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Ausgabe:

1989

Spalte:

363-364

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Oberman, Heiko Augustinus

Titel/Untertitel:

Die Wirkung der Reformation 1989

Rezensent:

Bräuer, Siegfried

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Seite 1

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363

Theologische Literaturzeitung ! 14. Jahrgang 1989 Nr. 5

364

Regimenten als von Reichen, obwohl bei Luther beide Begriffe nicht
scharf getrennt werden - wird keineswegs nivelliert. Aber Forck weist
nach, wie bei Luther Christus auch im allgemeinen Weltregiment
Gottes von Anbeginn in seiner menschlichen wie göttlichen Natur
wirksam ist. Das Verfallensein der Welt an die Herrschaft von Gesetz,
Sünde, Tod und Teufel kann letzten Endes nur vom Evangelium her
erkannt werden. Freilich handelt es sich dabei nur um die dunkle
Kehrseite des Evangeliums. Seine eigentliche Funktion ist die Botschaft
vom Sieg Christi über alle dunkle Gewalten und der Ruf unter
Christi universale, ewige Gnadenherrschaft. Die Erhaltung der Welt
mit Hilfe menschlicher Vernunft und weltlicher Ordnungen mit
ihrem großen Maß von Eigenständigkeit geschieht nach Gottes Willen
letzten Endes nicht als Selbstzweck, sondern nur um des von Anfang
an feststehenden Zieles der endgültigen Aufrichtung des Gnadenreiches
Jesu-Christi willen.

Ausführlich geht Forck auch auf die bei Luther namentlich in seiner
Schrift ,,Von weltlicher Obrigkeit" sich findende Unterscheidung von
Einzelperson und Amtsperson ein. Aber auch hier geht es nach Forck
bei Luther nicht um die Trennung zweier Bereiche, die nichts miteinander
zu tun hätten, sondern um die Erfüllung des allgemein verpflichtenden
Doppelgebots der Liebe in allen Bereichen des Lebens.
Sowohl der Gehorsam gegenüber der jeweiligen Obrigkeit wie auch
die Gehorsamsverweigerung bei eindeutigen Anordnungen der Obrigkeit
gegen das Doppelgebot der Liebe wird von daher begründet. Auch
in dieser Beziehung werden nach meinem Eindruck Luthers Äußerungen
von Forck zutreffend interpretiert. Hier zeigt sich auch besonders
deutlich, weshalb Forcks Untersuchung aus dem Jahr 1956
durchaus aktuelle Bedeutung für die sich heute stellenden Fragen
kirchlicher und christlicher Mitverantwortung im weltlichen, politischen
Bereich hat.

Namentlich am Schluß von Forcks Untersuchung wird herausgestellt
, wie das Handeln im Gehorsam gegen das Doppelgebot der
Liebe immer nur als ungewisses Zeichen echter Zugehörigkeit zum
Reiche Christi erscheint. Die Rechtfertigung des Gottlosen aus lauter
göttlicher Barmherzigkeit ohne Anrechnung frommer menschlicher
Werke bleibt für alle Bereiche der Herrschaft Jesu Christi bestimmend
. Auch das entspricht Luthers durchgängiger theologischer
Erkenntnis.

Stuttgart Gerhard Heintze

Oberman, Heiko Augustinus: Die Wirkung der Reformation. Probleme
und Perspektiven. Stuttgart: Steiner 1987. 57 S. 8° = Institut
für europäische Geschichte Mainz, Vorträge, 80. Kart.
DM 12,80.

In seinem Mainzer Vortrag vom 22. Mai 1986 geht es Oberman um
das Problem der Wirkung der Reformation angesichts der Gefahren,
die er durch den Einfluß des Strukturalismus auf die heutige Reformationsgeschichtsschreibung
feststellt. Sein Anliegen heißt: Suche nach
einer via media, nach einer ganzheitlichen Geschichtsschreibung
anstelle „der alleinigen Analyse von Strukturen und dem alleinigen
Glauben an sogenannte ,Leitideen'" (10). Auf der Suche nach diesem
Ziel mustert er gängige Thesen, Formulierungen und Auffassungen
kritisch und weist auf ihre Einseitigkeit und damit zugleich Un-
brauchbarkeit hin: Die These vom Scheitern der Reformation, die
Tendenzsprache der Sozialanalyse (das Verhältnis von Bauernkrieg
und Reformation, die Reformation als Beute der habgierigen Fürsten,
Führungselite, soziale Kontrolle), das Wiedererstarken der Inquisition
(Analyse der Satire auf die Inquisition „Modus solemnis inqui-
rendi Contra Lutheranos" 1553), die Nikodemiten als Vertreter einer
möglichen oder gar notwendigen Position (Ausharren statt Flucht,
z. B. bei Antoine Fumee), Luther als Apokalyptiker (Abwehr der
Kritik B. Lohses und B. Moellers). Oberman plädiert dafür, die Frage
nach der Wirkung der Reformation differenziert auszuloten und dabei
sein Schema von den drei Reformationen im Ansatz zu bringen. In der
ersten Reformation seien Luthers prophetische Träume maßgeblich

gewesen und hätten selbst Geschichte gemacht. Das nur ein Vierteljahrhundert
währende Intermezzo der zweiten Reformation in den
Städten bot der Reformation das geistig-geistliche Rüstzeug, zugleich
aber „auch den politischen Raum, um mit jenen Neuordnungen zu
experimentieren" (55), um einen neuen Lebensstil zu schaffen. Die
Wirkung der dritten Reformation, die der Refugies, weist zwei Entwicklungslinien
auf: den zeitweiligen Siegeszug der Revolution der
Heiligen, die das „Königreich Christi errichteten und ausweiteten"
(56) und die neue Plattform für kirchenfreie Ethik und freiwillige
„Basis-Gemeinschaften" durch die einstigen Nikodemiten, die damit
,,in der Neuzeit zu natürlichen Verbündeten des Sozialismus und
Ökumenismus" wurden (56). Der Autor bietet die bei ihm zu
erwartende Fülle von Durchblicken und Anregungen sowie einprägsame
Formulierungen. Seine Neigung, zu schematisieren (vgl. die drei
Reformationen), die Dinge auf den Begriff zu bringen (z. B. 57:
„Index, Inquisition und Infanterie bereiteten der Reformation in Italien
, Frankreich und den habsburgischen Territorien das Ende.") und
durch unverbrauchte Beispiele Zusammenhänge zu illustrieren (8f: Ist
das Begriffspaar „Händel und Louff' bei Bullinger wirklich tragfähig,
um den Unterschied zwischen Tat und Wirkung bzw. Ablauf zu
demonstrieren?) ist aber auch bei dieser Skizze der Probleme und Perspektiven
unübersehbar.

Berlin Siegfried Bräuer

Kirchengeschichte: Neuzeit

Sauer, Klaus Martin: Die Predigttätigkeit Johann Kaspar Lavaters
(1741-1801). Darstellung und Quellengrundlage. Zürich: Theologischer
Verlag 1988. 724 S. gr. 8 geb. sFr 180.-.

Wenn Kirchengeschichte nach G. Ebeling Auslegungsgeschichte
des Wortes Gottes ist, dann müßte Predigtgeschichte vor allem 'f
protestantischen Raum mit größerem Nachdruck betrieben werden-
Sauer orientiert sich für die Methodik seines Vorgehens an sechs
Untersuchungen zu Predigern, die gleichzeitig oder etwas späte
gewirkt haben (31-34). Das ist mehr als nichts, aber angesichts der
Fülle von überlieferten Predigten zu wenig. Sauer gibt nun ein weiteres
und überzeugendes Beispiel dafür, was bei intensiver Arbeit
herauskommen kann. Dazu gehört freilich nicht nur das oft mühsame
Studium der handschriftlich überlieferten und gedruckten Predigte"'
sondern auch die Erkundung des kirchlichen und zeitgeschichtlichen
Umfeldes sowie die Wirkungsgeschichte der Predigttätigkeit in der
Frömmigkeitsgeschichte der Gemeinde. Das sind sehr hohe Anforderungen
an die kirchengeschichtliche Forschung.

Sauers Buch, eine überarbeitete Dissertation 1983/84 bei Gustaf
Adolph Benrath in Mainz, erfüllt solche hohen Erwartungen in positiver
Weise. Mit hohem Fleiß, wissenschaftlicher Präzision und dennoch
übersichtlich und verständlich wird Pionierarbeit geleistet. Ein
wichtiger Meilenstein der Lavaterforschung ist damit gesetzt worden-
Es wäre sehr zu wünschen, daß der Vf. Zeit und Gelegenheit hätte, das
von ihm selbst erneut festgestellte Forschungsdesiderat einer wissenschaftlichen
Biographie einzulösen; denn nach wie vor muß die
Lavaterforschung auf die dreibändige Biographie seines Schwiegersohnes
Georg Geßner 1801-1803 zurückgreifen (41 Anm. 43).

Zu Beginn wird der Stand der Lavaterforschung allgemein und die
Berücksichtigung seiner Predigttätigkeit in der Forschung referiert-
Klar und präzise werden dann die Verfahren und das Ziel der Arbeit
beschrieben (11-42). Es folgt eine Zürcher Kirchengeschichte der
fraglichen Zeit, wobei bereits weitgehend auf Archivmaterial zurückgegriffen
wird. Dabei geht es keineswegs nur um die durch einzelne
Pfarrer vertretenen Lehrmeinungen, sondern ebenfalls um die konkreten
Sitten und Gebräuche, Rechtsvorschriften und Institutionen
. Damit wird der reale gemeindliche und gesellschaftliche Hintergrund
für Lavaters Tätigkeit als Pfarrer sehr deutlich (43-88). 0er