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Ausgabe:

1989

Spalte:

511-514

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Eskenazi, Tamara C.

Titel/Untertitel:

In an age of prose 1989

Rezensent:

Gunneweg, Antonius H. J.

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Theologische Literaturzeitung 114. Jahrgang 1989 Nr. 7

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intrinsic nature of the interactive processes" einschließt (192). Die
Gesellschaftsformen „segmentäre Gesellschaft", "chiefdom" und
"state" stellen, vom "chiefdom" an wachsend differenziert und
hierarchisch gegliedert, jeweils ein "adaptive System which was sub-
ject to both external and internal inputs" (194) dar mit überlebensnotwendigen
und die gesellschaftliche Entwicklung vorantreibenden
Adaptionsstrategien gegenüber den ökologischen Gegebenheiten, so
daß "the new cultural entity of Israel" durch "adaptive modifica-
tion" (K. Butzer) zur "political entity of the State" wird (193). Basis
der sozioökonomischen und -politischen Adaption und Entwicklung
ist die Landwirtschaft mit Determinanten wie z. B. Siedlungsstreuung,
Bevölkerungswachstum, Redistribution, Vorratshaltung, Produktionsintensivierung
in Verbindung mit Technologie-Entwicklung
(Terrassierung, Bodenbehandlung, Entwicklung der Arbeitsmittel
und -prozesse ["timing"]) und wachsender Arbeitsteilung sowie
Arbeitskraftoptimierung, alles angesichts der spezifischen Landesstruktur
("micro-environments") und der Umweltprobleme, besonders
des Niederschlags und der allgemeinen Wasserversorgung sowie
der Knappheit verfügbarer Arbeitskraft.

Am Ende dieses Buches, das zur Erhellung der umstrittenen Frühgeschichte
Israels einen sachlich und methodisch weiterführenden
Beitrag leistet, weist der Vf. mit Recht auf die trotz der gewonnenen
größeren soziopolitischen und -ökonomischen Transparenz bleibenden
"many unknowns regarding the character of hierarchical Organization
... in the period of the chiefs/judges" (203). Das ist bei einem
relativ neuen Ansatz weder ein Wunder noch ein Manko. Man wird
nun über die Aufgabenstellung des Buches hinaus, aber in seinen Bahnen
, den Fragen der weiteren gesellschaftlichen Entwicklung in der
Eisen-II-Zeit besondere Aufmerksamkeit widmen müssen. Rez.
scheint dabei Vorsicht und Sorgfalt geboten gegenüber einer allzu einfachen
geradlinigen Vorstellung weiterentwickelter chiefdom- und/
oder Staats-Modelle in der Königszeit angesichts der verschiedenartig
fortschreitenden Entwicklung im Süd- bzw. Nordreich nach Salomo.
Vielleicht muß man im Nordreich zwischen Jerobeam I. und Simri
die Entwicklung soziopolitisch sogar als partiell rückläufig bezeichnen
.

Die theologische Intention der alttestamentlichen Texte wird durch
die mit diesem Buch markierte, sozialwissenschaftliche Analysen einbeziehende
Forschungstendenz keinesfalls beeinträchtigt, vielmehr in
ihrer Eigenbedeutung bestätigt. Die Texte bekommen ihre theologische
Bedeutung verstärkt zurück, werden sie doch davon entlastet,
historischen Urteilen ständig als Primärquelle dienen zu sollen.
Gemeinsam vermögen beide, die theologische Exegese des AT und die
mit sozialwissenschaftlichen Modellen arbeitende Analyse der Sozialgeschichte
Israels, in weiterführender Weise zu einem qualitativ
neuen, ganzheitlichen Bild Israels beizutragen. Für seinen Beitrag
dazu ist dem Vf. zu danken.

Rostock Hermann Michael Niemann

1 „Segmentäre Gesellschaft" muß heute nicht mehr erklärt werden; "chiefdom
" sei immerhin (verkürzt) beschrieben als hierarchisch (mit einem chief an
der Spitze) organisierte Gesellschaftsform, der ein bedeutender Administrationsapparat
noch fehlt. Sie hat vor allem drei Kennzeichen: 1. Eine zentral
koordinierte Redistribution durch den chief als "intensifier-redistributor-
warrior" (M. Harris); 2. Berufung auf "religious sanetions" (zwecks Herr-
schaflslegitimation und Ausgleichs der strukturellen Schwächen sowie der Herausbildung
eines "sense of common identity"); 3. Bildung einer Klientel des
Chiefs mit Teil-Delegation seiner Autorität, verbunden mit gesellschaftlicher
Differenzierung und einer Prestigewirtschaft des Chiefs (vgl. umfassender
S. 74 ff).

Eskenazi, Tamara Cohn: In an Age of Prose. A Literary Approach to
Ezra-Nehemia. Atlanta, GA: Scholars Press 1988. VIII, 21 IS.
gr. 8" = SBL. Monograph Series, 36. Kart. S 19.95; Lw. $ 29.95.

Der auf den ersten Blick etwas befremdliche Titel des hier anzuzeigenden
Buches erklärt sich aus seiner Intention, das Esra-Nehemia-
Buch (hier: EN) literaturwissenschaftlich zu untersuchen und seine
geschlossene Einheit als ein Prosawerk nachzuzeichnen. Dieser
methodische Ansatz beruht auf der Überzeugung, daß EN typisches
Erzeugnis einer nach-prophetischen und nach-poetischen Epoche ist.
Für eine solche Epocheneinteilung beruft sich Vfn. einleitend auf
Hegel sowie darauf, daß Esra 1,1 selbst den Abschluß der Prophetie
ausdrücklich und an betonter Stelle hervorhebt. Da somit dieses
biblische Buch selbst Prosa sein wolle, könne auch nur eine literaturwissenschaftliche
Untersuchung seinem literarischen Genre gerecht
werden und zu einem angemessenen Verständnis führen.

Das ist gewiß ein eigenwilliger Ansatz, gegen den sich leicht einwenden
läßt: Meint Esra 1,1 wirklich nur das Ende (closure) der Prophetie
oder nicht doch, ohne alle Reflexion über Prosa oder Poesie, deren
Erfüllung? Und ist die literaturwissenschaftlich-holistische Methode -
im englischen Sprachraum ja auch als Poetics bezeichnet! (vgl. S. 3f)-
nur als Prosa anwendbar? Solche Einwände, die sich dem Leser schon
bei den ersten Seiten aufdrängen, sollten ihn indessen nicht von der
weiteren Lektüre abhalten; er brächte sich sonst um einen erheblichen
Erkenntnisgewinn! Tatsächlich geht-es der Vfn. nämlich darum,
methodisch sauber zwischen der historischen Frage nach dem, was
wirklich geschehen ist, und der literarischen Frage, wie der zu untersuchende
Text strukturiert ist und was er selbst aussagen will, zu
unterscheiden. Dabei weiß Vfn. um die Schwierigkeit einer solcher!
Unterscheidung, da historische und literarische Urteile sich gegenseitig
beeinflussen. Gerade deshalb ist es wichtig und richtig, die historischen
Fragen zunächst möglichst noch offenzulassen und die
Neugierde auf das, was geschehen ist, vorerst zu zähmen und vorab die
Struktur des Textes selbst freizulegen: "One looks at how the story is
told in order to understand what is being conveyed." Dieses Desiderat
ist hinsichtlich EN in besonderem Maße berechtigt. Die Ansicht, die
vorliegende Gestalt beider Bücher könne unmöglich ursprünglich und
müsse das Fehlprodukt nachträglicher Umstellungen, Bearbeitungen
und Zuwächse sein, war ja schon communis opinio geworden. Schon
ein Blick in den als klassisch geltenden Kommentar von W. Rudolph
(HAT 1,20, 1949) genügt hier. Das Urteil aber, EN sei das Ergebnis
einer Konfusion, ist selbst Folge einer methodischen Vermischung
von historischen und literarkritischen Fragehinsichten. Dies erkannt
und ausgesprochen zu haben, ist das besondere Verdienst dieser
Studie, auch schon ganz abgesehen von deren eigenen Ergebnissen.

Nach dem Einführungskapitel 1 mit methodologischen Überlegungen
geht es im 2. Kap. um den Nachweis der Einheit und Eigenständigkeit
von EN in der vorliegenden Gestalt. Viel, ja allzu viel ist Vfn.
daran gelegen, den Zusammenhang mit den Chronikbüchern zu zerschneiden
. Die Diskussion, ob 1-2 Chr und EN das Werk eines einzigen
Verfassers sind - so seit der einschlägigen Studie von L. Zunz
(1832) lange Zeit die übliche und fast unangefochtene Auffassung -
oder ob es sich um je selbständige Schriften handelt, wird ausführlich
referiert und das Für und Wider dargelegt. Nun ist es für die Beurteilung
dieser ganzen Diskussion wichtig, die sie jeweils leitenden Interessen
zu beachten: Wenn Sara Japhet (vgl. insbes. The Supposcd
Common Authorship of Chronicles and Ezra-Nehemiah Investigated
Anew. VT 18, 1968, 330-371), auf die sich Vfn. in diesem Zusammenhang
häufig beruft, die Zugehörigkeit von EN zum chr Werk
bestreitet, so verfolgt sie dabei die Intention, sowohl der größeren
historischen Zuverlässigkeit dieser Bücher im Vergleich zu Chr zur
Anerkennung zu verhelfen als auch das engherzige Israelverständnis,
das sich in EN ausspricht, von den, wie sie meint, liberaleren Auffassungen
des Chr abzusetzen. Indessen widerspricht allein schon die
sogenannte „Genealogische Vorhalle" (I Chr 1-9), die ebenfalls
gleichsam trichterförmig auf Juda-Benjamin-Jerusalem-Tcmpel-
Tempelpersonai zuläuft, und darin dem Israelverständnis von EN voll
entspricht, einer solchen Interpretation (vgl. hierzu: Manfred
Oeming: Das wahre Israel, 1989). Einer Berufung auf S. Japhet hätte
es aber gar nicht bedurft, denn Vfn. läßt sich von einem ganz anderen