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Ausgabe:

1989

Spalte:

296-297

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Nichols, Aidan

Titel/Untertitel:

The theology of Joseph Ratzinger 1989

Rezensent:

Kirchner, Hubert

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Theologische Literaturzeitung I 14. Jahrgang 1989 Nr. 4

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Zunächst ist die Gewaltenteilung in der katholischen Kirche zu
sehen. Man will auf jeden Fall den Alleingang eines Papstes, wie es
Pius XII. im Jahre 1950 tat, nicht wiederholen lassen. Aber es kommt
eben auf den Papst an, welchen Zuschnittes er ist. Joh. Paul II. hat
schon als Professor in Lublin und als Kardinal in Krakau in den prae-
konziliaren Jahren der kommenden Versammlung maßgebliche
Impulse gegeben. Sie wirken bis heute nach. Der Papst wird als Karol
Woityla etwa 20mal und als Joh. Paul II. etwa I20mal zitiert. Für
ihn ist auch 20 Jahre nach Abschluß des Konzils dieses nicht zu Ende
gegangen. Das gilt besonders für sein von ihm maßgeblich eingebrachtes
Anliegen „Kirche und Welt". Doch tritt die Person des Papstes
fiinterdem von ihm verwalteten „höchsten Lehramt" (summum ma-
gisterium) durchaus zurück. So kann unbefangen die große Trias
Johannes XXIII. (tl962), Paul VI. (t!978) und nun Joh. Paul II. mindestens
bis zum „discurso" von Salamanca von 1982 zitiert werden.
Maßgeblich sind nur die geistliche Vollmacht und der Nachdruck, die
ihnen eignen. Fast mit Beschämung muß der Protestant solches im
Vergleich feststellen (vgl. S. 125).

Darum wundert es nicht, daß die einzelnen VIT. der Beiträge willig
die Vorgaben des Konzils aufnehmen. Das gilt z. T. der Enzyclica
Redemptor hominis (S. 638) und Dignitatis humanae (S. 742). Aber
weit voran steht, an Umgang schon als XIII. Verlautbarung des Konzils
alle anderen Teile vielfach überragend, die Pastoral-Konstitution
„Gaudium et Spes". Karl Rahner übersetzt treffend mit „Kirche und
Welt". Der 23. Psalm gibt das Stichwort. Die dialektische Spannung
wird im Verhältnis von Hirt und Herde gesehen und kann nicht aufgehoben
, sondern nur mit neuen, diese Spannung interpretierenden
Faktoren weitergeführt werden. So wird „Gott und Mensch" das notwendige
Teil moderner theologischer Arbeit. Und die Theologen des
Symposiums stellten sich geschlossen, und auch gelehrt genug, dieser
Situation. Beleg für die weite Übersicht und intensive Forschung, bis
in Einzelheiten hinein, ist das umfangreiche Namensverzeichnis des
Bandes. Von Aristoteles bis Moltmann fehlt nichts, was Rang und
Gewicht hat. Natürlich steht Thomas v. Aquino als der Normaltheologe
vor und über allen Denkern. In gleicher Weise sind die
Naturwissenschaften im Blickfeld. Von Demokrit über Descartcs bis
zu Heisenberg und Einstein gibt es kaum eine Lücke, die entstanden
wäre.

Spricht die Pastoral-Konstitution eingehend von der menschlichen
Person, ihren Rechten, den sozialen und gesellschaftlichen Umständen
, dem wirtschaftlichen Leben, den Prinzipien der politischen und
internationalen Beziehungen, so untersuchen die Vff. unserer Beiträge
das Wesen des Menschen, der in dieser Welt gegen die Kirche handelt
und lebt. Das heutige Bild ist geprägt durch die Methoden und die
Denkweise des naturwissenschaftlichen Zeitalters, spätestens seit der
Allein- und Allgemeingültigkeit der Mathematik und des Experiments
. Die Naturwissenschaften beanspruchen das ausschließliche
Recht, die Wahrheit allein in ihren eigenen Bereichen zu finden. Das
hat zur Folge, daß die Frage nach Gott und der christlichen Offenbarung
an den Rand gedrängt wird. Die radikale Anthropologie endet
mit der Feststellung „Dios a la vista" (wörtlich: Gott, auf Wiedersehen
,-am liebsten nie!)(S. 33).

Um so deutlicher wird die Position der Kirche vorgestellt. Für sie ist
die Erschaffung der Welt und der Menschen eine Tat der Liebe Gottes
(S. 353), und es folgt daraus die Proklamierung der „Würde des Menschen
" nach Gen 1,27. Hier wird die Erklärung Nr. XVII des Vatic. II
(S. 742) herangezogen. Was wird dadurch gewonnen? Das Fundament
des Thomismus wird abermals bestätigt. Und die Kirche kann dem
argwöhnischen Menschen von heute deutlich machen, daß sie alle
seine Probleme längst kennt und mehr oder minder im Griff hat. So
darf, abgesehen von der nicht zu verkennenden Eleganz der Beweisführung
, der Rückzug vor der Welt nicht erwogen werden; die Welt
verlangt das zwar. Aber nun geht die Kirche aufs Ganze. Etwa: Der
Marxismus und die ihm zugrunde liegende Lehre von Marx, mit der
die Welt nicht recht fertig wird, wird ausführlichst nach seinem
Menschenbild befragt (S. 103 bis 123). Der Prozeß gegen Galilei, und

dabei fallt auch der Name von Kepler, wird zwar nicht aufgerollt, aber
es wird mitgeteilt, der Papst habe eine Kommission beauftragt, die
Fakten von damals nochmals zu ergründen. Die gesamte Diskussion
zur Geburtenregelung, Abtreibung, Gen-Technologie mit allen Konsequenzen
, pro und contra, ist längst bedacht, als noch die Well
behauptete, ein Priester habe von solchen Nöten keine Ahnung. Die
von Franz Kafka gesehene Konsequenz der Vereinsamung des ohne
Transzendenz lebenden, bloß dem Experiment Chancen zur Findung
der Wahrheil zugestehenden Wissenschaftlers wird ausgebreitet. Die
ganze Süd- und Mittelamerika-Problematik wird in gleicher Weise
ganz offen durchgenommen. Das ist nicht alles, jedoch schon bei
dieser ungefähren Aufstellung erschrickt man. Dahin fuhrt die Reise,
wenn man behauptet:.,,,Gott und Mensch*. - nein, kein Thema für
heute und für uns und besonders für mich."

Am Ende ist kein Rezept zur Lösung dieses gordischen Knotens
gegeben, außer der Entschlossenheit, die „cataquesis", also Lehre-
Lehrpredigt, Katechese nach oben gezeigten Einsichten auszurichten.
Bemerkenswert, weil offiziös damit auf das unterschwellig immer
noch existierende „cogite intrare" Augustins verzichtet wird.

Solcher in sich geschlossenen Dokumentation dürfen außer dem
lebhaften Dank auch des Protestanten einige Bedenken entgegengestellt
werden. Typisch für die Argumentationen ist die Führung von
Logik und Beweis auf S. 629 in den beiden Abschnitten am Ende-
Meint man wirklich, mit den Kategorien des Thomas dem Naturwissenschaftler
und erst recht dem das (ranze nur zur Hälfte aufnehmenden
Mann von Straße und Büro auf diese Weise beikommen z11
können? Meint man wirklich, die Antwort sei ein Ja, dann darf man
sich der Möglichkeit nicht verschließen, daß außer einer sehr hoch
angesiedelten Intelligenzschicht in der weißen Erdbevölkerung maß
schlicht abschaltet, schon beim Zuhören. Ferner muß grundlegend
gefragt werden, ob nicht der Gegensatz zu Thomas, nämlich Roger
Bacon mit seiner Lehre, die Schöpfung Gottes müsse durch den denkenden
Menschen laufend vervollkommnet werden, einiger

Aufmerksamkeit
wert gewesen wäre. Bei Bacon beginnt der Weg oder der In-
weg der Technik. Und schließlich: Aus welchem Grunde beginnt die
Theologie erst nach Vollendung des Dogmas der Trinität? Ist nicht
schon das Ringen um die Christologic bis hin zu Augustin bereits
massivste Theologie?

Bremen Walter Nagel

Nichols, Aidan, O.P.: The Theology of .Joseph Ratzinger. A Introduc-
tory Study. Edinburgh: Clark 1988. VII, 338 S. 8 Kart. £ 9.95.

Es hat schon gute Gründe, sich mit der Person Joseph Ratzingers-
mit dem Theologen und mit seiner Theologie, etwas eingehender zu
befassen. Seit 1981 Präfekt der obersten Glaubensbehörde der
römisch-katholischen Kirche, der hl. Kongregation für die Glaubenslehre
, dem Gremium, dessen Aufgabe es ist, darüber zu wachen, da"
Lehre und Leben der Kirche rein und unverfälscht bewahrt und vve>'
tergegeben werden, steht er an einem Punkte, an dem viele Fäden zusammenlaufen
, wo das theologische Spektrum der Kirche gleichsah
wieder gebündelt wird und zugleich in Reaktion darauf große Entscheidungen
fallen in Förderung oder Abwehr. Und der Präfekt hat'
wiewohl keineswegs alleinstehend - daran nicht gerade den geringsten
Anteil. Über seine Person und seine Position näher orientieren zu
wollen, liegt also auf der Hand. Hinter dem Buch steht ein begründete''
Anliegen.

Freilich bedarf es hierbei sogleich einer gewissen Korrektur. Eine
„Theologie" im Sinne eines nach systematischen Gesichtspunkten
entfalteten umfassenden Glaubensaufrisses ist das, was das Buch bietet
, keineswegs. Das bieten zu wollen, hätte sicher auch seine grof3en
Schwierigkeiten. So geht es nicht so sehr um die Theologie Ratzingers
als vielmehr um den Theologen Ratzinger. d. h. geboten wird eine las'
nach biographischen Gegebenheiten gegliederte Einführung in das
Wirken Ratzingers als Theologe nahezu im Sinne einer Vorstudie 'ü