Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1989

Spalte:

228-230

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Autor/Hrsg.:

Bugnini, Annibale

Titel/Untertitel:

Die Liturgiereform 1989

Rezensent:

Reifenberg, Hermann

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

227

Theologische Literaturzeitung 114. Jahrgang 1989 Nr. 3

228

wesentlich an. Sie vollziehe sich in dem von Gatt angerührten Herzen
des Menschen, führe zur Öffnung für die Erleuchtung des Heiligen
Geistes und habe eine Hingabe an Gott wie ein Neuanfang mit der
Kirche zur Folge. So eine Grundentscheidung für Gott und die Kirche
erwachse aus dem „Prozeß des Mitlebens mit anderen Christen",
ergebe sich jedoch nicht von selbst aus ihm. Eine persönliche Annahme
des Taufbundes sei unabdingbar.

2. „Kirche als pfingstliche Gemeinschaft im Geist ermöglicht und
trägt die Glaubensgemeinschaft des einzelnen" (47). Kirche sei mehr
als bloß der „freie Zusammenschluß einzelner, zum Glauben-gekommener
Menschen", vielmehr seien die ihr geschenkten Geistwirkung
wie die Überlieferung von Wort, Sakrament und Amt sowie die
Charismen dem einzelnen vorgegeben. Das punktuelle Glaubenserlebnis
des einzelnen bekomme erst seine Weite und Tiefe, wenn es
in der Kirche zu einer geistlichen Erfahrung wachse. Für die Echtheit
geistlicher Erfahrung werden folgende Kriterien genannt: Hingabe an
Gott, Liebe zur Kirche, Dienst an Mitmenschen und in der Gesellschaft
, Nachfolge Jesu im Alltag, Freude und Frieden im Heiligen
Geist.

3. Als Schritte zum Christsein ergeben sich also: Das Katechume-
nat für Getaufte; die Umkehrliturgie, die dem einzelnen dazu helfe,
sein Ja zur Taufe öffentlich unter Handauflegung von Mitchristen zu
bekennen und so eine Grundentscheidung seines Glaubens zum Ausdruck
zu bringen; Weiterführung und Vertiefung der Grundentscheidung
in der konkreten Bewährung des Alltags mit Hilfe von regelmäßiger
Schriftlesung, festen Gebetszeiten, geistlicher Lesung, verbindlicher
Lebensgemeinschaft, Begleitung durch einen im geistlichen
Leben erfahrenen Menschen.

4. Leben in der Kraft des Heiligen Geistes bedeute konkret, sich für
die von Gott geschenkten Charismen zu öffnen. Charismatische
Erfahrung sei „der Vorgang, in welchem der Mensch die ihm von Gott
angebotenen Charismen annimmt" (98). Als Charismen werden aufgezählt
: Gaben der Evangelisierung, Gaben der Weisheit, der Erkenntnis
des Glaubens, die Gabe der Lehre, Gaben des Gebetes, prophetische
Gaben, Gaben der Heilung, Gaben für die Gesellschaft, die
Gabe der Unterscheidung, Gaben der Befreiung, Gaben für die Ehe
und für ein eheloses Leben und die Gabe der Leitung.

5. Diese Gaben gilt es für die Erneuerung der Kirche und für den
Aufbau der Gemeinde zu nutzen. Der Ausgangspunkt für den
Gemeindeaufbau wird bei der Gottesdienstgemeinde genommen, zumal
das II. Vatikanische Konzil die Liturgie als den Höhepunkt herausgestellt
habe, „dem das Tun der Kirche zustrebt, und zugleich die
Quelle, aus der all ihre Kraft strömt" (122). Deshalb gelte es auch, den
missionarischen Charakter der Liturgie wiederzuentdecken. Betont
werden auch Gebetszusammenkünfte in der Hauskirche, in Gruppen
und Gottesdienstgemeinschaften. Erinnert wird an den neuentdeckten
Lobpreis Gottes wie an den Wortgottesdienst und die Eucharistiefeier.
Das alles könnte in der Pfarrgemeinde ebenso wie in Hausgemeinden,
zwischengemeindlichen Gruppen, Lebensgemeinschaften, Orden und
geistlichen Gemeinschaften wieder neu entdeckt werden. Hingewiesen
wird auch auf die Ökumene, wobei freilich den überkonfessionellen
charismatischen Initiativen, soweit sie pfingstlerischer Herkunft
sind, mit äußerster Zurückhaltung oder gar Kritik begegnet
wird, weil sie leicht zur Spaltung führen könnten.

Das von den drei Bischöfen herausgegebene Dokument scheint mir
ein Musterbeispiel für die Integrationsfähigkeit in der katholischen
Kirche zu sein. Es wird freilich auch sehr behutsam, aber deutlich ausgeschieden
oder an den Rand gestellt, was sich an pfingstlerischen
Tendenzen nicht integrieren läßt. Evangelische Kirche und Theologie
können sich an diesem Dokument ein Beispiel dafür nehmen, wie
geistliche Aufbrüche und Bewegungen vor Abkapselung und Abspaltung
bewahrt und statt dessen in die Gemeinschaft der Kirche und in
das theologische Gespräch hineingeführt werden können. Dabei zeigt
sich, daß das Amt keineswegs nur zur hierarchischen Dämpfung des
Geistes, sondern auch zur charismatischen Gestaltung des Geistes
führen kann.

Im Blick auf die Forderung nach einer Grundentscheidung für Gott
und Kirche frage ich mich jedoch, ob hier nicht Gottes Entscheidung
für den Menschen, wie sie in der Taufe zum Ausdruck kommt, allzusehr
in den Hintergrund gedrängt wird. Läuft eine so starke Betonung
der „Grundentscheidung" des Menschen nicht am Ende auf einen
Synergismus hinaus, der die Wirklichkeit des Heiligen Geistes mehr
verstellt als erhellt? Wenn in dem Dokument neben der geforderten
„Grundentscheidung" noch von einer „zweiten Bekehrung" (46) die
Rede ist, muß ich an Menschen denken, die von einer Evangclisation
zur anderen laufen, sich überall ein zweites, ein drittes, ein zehntes
und ein hundertstes Mal entscheiden, darüber aber immer ungewisser
und immer unentschiedener werden, weil solches Entscheiden den
Menschen auf sich selbst und in seine eigene Ungewißheit zurückfallen
läßt.

Heidelberg Christian Möller

Praktische Theologie:
Liturgiewissenschaft

Bugnini, Annibale: Die Liturgiereform 1948-1975. Zeugnis und
Testament. Deutsche Ausgabe hg. von J. Wagner unter Mitarb. von
F.Raas. Freiburg-Basel-Wien: Herder 1988. 1015 S. gr. 8 geb.
DM 118,-.

„Doch der Schlagabtausch ging weiter." (950) „Trotz allem hielt
der Papst an dem ausgeglichenen und sorgfältig ausgearbeiteten Text
des ,Consilium' [d. h. des: ,Rates' zur Ausführung der Liturgiekonstitution
] fest." (ebd.) „Diese Pressekonferenz sah neben ein paar heiteren
auch Kampfszenen." (951) „Das war der letzte Akt einer Serie
von Bitterkeiten . . . die jedoch der notwendige Preis waren, den man
für das Wohl der Kirche zahlen mußte." (ebd.)

Dies sind Zitate aus einem einzigen Kapitel des vorliegenden Bandes
, und sie kehren ähnlich oder in abgewandelter Form öfters wieder.
Sie stammen vom Autor des vorliegenden monumentalen Werkes,
A. Bugnini (B.), dem ehemaligen Sekretär der 1969 (erstmals) errichteten
, danach 1975 (erstmals) aufgehobenen römischen Kongregation
für den Gottesdienst, der im letztgenannten Jahr unter mysteriösen
Umständen zum Pronuntius im Iran „befördert" wurde (1975-1982)
und 1982 starb. Besagte Worte kennzeichnen die Dramatik, unter der
die liturgische Erneuerung der katholischen Kirche entstand. Von
daher ist auch der Nachvollzug dieses Vorgangs eine - wegen der umfangreichen
Seitenzahl (I 015) - zwar Geduld erfordernde, auf weite
Strecken hin jedoch geradezu spannende Lektüre.

Die vorliegende^ Übersetzung (des italienischen Originals: La
riforma liturgica, Rom 1983) beginnt mit einem Vorwort des Hg. der
deutschen Ausgabe (J. Wagner). Ihm folgt eine Präsentation durch
G. Pasqualetti, einem treuen Mitarbeiter von B„ der auch nach dessen
Tod die Herausgabe des Buches in die Hand nahm, sowie den Druck
überwachte. In der anschließenden Einführung kommt dann B. selbst
erstmals zu Wort und umreißt Entstehung nebst Zweck seiner Ausführungen
. Er möchte die Geschichte der katholischen Liturgiereform
von 1948-1975 darlegen und dabei einerseits die positiven Ergebnisse
beleuchten, andererseits den oft dornenvollen Weg beschreiben. Es
war, wie er es anschaulich unter Bezug auf einen Leuchtturm im Meer
formuliert, ein „ständiger Wechsel von grünem, gelbem und rotem
Licht . . . Erwartungen, Widerstände, Neuüberlegungen, Drängen
nach vorn, Verzögerungen und dann schließlich Einfahrt in den
Hafen und glückliche Ankunft" (16f).

Diese „Fahrt" wird in zehn Hauptabschnitten geschildert: Die großen
Etappen (1) - Gemeinsame Teile der neuen liturgischen Bücher
(2) - Missale [= Meßbuch] (3) - Liturgia Horarum/Die Feier des Stundengebetes
(4) - Sakramente (5) - Segnungen (6) - Vereinfachung der
Pontifikalriten (7) - Besondere Dokumente (8) - Musica sacra [=
Gesang und Instrumentalmusik im Gottesdienst] (9) - Verschiedenes
(10). Es folgt ein persönlich gehaltenes Schlußwort unter dem Titel
„Wir haben uns bemüht, der Kirche zu dienen". Den Abschluß bildet