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1989

Kategorie:

Bibelwissenschaft

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung I 14. Jahrgang 1989 Nr. 5

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Werke einzusehen, werden nur wenige Gelegenheit genommen haben,
zumal man bisher auf ältere Drucke zurückgreifen mußte.

Hier ist nun Abhilfe geschaffen, da jetzt im Rahmen der in Oxford
erscheinenden Clarendon-Ausgabe der Werke Lockes auch die exegetischen
opera in moderner Edition vorliegen. Als Herausgeber
konnte Arthur Wainwright vom Emory College gewonnen werden,
dem es selbst um die kritische Hinterfragung der Bibelkritik zu tun ist
(vgl. seine Schrift Beyond Biblical Criticism, 1982) und der die
dankenswerte Aufgabe übernommen hat, den Möglichkeiten und
Grenzen neuzeitlicher Exegese gleichsam im Quellbereich nachzuspüren
.

Daß sich die Kommentierung Lockes auf die wichtigsten Stücke des
Corpus Paulinum beschränkt, hat biographische Gründe. In seiner
apologetischen Schrift Reasonables of Christianity (1696) war er ausschließlich
auf die Evangelien und die Apostelgeschichte eingegangen.
Das hatte ihm Kritik eingetragen. Sie war ihm Anlaß, den anderen
Hauptteil des Neuen Testaments in einer neuen, das allgemeine Verständnis
fördernden Weise zu präsentieren. Die daraus erwachsenen
Kommentare bilden den Abschluß seiner wissenschaftlichen Lebensarbeit
und erschienen erst postum: 1705 zum Galaterbrief, 1706 zu
den Korintherbriefen, 1707 zum Römer- und zum Epheserbricf,
sowie das für Lockes Hermeneutik wichtige Vorwort.

Im Zusammenhang mit dieser Werkausgabe konnten die gedruckten
Kommentare erstmalig anhand der (teilweise) erhaltenen Manuskripte
Lockes aus der Bodleian Library in Oxford überprüft und
durch die zahlreichen Eintragungen in eigene Bibelexemplarc und
Notizbücher ergänzt werden, die eine jahrzehntelange Beschäftigung
mit dem Neuen Testament dokumentieren. Dieses editionskritisch
und biographisch interessante Material ist als Anhang den Auslegungen
der einzelnen Briefe jeweils beigegeben. In welchen gesellschaftlichen
Kontext die Bibelauslegung des angesehenen Autors gehörte,
wird daran deutlich, daß - wie wir dem Briefwechsel Lockes entnehmen
- kein Geringerer als Isaac Newton der erste Leser der noch
unveröffentlichten Manuskripte war.

Das Werk stellt einen Tür England neuen Typus der Auslegung dar,
der Schule machen sollte und in der angelsächsischen Welt bis heute
Nachfolgerfand. Die in Sinneinheiten von Perikopenlängegegliederte
Präsentation bietet für jeden Schriftabschnitt zunächst eine Erörterung
des Zusammenhangs, dann die Übersetzung, anschließend die
Paraphrase und schließlich die Notes. Dabei ist die Paraphrase das
Herzstück, die eigentliche Kommentierung in Gestalt einer oft weit
ausholenden Umschreibung, während die Noten Erklärungen zu den
Realien und Erläuterungen theologischer Begriffebringen.

Liest man das dem Gesamtwerk vorangestellte Vorwort Lockes (I,
101 -116), so wird deutlich, daß zwischen dem Charakter seiner Kommentierung
und dem geistesgeschichtlichen Ort seines Denkens im
Vorhof der Aufklärung ein enger Zusammenhang besteht. Die Begegnung
mit dem biblischen Text soll den Leser von philosophischen und
theologischen Vorurteilen befreien. Drei Grundsätzen will die Auslegung
folgen: Paulus selbst soll zu Wort kommen, nicht die Meinung
seiner Ausleger. Der Autor soll als theologischer Denker ernst genommen
werden, denn seine Befähigung zum Heidenapostel gründe in
seinem Vermögen, überzeugende Argumente zu bringen. Den Fehldeutungen
, die sich aus punktueller Rezeption im Interesse dogmatisch
gebundener Lehrmeinung ergeben, soll durch kontextbezogene
Exegese entgegen gewirkt werden. So kommt es zu dem von Locke
geradezu plakativ herausgestellten "Understanding of St. Paul's
Epistlesby Consulting St. Paul himself"('02).

Authentizität und Integrität der von ihm behandelten Paulusbricfe
stehen für den Kommentator noch außer Frage. Fundamentalkritik,
wie sie Spinoza am Alten Testament übte, bleibt ihm fremd. Dem
Zwang. Paulus das sagen zu lassen, was dem eigenen theologischen
Weltbild entspricht, entgeht auch Locke nicht. Dies wird am deutlichsten
dort erkennbar, wo einzelne Stellen einer ausführlichen, von der
traditionellen Norm abweichenden Auslegung gewürdigt werden. So
wird zu 2Kor 5.21 der Substitutionsgedanke entschieden abgelehnt

(1, 2870- Die Interpretation zu Rom 2,26 spricht, dem Naturrechtsdenken
folgend, von der natural and eternal rule of rectitude. die nicht
einmal von Gott geändert werden könnte (2,5010- Die an I Kor
15,22-24 herangetragene Lehre von der doppelten Auferstehung gibt
Cielegenheit, eine nur zeitlich begrenzte Verdammnis zu statuieren
(1, 2580 und 2Kor 5,8 ermöglicht, über Seelcnunsterblichkeit und
Zwischenzustand zu reflektieren (I, 466-469). Doch sind solche Exkurse
eher die Ausnahme. Über weite Strecken sieht Locke zwischen
dem recht verstandenen Paulinismus und dem eigenen Konzept keine
Differenz und glaubt mit einer Hermeneutik des Einverständnisses
dem Apostel auf der Spur zu bleiben. Kritisch heißt zumeist nicht
mehr als dogmenkritisch, wie etwa die den schroffen Pracdestinatia-
nismus korrigierende Auslegung von Rom 9 (2, 565-570) zeigt.

Die Einleitung des Herausgebers versucht eine theologische Ortsbestimmung
Lockes auf der Basis des Spätwerkes seiner Kommentare
mit Blick auf die zuvor erschienenen Hauptschriften. Den Extremen
des damaligen theologischen Spektrums, dem praedestinatianischen
Calvinismus und dem unitarischen Deismus erscheint er gleichermaßen
fern. In seinem den Imputationsgedanken ablehnenden Recht-
fertigungsverständnis steht er nahe bei den Arminianern, die den
Sohnesgehorsam betonende Christologie rückt ihn an die Sozianer
heran. "On the theological map of his day he was somewherc between
Socinianism and Arminianism"(58).

Die im Schlußkapitel der Einleitung skizzierte Wirkungsgeschichte
(1, 59-73) greift hinüber in die kontinentaleuropäischc, speziell die
deutsche Theologie des 18. Jh. Joh. David Michaelis (1712-1791)-
einer der Väter der kritischen Bibelforschung, hat Lockes Kommentare
bei den deutschen Lesern bekanntgemacht. (Paraphrastische
Erklärungen und Anmerkungen über St. Pauli. Briefe an die Galater.
Korinther, Römer und Epheser, Frankfurt a. M. 1768/69) und nach
diesem Vorbild eigene Auslegungen in Paraphrasenform veröffcnt'
licht. In der Theologie der Lessingzeit war ihm so eine kurze Wirkung
beschieden. Den von Herder und den Schülern Hegels inspirierten Gfl
genden Generationen vermochte Locke kaum noch Anregungen W
geben. Rückschauend zeigt sich hier, wie sich die Wege neuzeitlicher
Exegese trennen. Dort rcason. hier Geisl; bald tritt den tlistorical l;,cb
die begriffene Geschichte, schließlich der Psychologie das Selbstverständnis
gegenüber. Wer solcher Grunddifferenz ansichtig wurde, für
den ist der Gang durch Lockes Kommentare dann doch mehr als am
bloße Museumsbesichtigung.

Leipzig/Halle (Saale) Wolfgang Wiefel

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