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Ausgabe:

1989

Spalte:

477-478

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Dionne, James Robert

Titel/Untertitel:

The papacy and the church 1989

Rezensent:

Kirchner, Hubert

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477

Theologische Literaturzeitung 114. Jahrgang 1989 Nr. 6

478

Dionrte, J. Robert: The Papacy and the Church. Study of Praxis and
Reception in Ecumenical Perspective. New York: Philosophical
Library 1987. 524 S. gr. 8 Lw. $ 29.95.

Es ist ein altes Thema im Nachdenken über die Kirche, über ihr
Dasein und über ihren Weg durch die Zeiten, aber in dieser Welt:
Welche Gestalt ist ihr angewiesen, ihr gemäß und vielleicht sogar vorgegeben
? Darauf antwortend, verweist die römisch-katholische
Kirche sehr schnell auf den Papst. An ihm entscheidet sich so gut wie
alles.

Freilich, in Theorie und Praxis war es lange Zeit so klar keineswegs.
Eigentlich sorgte erst das 1. Vatikanische Konzil als Gipfelpunkt
bestimmter konvergierender gesellschaftspolitischer wie theologischer
Bestrebungen für letzte Eindeutigkeiten. In den von ihm formulierten
Dogmen von der universalen Jurisdiktion des Papstes und
seiner Unfehlbarkeit in Glaubens- und Sittenangelegenheiten in
Wahrnehmung seiner obersten Lehrautorität fielen Entscheidungen,
die schon lange in der Luft lagen, aber immer wieder zurückgestellt
worden waren. Nun aber war es für viele klar: „Der Papst ist die Kirche
", oder wie der Konzilspapst Pius IX. selber in der Hitze der Auseinandersetzungen
auf dem Konzil behaupten konnte: „Die Tradition
, das bin ich."

Allerdings waren damit eigentlich fast mehr Fragen gestellt und
Probleme aufgeworfen als ausgeräumt und beantwortet. Schon seiner-
Ze>t gab es Stimmen, die nicht nur solchen Spitzenäußerungen, sondern
dem neuen Glaubenssatz überhaupt kräftig widersprachen. Die
Oppositionsbischöfe zwar unterwarfen sich alle. Aber viele Theolosen
, die bei ihrem Veto verblieben, wurden ausgeschlossen. Die meisten
fanden sich in der Alt-Katholischen Kirche wieder zusammen.
Und doch war das Thema damit nicht erledigt, auch innerhalb der
römisch-katholischen Kirche noch nicht. Hier begann das Ringen um
die richtige Interpretation. Und Hans Küng war es, der die Frage 100
Jahre nach dem I. Vatikanischen Konzil noch einmal neu zur Diskussion
stellte. Das Echo, das seine „Anfrage" erfuhr, zeigt die latente
Spannung.

Und damit stehen wir - man entschädige den etwas weiten Anmarsch
- an dem Punkt, an dem sich das hier anzuzeigende Buch
befindet, bei seiner Frage und der Situation der Erörterung, in der der
Autor, Jg. 1929, Professor of Catholic Studies in der Case Western
Reserve Univcrsity, eine eigene Antwort versucht. Er tut dies, in dem
er den Weg der katholischen Lchrentwicklung seit der Zeit Pius' IX.
'sehr zurecht einsetzend also schon vordem I. Vatikanischen Konzil)
bis zum Abschluß des II. Vatikanischen Konzils nachzeichnet und die
einzelnen Schritte analysiert. Es ist das alte Problem von Kirche als
'nstitution und Kirche als Gemeinschaft, dem er nachgeht, und dazu
den Konsequenzen, die sich daraus auch für die Frage nach der Einheit
derChristen ergeben.

Seine Thesen seien vorweg sogleich deutlich benannt: "The way
doctrine has developed within the Catholic Church ... requires a cor-
rection of the understanding of how the ordinary papal ministerium
Functions within Catholicism." (40) Und: "Associative elements pre-
sent in the process that culminated in the definition of the dogmas of
the Immaculate Conception and the Assumption may provide a par-
tial Solution to the ecumenical impasse brought about by the common
Understandingofas-called papal infallibility." (40f)

Die Frage ist: Wie ist eine solche Korrektur möglich? Und: Ist ein
solches gemeinsames Verständnis überhaupt denkbar? Dem nachdenkend
, vollzieht der Autor fünf verschiedene Schritte, indem er seine
Untersuchung in Fünf Teile gliedert. Die originalen Überschriften
sind, da zumeist auch biblische Zitate, nicht in jedem Falle sehr aussagekräftig
. Daher seien die Inhalte sogleich knapp umschrieben:

Teil I, "Roma Locuta", umfaßt nur das erste Kapitel (S. 51-80)
"The teaching of the ordinary papal magisterum: Positive modalities
°f reception." Eine "positive modality" ist zunächst nichts anderes
a|s die einfache Feststellung, daß "within Catholicism reception of
Papal teaching from the timc of Pius IX. up to the end of the Second

Vatican Council was largely positive." (52). Der Autor zeigt das einmal
an zwei Texten des II. Vatikanischen Konzils, die freilich nicht
zum Abschluß gelangten, und dann anhand von zwei Einzelbereichen
, an der sozialen Frage und der der Kollegialität der Bischöfe.

Teil 2, "'But when Cephas came to Antioch'... (Gal. 2:11)"
(Kap. 2-6, S. 83-282), der eigentliche Hauptteil der Untersuchung,
verfolgt dann anhand einer Reihe von einzelnen zentralen Themen
der kirchlichen Lehre den Weg der Rezeption päpstlichen Lehrens
durch das Konzil: Katholizismus und nichtchristliche Religionen,
Staat und Kirche, Religionsfreiheit. Identifikationsmöglichkeit der
(römischen) Kirche mit dem Corpus Christi mysticum. Kap. 6 zeichnet
, diesen Teil abschließend, den Weg noch einmal im Hinblick auf
schon vordem II. Vatikanischen Konzil erfolgende Rezeption.

Teil 3 (= Kap. 7), "The Church as koinonia on the level of word"
(S. 285-297), zieht gleichsam ein Zwischenergebnis, indem die Strukturen
der innerkirchlichen Gemeinschaft und die Bewegungsrichtungen
in ihnen analysiert werden.

Teil 4 (= Kap. 8), '"Universitas fidelium in credendo'"
(S. 301-344), behandelt in einem weiteren Schritt nach vorn nun das
außerordentliche Lehramt des Papstes besonders im Hinblick auf die
Maricndogmen (Immaculata Conceptio und Assumptio), an denen es
in seiner faktischen Begründung in der Gemeinschaft des Glaubens
besonders dargestellt werden kann.

Teil 5 (= Kap. 9), "And '. . . the head [cannot say] to the feet, I have
no need of you' (L.Cor. 12:21)", (S. 347-366) bringt schließlich
"Concluding assessments and wider reflections" und das als Überschrift
herausgestellte biblische Bild (wie ja auch schon andere Überschriften
und besonders der Hinweis auf die „koinonia") zeigt dann
auch, in welcher Richtung der Autor sein Ergebnis zieht und insofern
auch jene einleitenden Fragen beantwortet sehen möchte: Er ist der
Meinung, nachgewiesen zu haben, daß das ordentliche wie das außerordentliche
Lehramt des Papstes sich sowohl praktisch wie vom
ekklesiologischen Ansatz her derart in die Gemeinschaft der Kirche
eingebunden findet, daß die herkömmlichen Interpretationen der
vatikanischen Dogmen eigentlich am Kern vorbeigehen, womit dann
aber auch zugleich die Hürde im ökumenischen Gespräch wesentlich
an Höhe verloren hätte.

Das Buch vermag zu imponieren. Es besticht durch die Akribie der
Untersuchung bis hin in sprachtheoretische und stilistische Detailanalysen
. In seinem vorgegebenen Rahmen vermag es auch zu überzeugen
. Es ist schon interessant zu sehen, wie sich das Verhältnis
Papst - Gesamtkirche in den verschiedenen aufgewiesenen Bereichen
gestaltete. Hier kann nur pauschal darauf hingewiesen werden. Es
lohnt sich aber, die Wege im einzelnen zu verfolgen. Und insofern vermag
das Buch gewiß auch manches voreilige Urteil abzubauen.

Nur: Eine wirklich auch nach außen hin überzeugende Antwort auf
die eingangs sogleich zu stellenden Fragen kann nur gelingen, wenn
sich die Argumentation - und die ökumenische Dimension wird ja
expressis verbis angesprochen - bewußt auch auf die weitergehenden
Fragen einläßt, die von dort kommen, und d. h. nicht nur historisch-
ekklesiologisch bleibt, sondern biblisch-theologisch wird. Insofern
erhält man zwar durchaus Antworten, aber doch nur für Teilbereiche
.

Die Lektüre erfordert einige Geduld (vom Sprachlichen ganz abgesehen
). Es ist nicht immer ganz einfach, die Stringenz der Untersuchung
zu durchschauen. Die Gliederung ordnet den Stoff sehr lok-
ker. So ist es hilfreich, von Zeit zu Zeit durch Überblicke gleichsam an
die Hand genommen zu werden. Sehr willkommen sind ein Glossarium
am Anfang(S. 17-25), das die wesentlichsten Fachtermini erläutert
, und auch eine recht ausführliche "selected Bibliography"
(S. 475-511), die sich nicht nur auf englischsprachige Literatur
beschränkt, sondern auch viele Titel aus dem französischen, spanischen
und deutschen Sprachraum verzeichnet. Ein Personenindex
beschließt das Opus.

Schöncichc (bei Berlin) Hubert Kirchner