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Ausgabe:

1989

Spalte:

450-451

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Titel/Untertitel:

Morality and ethics in early Christianity 1989

Rezensent:

Opitz, Helmut

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449

Theologische Literaturzeitung 114. Jahrgang 1989 Nr. 6

450

deren mangelhafte Bewältigung nicht nur die Entstehung der „Sonderlehren
" des Ebionismus, Doketismus und christlichen Gnostizis-
mus begünstigte, sondern auch die späteren christologischen Kämpfe
letztlich mit verursachte. Nachdem Vf. „zwei Ansätze zur Lösung"
(bei Gregorios Thaumaturgos und Laktanz) vorausschauend genannt
hat, geht er zunächst auf die Zielsetzung seines Buches ein (Untersuchung
der Apatheia in der griechischen Antike und in den ersten
drei Jahrhunderten des Christentums), behandelt denn „Methodisches
" und den gegenwärtigen Forschungsstand (er ist im Blick auf die
Antike „denkbar schlecht", hinsichtlich des Frühchristentums „nur
wenig günstiger") und informiert über Besonderheiten der von ihm
verwendeten Terminologie.

Der erste Hauptteil „Die Grundlagen des Gedankens der Apatheia
Gottes" umfaßt zwei Kapitel mit acht Paragraphen. In Kapitel I geht
es um den Begriff Apatheia in der griechischen Antike, wobei das
gesamte Wortfeld und begriffliche Umfeld gewissenhaft abgeschritten
wird. Auch die lateinische Übersetzung von Pathos (passio) wird
behandelt. Hervorgehoben hat Vf. die große Bedeutung, die das ethische
Ideal der Apatheia im griechischen Einflußbereich hatte.
Kapitel II ist der Apatheia Gottes bei den Autoren der griechischen
Antike - von Homer über die Vorsokratiker, Sokrates, Piaton, Aristoteles
, Epikur bis hin zu Plotin gewidmet. Es enthält 11 Unterabschnitte
mit dem Ergebnis: „Durchweg erscheint der Gedanke einer
Prinzipiellen Apatheia als konstitutives Element antiker griechisch-
Philosophischer Gottesvorstellung . . ." (90). Auf Erwägungen über
die Apatheia Gottes bei den Lateinern (die Vorstellung vom Pathos
der Götter in der altrömischen Religion fällt bei der Übernahme griechischer
Vorstellungen weg!) folgen Abschnitte über das Alte Testament
und das nachbiblische Judentum (der Gedanke der Apatheia
Gottes findet sich dort nicht) und über den „ersten Versuch einer Harmonisierung
" zwischen griechischer und jüdischer Gottesvorstellung
bei Philon.derzugunsteneinesapathischenGottesausfällt.

Der zweite Hauptteil „Die Apatheia Gottes im frühen Christentum
" enthält drei Kapitel mit neun Paragraphen. Eingangs werden
apatheia und impassibilitas mit ihren Wortfeldern im Frühchristentum
untersucht. Die drei Kapitel enthalten dann Ausführungen über
die Apatheia Gottes in den Schriften des 1., 2. und 3. Jh. Erste Versuche
, „die Gottheit und das Leiden Jesu Christi. .. wieder zu trennen
" (127), finden sich im „Doketismus und Doketentum". Beide
werden vom Vf. mit Recht auseinandergehalten (vgl. 127ff). Es folgen
Ausführungen über die „Apostolischen Väter". „Das Dilemma des
sowohl pathischen als auch apathischen christlichen Gottes" wird
Zuerst bei Ignatius „deutlich erkennbar", aber nicht gelöst (233). Im
2- Jh. (Kap. II) breitet sich die Vorstellung von der Apatheia Gottes
nicht nur bei den christlichen Gnostikern, sondern auch bei den kirchlichen
Theologen aus. In den Auseinandersetzungen darüber geht es
v°r allem um die „gottmenschliche Person Jesu Christi". Die
Lösungsversuche laufen fast alle auf eine vollständige Trennung von
Menschheit und Gottheit Jesu Christi hinaus. Vf. behandelt das Problem
bei den Apologeten (einerseits Übernahme der Apatheia Gottes,
andererseits Festhalten am wirklichen Leiden Jesu Christi; nur bei
Justin erkennbarer Ausweg durch den Logos-spermatikos-Gedanken)
und bei den Gnostikern, deren verschiedenartige Ansätze-ausgehend
von der Gottheit oder Menschheit Jesu Christi - vorgeführt werden.
Um diese zu trennen, entwickelten die Gnostiker außerdoketistischen
Konzeptionen vor allem das Zwei-Naturen-Schema.

Für das 3. Jh. (Kap. III) werden die Lehren des Alexandriner (Klemens
von Alexandrien und Origenes), Gregorios Thaumaturgos und
Tertuallian herangezogen. Die gnostischen Schriften des 3. Jh. wurden
bereits im 2. Kap. mit behandelt (ein Hinweis darauf wäre gut).
Bei Klemens erreicht die Vorstellung der Apatheia Gottes ihren
Höhepunkt; Origenes übernimmt sie auch, lehrt aber andererseits das
wirkliche Leiden Gottes in Jesus Christus. Vf. deutet dieses Paradoxon
als eine bewußt „vermittelnde Position" (205). Das Problem
der Apatheia Gottes hat schließlich Gregorios Thaumaturgos in der
Schrift „Ad Theopompum" thematisiert. Er deutet den Begriff „Leiden
" um und versteht die Apatheia Gottes „im Sinne der Erhabenheit
über die Pathe, die sich jedoch dem menschlichen Leiden" (aus göttlicher
Liebe!) „stellt und es hierdurch überwindet" (219). In der lateinischsprachigen
Theologie hat Tertullian den Apatheia-Gedanken
übernommen und auf die Gottheit Jesu Christi bezogen.

Vf. hat in dieser für die Kirchen- und Dogmengeschichte wichtigen
Untersuchung eindrucksvoll vorgeführt, welche schwerwiegenden
Folgen die Übernahme der griechischen Apatheia-Vorstellung für das
frühe Christentum hatte. Er stellt am Schluß die Frage, ob man auf sie
heute nicht weitgehend verzichten sollte, ohne die „Erhabenheit
Gottes über die Pathe" im christlichen Gottesbild zu vernachlässigen.
Eine lohnenswerte Lektüre!

Berlin Karl-Wolfgang Tröger

Womer, Jan L. [Ed. and Transl.]: Morality and Ethics in Early
Christianity. Philadelphia, PA: Fortress Press 1987. VIII, 135 S. 8°
= Sources of Early Christian Thought.

Die Reihe bietet frühchristliche Texte (1.-5. Jh.) zu grundlegenden
dogmatischen und ethischen Themen in moderner englischer Übersetzung
. Sie ist gedacht für einen breiten Leserkreis, der an den ökumenischen
Grundlagen heutiger christlicher Theologe interessiert ist.
Darüber hinaus ist es ihr besonderes Anliegen, anhand der Texte und
eines Einführungskapitels aufzuweisen, wie von den neutestament-
lichen Grundlagen her bei Wahrnehmung der Verantwortung für die
Welt um die eigene Identität gerungen wurde, so, daß sie immer wieder
neu zur Sprache kommt und zugleich für die Umwelt annehmbar
wird. Die Vf. der Reihe wollen durch ihre Quellenauswahl und Interpretation
auch dem heutigen Nachdenken in den Bereichen der Chri-
stologie, der Trinitätslehre, der theologischen Anthropologie, des
Verhältnisses Kirche-Staat, der frühchristlichen Bibelinterpretation,
der frühchristlichen Spiritualität und des Kirchenverständnisses neue
Impulse geben.

Im Einleitungskapitel des Buches (S. 4-28) werden die Quellenausschnitte
der dann folgenden 10 Kapitel in ihren historischen, geographischen
und kultur- und geistesgeschichtlichen Kontext gestellt und
dann, ausgehend von ihrem neutestamentlichen "background",
befragt: Wie wird einerseits die Identität mit dem spezifisch Christlichen
gewahrt (= der Glaube an Jesus von Nazareth als den Messias,
die sakramental begründete über-weltliche neue Existenz des Getauften
und sein eschatologisches Lebensziel), konkret etwa: „Warum
sind Almosen, die ein Christ gibt, verschieden von denen, die ein
NichtChrist gibt?" (S. 2) Andererseits: wie wird ein positiver Standpunkt
zur jeweiligen Zeit und Umwelt gefunden, mit dem man sich
nicht nur verständlich, sondern auch attraktiv machen kann? Wie
kommt es - jeweils neu - zum klaren Standpunkt gegenüber der Sünde
ohne Lieblosigkeit gegenüber den Sündern, die ja mit der Zeit mehr
und mehr auch aus den Gemeinden kommen? Wie können die verschiedenen
christlichen Stände - Laien, niederer und höherer Klerus,
Mönche - in ihrer Umwelt gleichzeitig ihre geistliche Identität und
ihre Position wahren? Wie wirkt sich der Anspruch und Zuspruch des
1. Gebotes für das Leben des Christen in einer Welt mit heidnischen
Moralprinzipien und innerhalb des römischen Staates aus (Kaiserkult
, Militärdienst)? Wie entsteht im Laufe der ersten fünf Jahrhunderte
das im Neuen Testament noch nicht entfaltete Konzept für die
christliche Transformierung der nichtchristlichen Gesellschaft (S. 6)?
- Was diese Fragen anbetrifft, so kann man gerade in dem Ringen der
frühen Christenheit die lehrreichen Anfänge heutiger geistlicher Auseinandersetzungen
in der nicht mehr christlichen Umwelt sehen.

Die dann folgenden Kapitel bieten Auszüge aus je einer Schrift,
so daß der gleiche Themenkreis durch jeweils andere Personen, Zeit
und Umwelt immer wieder neu akzentuiert in bunter Vielfalt
erscheint: Didache, Apologie des Aristides von Athen, Clemens von
Alexandrien: „Welcher Reiche wird gerettet werden?", Tertullian:
„Vom Götzendienst" und Apologie, Cyprian von Carthago: „Von