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Ausgabe:

1989

Spalte:

32-33

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schille, Gottfried

Titel/Untertitel:

Die Apostelgeschichte des Lukas 1989

Rezensent:

Weiser, Alfons

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Theologische Literaturzeitung I 14. Jahrgang 1989 Nr. 1

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liehen Diskussion um die hypothetische Quelle allzusehr in den Hintergrund
gedrängten Frage wendet sich Bittner zu.

Im ersten Hauptteil (S. 1-87) wird der Gebrauch von semeion im
Griechentum, im Alten Testament, im Judentum und im Neuen
Testament außerhalb der johanneischen Schriften untersucht. Besondere
Aufmerksamkeit widmet der Vf. den jüdischen Zeichenpropheten
bei Josephus (S. 57-74). Aufgrund seiner eigenen Begriffsanalysen
schließt sich Bittner dem Urteil von K. H. Rengstorf (ThW VII. Stuttgart
1964. 199-268) an, daß es sich bei semeion um einen Funktionsbegriff
handelt, der auf Erkenntnis zielt. Zu einem .Zeichen' werden
Ereignisse oder Taten durch die vorhergehende Bestimmung ihres
Informationsgehalts. Im Alten Testament und dann vor allem auch
bei Josephus dienen von Propheten angekündigte Zeichen durch ihre
Erfüllung der Bestätigung einer Sendung durch Gott. Für die Zukunft
erwarteten weite Kreise im Frühjudentum von einem Propheten nach
dem Vorbild des Mose (Dtn 18,18ff) .Zeichen' als wunderbare Taten
politischer Befreiung. Dagegen begegnet der Terminus .Zeichen' auffallender
Weise nicht im Zusammenhang der davidischen Messiaserwartung
. Wenn die Synoptiker den Begriff semeion für die Wunder
Jesu vermeiden und er selbst nach den ersten drei Evangelien die Forderung
eines .Zeichens' ablehnt (Mk 8,1 1-13 par.), so wollen sie ihn
deutlich von der Erwartung des Propheten abgrenzen, der den poli-
tisch-eschatologischen Freiheitskampf anführt.

Im zweiten Hauptteil (S. 89-282) behandelt Bittner den johanneischen
Sprachgebrauch, indem er nach Themen geordnet alle
Semeia-Stellen des vierten Evangeliums untersucht. Es zeigt sich, daß
der Begriff überall vom Evangelisten ganz bewußt eingesetzt wird. Am
deutlichsten ist das in der Schlußbemerkung Joh 20.30f. Wie Bittner
in vorbildlicher Formanalyse gegen den formgeschichtlichen Pionier
R. Bultmann zeigt (S. 197-225). läßt sich diese Stelle nicht als .traditionelle
Schlußwendung' bagatellisieren, sondern gibt präzise die
Absicht des Evangelisten wieder: Das Evangelium will durch eine
Auswahl von Zeichen den Zeugenbeweis führen, daß nur die Erkenntnis
Jesu als ..Christus, der Sohn Gottes" legitimer Glaube ist. Jesu
Zeichen sind für Johannes dadurch eindeutig, daß sie von Gott im
Alten Testament angekündigt sind, wobei Jes I 1 eine besondere Rolle
spielt (S. 226-258). Erkenntnis und Glaube werden vom Evangelisten
in ganz bestimmter Weise aufeinander bezogen (S. 259-282). Der
Glaube postuliert nicht einfach irgendwelche Erkenntnis, vielmehr
ermöglichen die Zeichen Jesu auf ihrem alttestamentlichen Hintergrund
seine Erkenntnis als davidischer Messias. Nur in dieser Gestalt
ist für Joh personales Vertrauen zu Jesus auch legitimer Glaube.

Da Bittner seine Ergebnisse in eindringlicher Einzelexegese gewinnt
, wäre eine Kritik unangemessen, die den ein oder anderen nicht
angeführten Titel (z. B. A. J. Simonis, Die Hirtenrede im Johannes-
Evangelium. Rom 1967) notiert. Hätte der Vf. Recht, die Konsequenzen
wären tiefgreifend: 1) Auch wenn parallel eine Arbeit in den alten
Bahnen johanneischcr Literarkritik erschien (H. J. Kuhn. Christolo-
gie und Wunder, BU 18, Regensburg 1988), verstärkt Bittner die
grundsätzliche Kritik von K. Berger (ANRW II 25,2. Berlin 1985,
12300 und E. Ruckstuhl (Die literarische Einheit des Johannesevangeliums
. NTOA 5. Fribourg 1988). Die Beweislast trägt, wer immer
noch eine Scmeia-Quclle annimmt. 2) Vertreter der existentialen
Interpretation verlieren einen neutestamentlichen Hauptzeugen für
die Trennung von fides quae und Jules qua. Eine neue Untersuchung
stellt aber auch Paulus in der Erkenntnisfrage nahe zu Johannes
(M. N. A. Bockmuehl. Das Verb yavepöa) im Neuen Testament. BZ
32. 1988. 87-99). 3) Bittner vermutet. Bultmanns Johannes-Verständnis
sei letztlich von philosophischen Prämissen geprägt, vor
allem von Kants Diastase zwischen Glauben und Wissen. Ob die
evangelische Theologie bei ihrem weithin vollzogenen Friedensschluß
mit Kant bleiben darf, stellt aus systematischer Sicht K. H.
Michel (Immanuel Kant und die Frage der Erkennbarkeit Gottes,
Wuppertal 1987) als Problem dar. Bittner gibt dafür eine nicht leicht
zu übergehende exegetische Begründung.

Tübingen Rainer Riesner

Schille, Gottfried: Die Apostelgeschichte des Lukas. Berlin: Evang.
Verlagsanstalt 1983. XXIII. 492 S. gr. 8° = Theologischer Handkommentar
zum Neuen Testament. V. Lw. M 21,50; Ausland
28,-.

Schille versteht seinen Kommentar als einen Beitrag zur Behebung
mancher Mängel in der bisherigen Acta-Forschung. Zu ihnen gehören
die nicht intensiv genug gestellte Frage nach der inneren Einheitlichkeil
des jeweils vorliegenden Textes, die Erhebung der Quellen und
ihrer Beschaffenheit, die zu schnell einsetzende Saehkritik gegen
Lukas und die zu starke Fixierung auf religionsgeschichtliche I 'ergleiche
, wobei das ,,Element der Mission, das bei Lukas im Vordergrund
steht, fast notorisch übersehen" wird (V). Dementsprechend stellt der
Vf. am Anfang eines größeren Abschnitts zunächst die Frage nach seiner
Einheitlichkeit, sodann nach den möglicherweise aufgenommenen
Uberlieferungen, ihrer Eigenart und lukanischen Bearbeitung. Im
Anschluß an die Einzelerklärung werden Grundlinien der Theologie
des Lukas und der theologische Ertrag für die Verkündigung dargestellt
. Der wissenschaftliche Apparat ist bewußt mit „strenger
Askese" (VI) angelegt.

Aus dem Überblick über die Acta-Forschung (2-15) ergeben sich
für Schille vor allem folgende Postulate: Bei der formgcschichtlichen
Bestimmung müsse im Unterschied zu Dibelius beachtet werden, daß
die Stoffe apostolisch, topologisch und missionarisch geprägt seien (6).
Die redaktionskritische Arbeit müsse stärker, als es bei Haenchen geschieht
, die vorausliegende Traditionsgeschichte (8f; 15) und die Tatsache
berücksichtigen, daß erst Lukas das von ihm dargebotene Geschichtsbild
geschafTcn habe, wozu auch die ..nicht tradierbaren
Elemente" (II), etwa die Zeitangaben, und die lukanische Bearbeitung
des durch „nachpaulinische Paulus-Verehrung" (12) vermittelten
Paulusbildes sowie der schriftstellerische Gedanke „Urgemcinde"
(13; 35: hochstilisierter Archetypus) gehören.

Dem Gesamtkonzept Schi lies läßt sich durchaus zustimmen. Man
wird jedoch ergänzen müssen, daß die Beachtung der religions- und
kulturgeschichtlichen Faktoren auch bei Berücksichtigung der missionstheologischen
Leitlinien des Lukas wichtig bleibt. Bei der Durchführung
des Konzeptes und der Beantwortung der genannten Fragestellungen
geht Schille in stärkerem Maß eigene Wege als die fast
gleichzeitig erschienenen Kommentare von Schneider. Roloff. Weiser
. An manche a priori gefällten Grundsatzentscheidungen müssen
kritische Rückfragen gestellt werden. Weshalb sind z. B. Zeitangaben
keine ..tradierbaren Elemente"? Ein Vergleich von I Kor 16.71'mit
Apg 19.10; 20,31; 20,3 zeigt deutlich, daß Lukas die Zeitangaben
nicht rein redaktionell, sondern traditionsgebunden einsetzt.

Bei der Frage nach den Quellen (1 5-26) lehnt der Vf. die von Dibelius
begründete Itinerarhypothese ab (4f). rechnet aber mit Apostcl-
traditionen (Listen. Taten, Gebietserzählungcn. Personallcgenden)
und apostellosen Überlieferungen (liturgische Perikopcn. Ortscrinne-
rungen. Verkündigungstraditionen). Schille hat auf manche Gesichtspunkte
aufmerksam gemacht, die bisher nicht genügend beachtet wurden
. Bei der konkreten Auswertung der Beobachtungen ist er jedoch
nicht immer der Gefahr der Überintcrprelation entgangen, wie z. B.
bei der schlußfolgernden Hypothese, daß in Apg 16.12-15 eine
lydische Tradition nach Philippi verlegt worden sei (343). Daß Lukas
Für die Erstellung seiner Reiseberichte keinerlei Anhaltspunkte an
Itineraricn gehabt haben soll, leuchtet angesichts der verhältnismäßig
hohen Übereinstimmung zwischen der lukanischen Darstellung und
den von Paulus selbst bezeugten Reiserouten nicht ein.

Daß der Schriftsteller Lukas (27-48) nicht als Paulusbegleitergelten
kann, ist sicher richtig. Ob aber vor allem deshalb nicht, weil Paulus
überhaupt keine stetigen Begleiter hatte (28f). erscheint mir nicht
überzeugend (Timotheus!?). Die kompositorische Leistung des Lukas
bei der Schaffung seiner Historiographie (30) sieht Schille vor allem in
der ..Destruktion des Aufrisses seiner Quellen", in der „Komposition
einer eigenen planvollen Darstellung", in den „Redestücken", in
der bewußten „Einordnung der Einzclstoffe", in der „Unterordnung
des Berichtes unter einige wesentliche theologische Hauptgesichts-