fest des Glaubens" bezeichnet, erhält der
Gottesdienst am Schluß des Papiers noch einmal einen für das Ganze
entscheidenden Stellenwert. Die Vielfalt der Möglichkeiten wird herausgestellt
: Familiengottesdienst, Ökumenischer Gottesdienst, Festgottesdienst
. Erneuerte Agende und Neues Gesangbuch werden hoffnungsvoll
erwähnt, ebenso die sog. Kasualien.

„Glauben heute" - ein Überblick über den Inhalt dieses Dokuments
hat wohl zeigen können, daß der Ansatz beim Glauben (ebenso
wie die intensive Beziehung zum Gottesdienst) entscheidende Einsichten
ermöglichen, ohne daß eine wirklichkeitsferne Sicht von
Kirche und Welt entsteht. Wie Glaube mit Tun zusammenhängt,
hätte vielleicht an einer Stelle einmal theologisch-anthropologisch
bedacht werden müssen; da sind die Übergänge manchmal zu glatt (32
u. ö.). Wichtige Anregungen enthalten das Referat von Prof. Dr. Hans
Weder („Die Entdeckung des Glaubens im Neuen Testament"
46-53) sowie das Interview mit Bischof Dr. Kruse (54-56). In beiden
Texten finden sich u. a. wichtige Bemerkungen zum Thema: menschliche
Entscheidung.

Es bleibt zu wünschen, daß innerhalb und außerhalb der EKD weiter
über „Glauben heute" diskutiert wird, und zwar nicht nur von
Theologen.

Leipzig Ernst-Heinz Amberg

Rulla, L. M., Imoda, F., and S. J. Ridick: Psychological Structure and
Vocation. A Study of the Motivations for entering and leaving the
religious Life. Rom: Gregorian University Press; Dublin: Villa
Books 1988. XIL255 S. 8". Kart. £. 17.000.

Im Jahre 1972 stellte der Jesuitengeneral Arrupe fest: „Jede Woche
treten in die Gesellschaft Jesu sechs Menschen ein, sieben sterben und
zwanzig verlassen sie." (117) Vor dem Hintergrund solcher Zahlen,
die auch für andere Bereiche der katholischen Kirche repräsentativ
sind, versucht diese Studie, die zuerst 1978 erschien und nun 10 Jahre
später unverändert neu aufgelegt wurde, auf der Basis empirischer
Forschung Einsichten zu gewinnen in die Prozesse, die Menschen
bewegen, einen „religiösen Beruf zu ergreifen, diesen Beruf auszuüben
oder irgendwann abzubrechen und auszusteigen. Also zweifellos
eine interessante Thematik, zu der es bislang viele Impressionen, aber
wenig gesicherte Ergebnisse gab.

Wer zu dieser Thematik nun schnelle und übersichtliche Einsichten
erwartet, wird enttäuscht werden; die Lektüre dieser Studie ist schwierig
-

Der erste Teil stellt den theoretischen und methodologischen Hintergrund
dar: Die Autoren gehen davon aus, daß es fünf Werte gibt,
die die Grundlage für einen religiösen Beruf darstellen, nämlich Vereinigung
mit Gott, Nachfolge Jesu, Armut, Keuschheit und Gehorsam
. Diesen Werten, die einerseits von der Institution, andererseits
vom Ideal-Selbst des einzelnen vertreten werden, stehen sieben Bedürfnisse
(nach Murray) gegenüber, die teils mit den Werten übereinstimmen
, teils ihnen widersprechen. So kommt es zu verschiedenen
spannungsvollen Beziehungen zwischen Institution und Individuum
einerseits und zwischen der bewußten und der unbewußten Ebene im
Individuum andererseits.

Die Autoren versuchen nun, mit Hilfe empirisch-statistischer
Methoden (Tests, Tiefeninterviews etc.) diese Probleme genauer zu
erforschen. Einige Ergebnisse seien hier kurz referiert:

Der Eintritt in einen religiösen Beruf basiert in der Regel auf persönlichen
Idealen, und auch die Institution wird idealisiert wahrgenommen
.

Dieser Tendenz zur Idealisierung widersprechen deutlich unbewußte
Bedürfnisse, die der Abwehr zugrundeliegender biographischer
Konflikte bzw. der Selbstgratifikation dienen.

Diese die bewußte Motivation störenden zugrundeliegenden Konflikte
waren bei 60-8*0 % der an der Studie beteiligten befragten Personen
festzustellen; eine berufliche Reife wird dadurch nach Meinung
der Autoren entscheidend verhindert. Und auch die vierjährige
Berufsausbildung, etwa im Priesterseminar, ändert an solchen zugrundeliegenden
Konflikten kaum etwas.

Die entscheidende Schlußfolgerung aus diesen und weiteren Ergebnissen
ist, daß die ausschließliche Berücksichtigung bewußter Motivation
beim Eintritt in eine religiöse Institution nicht ausreicht. Vielmehr
muß gerade in der Ausbildungsphase genügend Raum sein, der
den einzelnen eine freie Auseinandersetzung mit religiösen Werten
und Einstellungen ermöglicht, bevor sie bestimmte Berufsrollen übernehmen
müssen. Geistliches und psychologisches Wachstum müssen
Hand in Hand gehen und dürfen nicht, wie bisher, auseinanderfallen.
Wie das allerdings konkret geschehen kann, darüber geben die Autoren
keine weitere Auskunft.

Das entscheidende Problem dieser Studie scheint mir zu sein, daß
die zugrundeliegenden theologischen Zielvorstellungen in anscheinend
ganz unkritischer Weise bestimmt worden sind. So fassen die
Autoren die o. g. fünf religiösen Werte auch als die „selbsttranszendie-
renden Werte der religiösen Verpflichtung" zusammen (150) und
erläutern sie etwa mit der Zielvorstellung „sich selbst zu verlieren in
der selbstlosen Aufgabe der Liebe". Dann müssen natürlich aggressive
Impulse oder das Bedürfnis nach Erotik und Sexualität als störend
empfunden werden, und es kommt zu den oben erwähnten Spannungen
. Aber jene fünf religiösen Werte scheinen mir sowohl theologisch
als auch psychologisch höchst fragwürdig. Eine differenziertere theologische
Diskussion würde auch die psychologischen Ergebnisse in
einem anderen Licht erscheinen lassen.

Bielefeld Michael Klcssmann