Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1989

Spalte:

462-463

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Geffré, Claude

Titel/Untertitel:

The Risk of Interpretation 1989

Rezensent:

Suda, Max Joseph

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

461

Theologische Literaturzeitung 114. Jahrgang 1989 Nr. 6

462

rende Metapher" (187), deren „Reichhaltigkeit und Vielschichtigkeit
" im begrifflichen Konzept „der Präzision und Schlüssigkeit geopfert
" wird (191). Die „metaphorische Theologie" hat nun die Aufgabe
, die Absolutsetzung nur eines Modells zu verhindern, „die Beziehungen
zwischen Metapher, Modell und-Konzept" zu erschließen
(195) „und nach Möglichkeiten für umgestaltende, revolutionäre
Modelle zu suchen" (194). Der Vfn. stehen hier vor allem Modelle
vor Augen, die sich auf Erfahrungen von „Frauen, Schwarze(n)" und
»Menschen der Dritten Welt" beziehen (195). Daß es sich dabei wirklich
um Metaphern und nicht einfach um Paraphrasen von Metaphern
oder um Interpretationen biblischer Bilder handeln kann, wird
von D. Tracy (Chicago) vor allem anhand der Gleichnisse Jesu mit
Recht unterstrichen (vgl. 218-240: „Metapher und Religion am Beispiel
christlicher Texte").

Die Aufsätze von P. van Noppen (200-217: ,,,ln' als theographische
Metapher"), M. S. Kjärgaard (Aarus) (241-257: „Metaphern,
Gleichnisse und ,Ich bin'-Aussagen im Johannesevangelium") und
p- G. Kos-Schaap (Amsterdam) (258-274: "Metaphors We Live By"
'm Lukasevangelium 10-20) sind „Fallbeispiele" (213) für das bisher
Gesagte und führen nicht grundsätzlich über das Gesagte hinaus.
Besonders geprägt sind dagegen die beiden letzten Aufsätze des vorliegenden
Bandes. A. Morelli (Brüssel) ist Atheistin. Sie bietet einen
kritischen Abriß der Entwicklung der feministischen Theologie (vgl.
275-292: „Die alten Metaphern und die neue Frauentheologie"). Am
Ende ist es ein wahres Scherbengericht. Der Wegfall der Metapher des
»Vaters" für Gott zugunsten der Vorstellung eines „verletzlichen
Gottes" verspreche ebenso wenig „Erfolg" für die feministische Sache
wie die „Form des männlichen Diskurses", derer sich die feministische
Theologie bedient (vgl. 294). Feministin kann man eigentlich
nur als Atheistin sein.-D. C>v.v/a/(Holyhead) verspricht dagegen eine
»Wiedergeburt von (theologischer) Sprache" (312) aufgrund eines
umfassenden Gebrauchs des -Lexikons (vgl. 297-314: „Das Generieren
theologischer Sprache"). Die Beschränkung der Theologie „auf
traditionelle Methoden theographischer Performanz" soll durch die
Analyse der „unbegrenzten Möglichkeiten der Kontextualisierung"
aufgehoben werden (311). Der Vf. entwirft darum ein Schema, in dem
alle Wörter des Lexikons mit dem Wort „Gott" kombiniert werden
können, so daß „Tausende von möglichen theologischen Sätzen"
entstehen (307). Man findet sich auf diese Weise eingeladen über Sätze
nachzusinnen wie „Gott ist Schotter" oder „Gott ist Makkaroni"
'ebd.), und das ist eigentlich ein trauriger Abschluß dieses Bandes.
Aber vielleicht ist es auch gut, daß der Leser auf diese Weise nachdrücklich
bemerken kann, daß die Entdeckung der Bedeutung der
Metapher für die religiöse Sprache nicht identisch mit der Wahrnähme
theologischer Verantwortung ist.

Die theologische Zufälligkeit scheint ja überhaupt das Problem
einer „Theolinguistik" zu sein, die das Wort „Gott" allein am
menschlichen Sprachvollzug sich zu messen getraut. Daß dabei viele
nichtige Einsichten zutage treten, ist keine Frage. Allem voran ist
hierauf die Rechtfertigung „religiöser Sprache" durch den metaphorischen
Grundzug der Sprache überhaupt zu verweisen. Indem sich die
Theolinguistik aber letztlich als unzuständig für die Wahrheitsfrage
im Blick auf Gott erklärt, ist es möglich, daß sie im Sinne des christlichen
Glaubens auch zur Beförderin der Unwahrheit zu werden vermag
, z. B. der Unwahrheit, daß Gott nicht selber Wort sei. Gegen
diese Unwahrheit hilft nicht der Schatz religiöser Möglichkeiten des
Menschen, sondern Gott selbst, wie er durch das Reden, das Jesus
Christus ist, begegnet. Es ist verwunderlich, daß die Momente der
Selbstaufhebung von christlicher Theologie, die dann relevant werden
, wenn Gott nur noch als eine Funktion menschlicher Sprachfähigkeit
begriffen wird, in diesem Band noch nicht einmal als Fragen
wahrgenommen werden. Theologische Selbstkritik wird sich auch die
Theolinguistik nicht ersparen können, wenn sie denn den Anspruch
erhebt, in der Theo-Logic einen Ort einzunehmen.

Berlin WolfKrötke

Geffre, Claude: The Risk of Interpretation. On Being Faithful to the
Christian Tradition in a Non-Christian Age. Transl. by D. Smith.
New York-Mahwah: Paulist Press 1987. VI, 298 S. gr. 8* Kart
$ 12.95.

Im Nachwort ordnet sich der Autor selbst in den Strom der französischen
Theologie ein.. Er beschreibt den Einfluß von Theologen wie
M.-D. Chenu, F. Bouillard, H. de Lubac und Y. Congar auf den
katholischen Aufbruch, der zum 11. Vatikanischen Konzil hinführte
und in den Konstitutionen „Lumen Gentium" und „Dei Verbum"
gipfelte. Für die Zeit nach dem II. Vatikanum spricht der Autor von
„Sterilität" der französischen Theologie (S. 255). Er selbst sieht sich
als jemanden, der im Streit um Metaphysik, Dogmatik, marxistischen
Atheismiis und Sprachkritik mit Energie für ein praxisorientiertes
Christentum eintritt und nicht zuletzt deshalb bestimmte hermeneuti-
sche Schritte zur Aneignung biblischer Inhalte „riskieren" will. Was
hiervon gelingt ihm?

Das Buch besteht aus 14 Kapiteln, die Aufsätze und Vorträge (davon
drei unveröffentlicht) Geffres z. T. in ergänzter Gestalt wiedergeben
. Einige gedankliche Wiederholungen waren leider nicht zu vermeiden
. Trotzdem entstand jene einheitliehe Linie, die der Gesamttitel
andeutet: Theologie soll als Interpretation betrieben werden.
Und da sich eine These fast immer auch gegen etwas richtet, ist nach
der von Geffre bekämpften Antithese zu fragen. Diese wird zwar
passim erkennbar, am deutlichsten aber im 3. Kapitel, das den Titel
„Dogmatik oder Hermeneutik" trägt. Der Autor entscheidet sich
gegen die Dogmatik.

Hier muß freilich eine Befragung des Autors einsetzen! - Nach
einem längeren Anlauf, worunter ein Abschnitt über die „Pathologie
dogmatischer Wahrheit" figuriert (S. 57ff), kommt es zu der Kernaussage
, daß „theologisches Wissen keinen Zusammenhang begrifflicher
Wahrheiten zum Objekt hat", dieses Objekt sei vielmehr „ein Mysterium
", nämlich Gottes Offenbarung in Jesus (S. 60). Wie ist das zu
verstehen? Der Autor will begriffliche Wahrheit ausschließen und
spricht deshalb von Mysterium. Trotzdem denkt er sich die Sache so,
daß das Mysterium Gottes in Jesus offenbar geworden sei, und daß
dies wahr sei. Er hat also den Begriff einer nicht-begrifflichen Wahrheit
, nur gibt er sich selbst gegenüber nicht zu, daß er begrifflich vorgeht
. Wenn er etwas später noch sagt, daß die Theologie an eine
Wahrheit gebunden ist, die sie nicht frei zur Verfügung hat (ebd.),
dann entzieht er in demselben Selbstmißverständnis die Wahrheit
Gottes nur scheinbar der Theologie und sagt weder etwas gegen Wahrheit
noch gegen begriffliche Rede noch gegen Dogmatik. Denn was
sollte sonst die Aufgabe von Dogmatik sein, als die vorausgesetzte
Wahrheit Gottes in die Klarheit des Denkens einzuholen und damit
zu verstehen? M. a. W.: Das Gegeneinander-Ausspielen von Dogmatik
und Hermeneutik kann dem Autor schon allein deshalb nicht
gelingen, weil er sich der begrifflichen Mittel begibt, die ihn zum Ziel
führen könnten. Bei solchen Beispielen beginnt man sich'nach den
französischen rationalistischen Traditionen, ja auch nach der Tradition
des Thomismus zu sehnen.

Trotz dieser Kritik ist das Buch anregend und lehrreich. Die Auseinandersetzung
mit Ernst Blochs atheistischer Hermeneutik im
6. Kapitel zeigt die Weite und Dialogfähigkeit von Geffres Theologie.
Freilich leitet er die behauptete Identität Gottes mit seinem Reich von
den Blochschen, nicht aber, wie er meint, von biblischen Voraussetzungen
ab. (S. 109). Dafür gelingt es ihm, der Christologie mit Hilfe
des Blochschen Ausdruckes „homo absconditus" jene Spannung abzugewinnen
, ohne die jede Rede von-Christus tatsächlich im (schlechten
) Dogmatismus verkommt: Christus steht für jenen verborgenen,
neuen Menschen, der trotz überhandnehmender Inhumanität und
trotz unverbindlichen Humanitätsgefasels erst noch ans Licht treten
soll.

Im besten Sinne „wegweisend" scheint mir jedoch das 12. Kapitel
(Christentum als Weg) zu sein. Aus der Bemühung um das Verständnis
der chinesischen Kultur entstanden, bietet dieser Aufsatz Geffres
alle interpretatorische Intuition auf, um das Christentum im Ver-