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Ausgabe:

1989

Spalte:

436-437

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Bammel, Ernst

Titel/Untertitel:

Jesu Nachfolger 1989

Rezensent:

Vogler, Werner

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Theologische Literaturzeitung 114. Jahrgang 1989 Nr. 6

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Der Inhalt dieses Buches ist nicht, wie es sein Titel zu versprechen
scheint, eine Darstellung der Welt des spätantiken Hellenismus und
der Art und Weise, wie das junge Christentum in diese Welt vordringt
und auf sie eingeht. Vielmehr schildert Nash ein Stück Forschungs-
gcschichte des 20. Jh. (vor allem seiner ersten Jahrzehnte), mit dem
Ziel, die Haltlosigkeit der religionsgeschichllichen Theorien über eine
Abhängigkeit bzw. Beeinflussung des Urchristentums von seiner religiösen
Umwelt zu erweisen, also die Sicht des Christentums als einer
„synkretistischen Religion" zu widerlegen. Er tut das in drei Teilen
(I: Hellenistic Philosophy; II: The Mystery Religions; III: Christia-
nity and Gnostocism), in denen er das jeweilige Philosophie- bzw. reli-'
gionsgeschichtliche Phänomen darstellt und dann auf die Hypothesen
eingeht, die das NT, insbesondere Paulus und das IV. Evangelium,
von diesen Größen abhängig sein lassen. Es ist Nash natürlich bewußt,
daß die Positionen der Religionsgeschichtlichen Schule - bis auf das
letzte Gebiet, den Gnostizismus - in der Fachwissenschaft längst überholt
sind; aber er findet sie in Nachbarwissenschaften wie Geschichte
und Philosophie immer noch vertreten (S. 9-11; 57f; 117ff) und
möchte deshalb mit seinem Buch vor allem Leser außerhalb der Zunft
der Bibelwissenschaftler erreichen; etwas anders liegt es, wie angedeutet
, im Teil III.

In der Introduction (Chap. 1) wird aus dem apologetischen Interesse
, das ihn leitet, kein Hehl gemacht, und die Conclusion (Chap. 17)
nimmt diese Programmatik nochmals auf. Leider stellt sich ihm das
theologische Problem so dar, daß die Anerkennung von Abhängigkeiten
(im strengeren Sinne) und Einflüssen auf wichtige Aussagen des
Urchristentums, vor allem seine Christologie, die Glaubwürdigkeit
der neutestamentlichen Botschaft in Frage stellen würde: "My major
concern is with problems that appear to undermine the fundamental
Christian conviction that the New Testament is a divinely inspired
book" (S. 14; vgl. 18 und 263ff)- Wer diese Logik als zwingend ansieht
, für den muß natürlich alles daran liegen, Abhängigkeiten der
neutestamentlichen Autoren von der außerbiblischen Welt auszuschließen
. Es ist schade, daß der Autor dieser Scheinlogik anhängt;
sollte es wirklich so sein, daß das NT als Gottes Botschaft an die
Menschheit nur insoweit gelten kann, als seine Aussagen unbeeinflußt
von religiöser Sprache und Vorstellungen seiner Umwelt sind? N.
unterstellt den Vertretern der von ihm angegriffenen religions-
gcschichtlichen Hypothesen - im Blick auf den Anfang des 20. Jh.
gewiß z. T. zu recht - eine „naturalistische Weltanschauung", die
„Wunder" ausschließt (dagegen N.: "If miracles are impossible, then
neither the Incarnation nor the Resurrection is possible", S. 265).
Aber lassen wir diese apologetische Abzweckung des Buches, die zumal
im aktuellsten Teil III die Argumentation merklich beeinflußt,
zunächst ruhig beiseite.

In Teil I (Chap. 2-6) gibt N. einen gut lesbaren Überblick über
Grundzüge der Geschichte der griechischen Philosophie, zunächst
(Chap. 2) von Piaton bis zum Mittleren Piatonismus, da in Chap. 3
die Frage des Einflusses des Piatonismus auf Paulus behandelt und
m. R. kurz abgetan wird. Die Stoa kommt dann in Chap. 4 zu ihrem
Recht; doch ist die Auseinandersetzung mit der These eines stoischen
Einflusses auf das NT hier nicht so befriedigend, weil N. an dieser
Stelle die jüdisch-hellenistische Adaption der Stoa noch ausklammert
, vielmehr vor allem die Frage nach eventuellen Beziehungen
zwischen Paulus und Seneca behandelt (Rom 1,18 ff etwa kommt gar
nicht in den Blick). Erst in Chap. 5 ("The Christian Logos") kommt
N. dann auf Philon zu sprechen, voralfem um Beziehungen zwischen
Philons Logos-Vorstellungen und Joh 1 zurückzuweisen zugunsten
der Annahme eines gemeinsamen Hintergrundes in der Sophia-
Anschauung der Weisheitsliteratur (Prov8; SapSal 7). In Chap. 6
trägt N. schließlich eine von ihm schon früher geäußerte, bedenkenswerte
Hypothese zum Hebräerbrief als „Testfall" vor; dieser sei nicht
nur von jüdisch-hellenistischem Hintergrund abhängig, sondern stehe
zugleich in bewußter Kontroverse zu ihm: der Hcbr wolle die Überlegenheit
Christi über die Mittlergestalten, wie sie etwa Philon kennt,
aufzeigen und den jüdisch-hellenistischen Piatonismus wegen seiner

Geschichtslosigkeit attackieren. (Nur im Sinne der Abwehr hält N. so
etwas wie eine Abhängigkeit von der außerbiblischen Welt für verträglich
mit der Inspiriertheit der neutestamentlichen Schriften.)

In Teil II (Chap. 7-11) behandelt N. die Mysterienreligionen und
ihre möglichen bzw. vorgeblichen Beziehungen zum Urchristentum.
Nach einer generellen Einführung (Chap. 7) führt er die wichtigsten in
Frage kommenden Mysterienreligionen vor (Chap. 8), jeweils zugespitzt
auf die möglichen Bezüge zum NT und unter besonderer Aufmerksamkeit
auf die chronologische Frage. Mit Recht liegt ihm daran,
zu zeigen, daß die greifbaren Gestaltungen der Mystcrienreligionen
meist erst in das 2.-4. Jh. führen, also schon aus diesem Grunde für
eine Beeinflussung des Urchristentums nicht in Frage kommen. Das
wird in Chap. 9 an den urchristlichen Sakramenten Taufe und Herrenmahl
verdeutlicht und in Chap. 10 an anderen Glaubensvorstellungen
(essential beliefs) des Urchristentums, für die mystcrientheo-
logischer Einfluß behauptet worden ist, durchgeführt (bes. ausführlich
an der Vorstellung von der Wiedergeburt), um zu zeigen, daß - auch
abgesehen von der Chronologie - die Versuche, Parallelen bzw. Einflüsse
auf das NT zu entdecken, meist auf einer "inattention to detail"
(S. 153) basieren. In Chap. 11 weist N. insbesondere die Versuche
zurück, Kenntnis bzw. Einflüsse von Mysterien auf Paulus nachzuweisen
; eher komme die Möglichkeit in Frage, daß Mysterienreligionen
gewisse Einflüsse vom Urchristentum her aufgenommen hätten
(S. 1980- Leider wird eine Stelle wie etwa IKor 10,14-22, in der Paulus
von einer weitgehenden Analogie der Formen heidnischer Kultmahle
und des urchristlichen Herrenmahlcs ausgeht, nicht besprochen
(etwa auf S. 1580-

Das in gewisser Weise spannendste Kapitel ist Teil 1"
(Chap. 12-16), die Auseinandersetzung mit der Frage gnostischen
Einflusses auf das NT. Hier setzt sich N. vor allem mit der Position
R. Bultmanns auseinander, inhaltlich mit der Frage einer vorchristlichen
Gnosis, besonders der Hypothese einer vorchristlichen gnostischen
Erlöserfigur. Dabei nimmt er bisherige Ergebnisse der durch die
Nag Hammadi-Schriften neu in Fluß gekommenen Forschung auf
hier deutlicher als in den ersten Teilen in Abhängigkeit von anderen
Autoren. Leider scheint N. nicht verstanden zu haben, daß Bultmanns
Exegese des Johannesevangeliums dieses nicht zu einer gnostischen
Schrift macht (so erst mehr oder weniger E. Käsemann oder L. Schottroff
, die beide nicht genannt werden), sondern die antignostische Aufnahme
gnostischer Anschauungen (etwa der „Ofl'cnbarungsreden-
quelle") betont - wie es N. selbst gar nicht viel anders sehen kann (vgl.
S. 229; 236; grotesk wird es, wenn N. auf S. 239 von Bultmanns "own
personal aversion" gegenüber der Theologie des IV. Evangeliums
spricht). Im übrigen hat er natürlich recht mit der Zurückweisung der
These von der vorchristlichen gnostischen Erlösergestalt, mit der
Infragestellung der Benutzung mandäischer Texte für die Rekonstruktion
einer vorchristlichen bzw. vorjohanneischen Gnosis und mit der
Feststellung, daß die Existenz von «((/»christlichen gnostischen
Schriften (das schöne Beispiel des Eugnostos-Briefes, NHC [U/3, und
seiner christlichen Erweiterung zur „Sophia Jesu Christi", NHC III/4,
enthält er dem Leser leider vor) noch nicht eine forchristliche Gnosis
belegt.

Der Forschungauf diesem Gebiet Neues zu bringen, ist nicht Nash's
Anspruch. Wären nicht die eingangs genannten „fundamentalistischen
" Elemente (die ja einen nichtchristlichen Leser wieder nur ver-
schrecken können), so würde man dem Buch noch lieber den Leserkreis
außerhalb der theologischen Fachwelt wünschen, den Nash
ansprechen möchte.

Naumburg Nikolaus Walter

Bammel, Ernst: Jesu Nachfolger. Nachfolgeüberliefcrungen in der
Zeit des frühen Christentums. Heidelberg: Schneider 1988. 96 S.
gr. 8" = Studia Delitzschiana, 3. Folge, 1. Kart. DM 48,-.

In diesem relativ schmalen, jedoch überaus anregenden Band
werden zunächst die Nachfolgcordnungen der (jüdischen wie heidni-