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Ausgabe:

1989

Spalte:

280-281

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schnider, Franz

Titel/Untertitel:

Der Jakobusbrief 1989

Rezensent:

Walter, Nikolaus

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Theologische Literaturzeitung 114. Jahrgang 1989 Nr. 4

280

seitens der kirchlich ,orthodoxen' Lehre durch .autoritatives' Material
gegenüber .Häresien' (und Laxheit) zu überarbeiten. Auszunehmen
seien davon die Pastoralbriefe selbst, da diese in ihrer Gesamtgestalt
dieser späteren Bearbeitungsschicht, möglicherweise durch eine
,Schule' - jedenfalls aber durch eine kirchliche Redaktion - in
der Asia minor oder in Rom durchgeführt, entsprächen
(S. 1 fT.27ff.95ff. 11 5ff). Diese weitreichende Hypothese wird durch
eine nach M. vielfach stilistisch nachweisbare "identification ofa later
Stratum in the Pauline corpus and 1 Peter" gewonnen, wobei besonders
die formale Struktur der „antithetischen Parallele" auffalle
(S. 27-94). Die z. T. minutiösen, aber nicht exegetisch-theologisch
hinterfragten Untersuchungen zu Einzelstellen ergeben nach M., aus
dem „Corpus paulinum" als "later Stratum" zu erheben: Rom
1,19-2,1; 12,8c.9-l la,12b-2I; 13,1-7.8-10; 14,1-15,6; IKor(wahrscheinlich
: 4,12.13a. 14-21; 5,1-5.9-13; 16,15f.l8b) 7,17.20.24; 8;
10,23-11,1; 1 1,2-16.17-22.23-25.27-29.33f; 14,32-38; 2Kor
(wahrscheinlich: 10,6.8-11; 13,1-10); Eph 4,28f.32c; 5.1.2a.
15-18a; 5,21-6,9; Kol 3,18-4,1.5; lThcss l,5b.6a.7; 2,1-16;
4,1-12; 5,12-15.21 b.22; 2Thess 2,15; 3,4.6-15; aus dem IPetr.
1,14-19.21 c-23; 2,1-3.8b. 11-20.21 c.22-25; 3,1 -9.13-17.19-22a;
4,lb.2.3c.4-6.7b.8f.l lb-16.19; 5,l-5b. Kaum je größere Abschnitte
, sondern weitgestreut (bis hin zu Gedankensplittern und in
Halbverse aufgeteilt) wird nach vorliegender Untersuchung das Material
der späten Schicht in die genannten Briefe eingebracht..

Die in fünf Kapiteln, mehreren erläuternden Appendices und
einem reichen Anmerkungsteil kenntnisreich und hypothesenfreudig
zugleich vorgetragene Sicht von M. kann allerdings nur als nicht
verifizierbare Konstruktion gewertet werden. Eine hier nicht mögliche
Widerlegung im einzelnen könnte zeigen, daß die meisten der
der späteren Schicht zugewiesenen Stücke in Wirklichkeit sprachlich
und sachlich genuin paulinisch sind und im paulinischen Kontext
exegetisch-theologisch ihren ursprünglichen Ort haben (was entsprechend
für 1 Petr gilt). Gerade das formale Kriterium der parallelen
Antithetik ist von M. willkürlich angewandt, wie sich anhand der
nicht berücksichtigten Untersuchung von N. Schneider, Die rhetorische
Eigenart der paulinischen Antithese, HUTh 11, Tübingen 1970,
und im Zusammenhang der neueren Rhetorikforschung mühelos
zeigen ließe. Daß M. es unterläßt, nach Ausscheiden der späteren
Schicht die verbleibenden bzw. nach ihrer Meinung ursprünglichen
Paulusbriefe (bzw. 1 Petr.) auf evtl. theologische Stringcnz und gegebenenfalls
inneren, situativ bedingten Zusammenhang zu prüfen, ist auffällig
und methodisch nicht gerechtfertigt. So kann nur konstatiert
werden: zentrale paulinische Theologumena wie die Entfaltung der
„Oikodome", der „Syneidesis", des Herrenmahls, der Unentschuldbarkeit
auch der Heiden (Rom 1,19ff), die „Nachahmung Christi"
und weitere theologisch relevante Aussagen werden dem Apostel
unbegründet abgesprochen. Entsprechendes gilt für die Deuteropau-
linen 2Thess, Kol, Eph und für IPetr. Willkürliche literarkritische
und redaktionelle Operationen stehen nebeneinander, ohne die ursprünglichen
Schreiben verorten und die sekundäre Form nach Einfügung
der späteren Schicht plausibel machen zu können. Bis in
Einzelheiten hinein wird außerordentlich konstruiert, z. B.: Eph
bezieht sich auf Kol, aber die Haustafel in Eph 5,21-6,9 sei ursprünglicher
und von Kol in 3,18-4,1 benutzt (S. 31); der heute fast ausnahmslos
als sekundäre Zufügung angesehene Abschnitt
Rom 16,25-27 wird nicht der späteren Schicht zugeordnet (S. 162).
Die Wort-Analyse (S. 168ff) ist weithin widerlegbar. Die ständig
betonte sprachliche und sachliche Nähe des Wortschatzes der späteren
Schicht zu den Pastoralbriefen ist nicht gegeben, wie überhaupt
M. nicht eigentlich bedenkt, ob diese spätere Schicht theologisch in
die dreißiger Jahre des 2. Jh. paßt (die Nachwirkung z. B. von Aussagen
paulinischer Briefe in späterer Zeit ist damit natürlich nicht
bestritten; vgl. das von M. nicht herangezogene Werk: A. Lindemann,
Paulus im ältesten Christentum. Das Bild des Apostels und die Rezeption
der paulinischen Theologie in der frühchristlichen Literatur bis
Marcion, BHTh 58, Tübingen 1979, bes. S. 72ff. 173ff.). Dem entspricht
, daß die kanonsgeschichtlichen Ausführungen ebenfalls sehr
gesucht und konstruiert sind und daß die vermutete Spätansetzung
von lKlem und auch der Pastoralbriefe erhebliche Schwierigkeiten
hat, die teilweise unkritisch übergangen werden (vgl. z. B. M.s Berufung
auf C. Eggenberger, Die Quellen der politischen Ethik des
1. Klemensbriefes, Zürich 1951 [bei M.S. 136.216.217]). Auch die
Herausbildung des „Apostolos" wird zu sicher in den Quellenbclcgen
für den werdenden Kanon eingeschätzt. So sind dieser von M. mit
Engagement vertretenen These deutlich Grenzen gesetzt. Gegenüber
M.s Aufstellungen Wirdes sinnvoll weiter dabei bleiben, daß sorgfältig
Traditionen in den neutestamentlichen Briefen zu eruieren sind, daß
Glossen und möglicherweise auch gelegentliche Zufügungen nicht
auszuschließen sind, daß Literarkritik und redaktionsgcschichtliche
Überlegungen ihr methodisches Recht behalten, daß aber nicht eine
kirchlich veranlaßte spätere Schicht bes. in den ethischen Partien paulinische
Briefe und IPetr geradezu umwandeln (die bei M. darüber
hinaus fehlende religionsgeschichtliche Einordnung des herangezogenen
Materials für ihr "later Stratum" ist nicht gerechtfertigt und für
ihre These auch belastend).

Bei aller notwendigen Kritik an der Durchführung und Begründung
von M.s These aber rückt die weiterführende Frage in den Blick: Wie
hat die Kirche in der ersten Hälfte des 2. Jh. die ihr bekannten apostolischen
Briefe im Umgang mit den „Häresien" und Anfechtungen der
Zeit eingesetzt?

(Einige Versehen und Ungenauigkeiten sind hier nicht im einzelnen
anzuführen. Daß M. Dibelius Rom 13,1-17 als sekundäre Interpolation
angeschen habe [S. 18], trifft nicht; vgl. M. D„ Botschaft und
Geschichte II, Tübingen 1956, S. 181 f. Auffallend ist die Nichtbenutzung
einer Reihe von einschlägigen Untersuchungen.)

Erlangen Otto Merk

Schnider, Franz: Der .Jakobusbrief, übers, u. erklärt. Regensburg:
Pustet 1987. 171 S. 81 = Regensburger Neues Testament. Lw.
DM 38,-.

Die hier anzuzeigende Auslegung des Jakobusbriefcs durch Franz
Schnider ersetzt im Regensburgcr NT die ältere durch Johann Michl
(1952,21968). Sie setzt aber offenbar einen anderen Leserkreis voraus,
der sich z. B. in der frühjüdischen Literatur ohne Erläuterungen auskennt
(so werden z. B. die „Test XII" - stets und nur mit dieser Abkürzung
-oft herangezogen; ihrem Dualismus ist sogar ein Exkurs gewidmet
: S. 104f), dem auch Abkürzungen wie ANRW, RAC, Bill. u. v. a.
vertraut sind und der das EWNT zur Hand hat (das Standard-Abkür-
zungsverzeichnis der Serie, S. 171, erläutert dagegen auch AT und

NT

sowie alle biblischen Bücher; es ist für diesen Band völlig unzureichend
; allenfalls das umfangreiche Stellcnregister S. 145-165 leistet
da „erste Hilfe").

Schnider versteht den Jak eindeutig als pseudepigraphisches Schreiben
, ursprünglich griechisch und gegen Ende des I. Jh. vielleicht in
Alexandrien verfaßt; der Autor ist „wahrscheinlich ein Mann aus
reichem Hause mit Sinn für die soziale Verantwortung des Reichtums
" (paßt das wirklich zu 5,1-6 usw.?) und hat enge Beziehungen
zur „hellenistisch-judenchristlichen Tradition" (S. 14). Der literarischen
Gattung nach ist der Jak „ein Dokument der christlichen Par-
änese" „mit einer allgemeinen Adresse" (S. 13); der Autor verwendet
„viel Traditionsmaterial aus den verschiedensten Quellen" und
schöpft vor allem „aus dem AT und der frühjüdischen Tradition"
(S. 14). In der Auslegung werden - neben spät- und nachalttestament-
lichen Weisheitsschriften - besonders die Beziehungen zu den
Test XII, aber auch zu den Qumranschriftcn herausgestellt. Mit der
Gattung „allgemeine Paränese" hängt es auch zusammen, daß der
Brief nicht erkennbar gegliedert ist; mit Recht werden-phantasievolle
Versuche, einen geheimen Aulbau zu entdecken, abgewiesen
(S. I 1-13).