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Ausgabe:

1989

Spalte:

510-511

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Frick, Frank S.

Titel/Untertitel:

The formation of the state in ancient Israel 1989

Rezensent:

Niemann, Hermann Michael

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Theologische Literaturzeitung 114. Jahrgang 1989 Nr. 7

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sowie spezifischen interpretatorischen und interpolatorischen Zielsetzungen
und der gesamten literarisch-geschichtlichen Überlieferung
meistens nur versuchsweise beantwortet werden können. Zahlreiche
Forscher haben zwar versucht, verschiedene Einzelprobleme klarzustellen
, und Ergebnisse ihrer Bemühungen sind auch in diesem Band,
der als erste systematische Einführung in die bunte Targum-Proble-
matik dienen soll, eingearbeitet; es bleibt aber auf diesem Gebiet viel
mehr zu tun, als bisher geleistet wurde.

Der Vf. hat recht, daß das Auftauchen und die paraphrastisch-inter-
Pretatorische Entwicklung des Targum mit einem inneren Umbruch
im Judentum des Zweiten Tempels und der darauf folgenden Jahrhunderte
zusammenhängen (S. 18, Abs. 1). Der Umstand, daß das
Hebräische vom Volk nicht mehr ausreichend verstanden wurde, war
zwar sicher eines der wichtigsten Momente für die Einführung der
Ubersetzungspraxis im synagogalen Gottesdienst. Dieses Moment
reicht aber bei weitem nicht aus, um Abweichungen vom heiligen
Text sowie Einfügungen haggadischer und halakhischer Erweiterungen
, ja sogar Anachronismen (S. 32, Abs. 3) und dem hebräischen
Wortlaut widersprechender Tendenzen (S. 33, Abs. 2f) in der aramäischen
Übersetzung zu erklären und zu rechtfertigen. Schon zur Zeit
des zweiten Tempels, vor allem aber nach seiner Zerstörung, entstand
eine neue geistig-kulturelle Atmosphäre, deren wachsende Tradition
Ausdruck in verschiedenen Targum-Versionen suchte. Dies ist vor
allem aus Uminterpretationen der Anthropomorphismen und
Anthropopathismen (S. 54f), metaphorischen Umdeutungen der später
für moralisch anstößig gehaltenen Stellen (S. 1000 und Allegori-
sierungen vor allem in den oft angeführten Hagiographa (s. bes. Index
zu Ecclesiastes) ersichtlich. Es wäre zu bemerken, daß bei den Samaritern
ähnliche und andere spätere Ansichten durch geringfügige und
wenig auffällige Textveränderungen schon in ihrem hebräischen Pen-
tateuchtext, die meisten - falls nicht alle - aber erst in der aram.
Sprachperiode, zum Ausdruck gebracht wurden.

Trotz dieses neuen Geistes sind aber in den Targumim auch manche
altertümliche Elemente vorhanden. Einige prä-mischnaische Traditionen
scheinen im Palästinischen Targum enthalten zu sein, aber
auch andere inoffizielle Targume verraten gelegentlich antirabbi-
nische Halakhah aus der vorchr. Zeit (S. 1640- Auch kann manche
textuelle Variante inoffizieller Targume auf vormasoretische Lesungen
zurückgehen, wie z. B. Dt. 31? N(eophyti I): tiel yat „du sollst
(dieses Volk) bringen", was dem samaritanisch-hebr. Text tby' 't (tibi
"J besser entspricht als dem masoretischen mbö' 'et „du sollst mit (diesem
Volk) gehen" (s. 32).

Dem inhaltlichen Reichtum des Buches kann keine Besprechung
gerecht werden. Es ist jedoch schade, daß der Vf. die targumischen
Zitate nur in englischer Übersetzung und nicht im Original anführt,
obwohl er sich dieses Mangel bewußt war (vgl. den von ihm selbst
zitierten Spruch „traduttori traditori", S. VIII). Trotz allgemeiner Zuverlässigkeit
seiner Übersetzungen ist dieses Verfahren in einem Buch,
das nicht für Laien, sondern für Spezialisten, die den Originaltext in
verschiedenen Editionen suchen müssen, bestimmt ist, wenig leser-
freundlich. Das Anbringen von Originalzitaten hätte zwar den Satz
erschwert und den Umfang des Bandes vergrößert und dadurch auch
den Ladenpreis gesteigert. Es wäre aber der Mühe wert gewesen.

Da sich das Buch auf den besonderen Beitrag der jüdischen Targumim
zur Auffassung der Bibel in der aramäischen Sprachperiode
beschränkt, wurde darin das samaritanische Targum, das jetzt in der
kritischen Edition von A. Tal (1980-1983) vorliegt, völlig außer Acht
gelassen, obwohl es in palästinischen Traditionen wurzelt und zahlreiche
Auffassungen nicht nur mit den palästinischen Targumim, sondern
auch mit Onkelos teilt, vgl. jetzt Roger le Deaut, Manuscrits du
targum samaritain et targums juifs, in: J.-P. Rotschild et G. D. Six-
denier (ed), Etudes samaritaines, Louvain-Paris 1988, S. 109-121,
und A. Tal, L'exegese samaritaine ä travers les manuscrits du tar-
g°um,ebda.,S. 139-148.

In den Fußnoten hätten einige veraltete und irreführende Veröffent-
'■chungen entweder überhaupt nicht angeführt oder durch die inzwischen
erschienenen Richtigstellungen ergänzt werden sollen z. B. zu
J. Rabinowitz, Did Jesus speak Hebrew?, ZNW53, 1962, 229-238
(S. 8 A. 2), dessen verkehrte Argumentation in seinem weiteren Aufsatz
: Eqxpada (Mark VII. 34): Certainly Hebrew, not Aramaic, JSS 16,
1971, 151-156, ad absurdum getrieben wurde, s. S. Morag, 'Etpipadä
(Mark VII. 34): Certainly Hebrew, not Aramaic?, JSS 17, 1972,
198-222; zu M. Gaster's unmöglichen Datierungen der spätsamarita-
nischen Legenden Asätir (S. 29 A. 32) s. die Richtigstellungen Z. Ben
Hayyims in: Tarbiz 14, 1943, 104ff; zu beiden vgl. meine Grammatik
des samaritanischen Aramäisch (1982), S. 64 A. 6 zum ersteren,
S. LXII zum letzteren.

Berlin (West) Rudolf Maeuch

Altes Testament

Frick, Frank S.: The Formation of the State in Ancient Israel. A Sur-
vey of Models and Theories. Decatur: Almond Press; Sheffield:
Sheffield Academic Press 1985. 219 S. 8° = The Social World of
Biblical Antiquity Series, 4. Kart. £ 10.50; Lw. £ 23.50.

Der Untertitel deutet den hauptsächlichen neuen Impuls dieses
Buches zum alten Problemkomplex des Obertitels an. Mit Hilfe einer
kritischen Zusammenschau von Modellen und Daten aus Archäologie
, Vergleichender Ethnologie, Anthropologie und biblischen Texten
versucht der Vf., Grundlinien des Bildes der soziopolitischen Prozesse
zu gewinnen, durch die das frühe Israel den Weg von einer „segmentä-
ren Gesellschaft" des 12./11. Jh. v. Chr. über die Gesellschaftsform
eines "chiefdoms"' (Saul- und frühe David-Zeit) bis zur Phase des
Staates (spätere David- und Salomozeit) genommen hat. Wer nun
dazu einwenden sollte, diese Entwicklung sei, vielleicht abgesehen
von der Terminologie, nichts grundstürzend Neues, dem wird man
nach der Lektüre entgegenhalten müssen, daß dieser Entwicklungsweg
durch das Heranziehen vor allem der vergleichenden Ethnologie
und der soziologischen und sozioökonomischen Vergleichsdaten aus
dem Bereich rezenter, kulturell und ökologisch vergleichbarer Gruppen
und Ethnien auf eine wissenschaftlich neu verantwortete und
nachprüfbare Basis gestellt worden ist. Damit aber geht das Buch über
die meisten vergleichbaren bisherigen Studien auf der Basis allein der
biblischen, wesentlich Glaubenszeugnisse darstellenden Texte, die
nur .recht begrenzt historiographisch auswertbar sind, weil nicht in
diesem Sinne konzipiert, einen wichtigen Schritt hinaus.

Das Buch ist folgendermaßen gegliedert: Kap. 1 ("The Cultural Evolutionary
Hypothesis and the Origin of the Israelite State: Anthropology and History")
gibt einen sozialwissenschaftlichen Hypothesenüberblick und sichtet "State
Formation Studies and the Problem of Comparability". Kap. 2 analysiert das
frühe Israel unter der Modellvorstellung einer "Segmentary Society", Kap. 3
unter derjenigen eines "Chiefdom". Kap. 4 widmet sich "Agriculture and
Social Change in Early Israel", indem es als Voraussetzung zunächst "The
Agricultural Environment of the Palestinian Hill Country" vor allem nach den
Gesichtspunkten der "Meteorological variables" und der "Soil fertility" darstellt
. Es folgt "Agricultural Technology and Social Change in Early Israel" mit
den Problembereichen der landwirtschaftlichen Terrassen, der Produktivität,
Demographie und der "settlement patterns". Hauptanwendungsbeispiel ist der
Tel Mäsös mit seinen Grabungsergebnissen. Auf Kap. 5: "The Path to State-
hood: A Synthesis" folgen Bibliographie und Indices.

Der holistische diachrone Ansatz des Vf. beruht auf der Voraussetzung
, daß in Alt-Israel "as in other preindustrial agricultural societies,
socioeconomic Organization, subsistence and Settlements are in turn
influenced by a wide ränge of symbolic and aesthetic values, ceremo-
nial expressions, and social Stimuli. These affect most realms of activi-
ty through ideological interpretation, resource perception. environmental
attitudes, scheduling flexibility, and receptiveness to new
information and technology" (1910- Seine Analyse zielt auf die
"dynamics" der frühisraelitischen Gesellschaft, wobei "dynamics"
mehr als "the speed, or degree, or direction of change", nämlich "the