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Ausgabe:

1989

Spalte:

215-219

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Evang, Martin

Titel/Untertitel:

Rudolf Bultmann in seiner Frühzeit 1989

Rezensent:

Hübner, Hans

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215

Theologische Literaturzeitung 1 14. Jahrgang 1989 Nr. 3

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Wittgenstein virulenten Dualismus von Positivismus.und Dezisionismus
neuen Stoff liefern würde. Zudem führt diese Doppelüng von
strenger und meditierender Metaphysik auf eine weitere Schwierigkeit
: Soll nämlich die meditierende das Fundament der strengen
Metaphysik darstellen, und sollen umgekehrt die Aussagen der strengen
Metaphysik „bei Gott selbst gelten" (140), so wird die begründende
meditierende Metaphysik doch von der begründeten strengen
Metaphysik abhängig gemacht; der durch die Logizität des Begründeten
bedingte Grund sitzt also einer petitio principii auf.

Bei der Darstellung des Hauptwerkes „Metaphysik als strenge
Wissenschaft" (141-176) und bei der im III. Teil (177-229) erfolgenden
kritischen Diskussion des Metaphysikkonzepts von Sch. stellt St.
zu Recht das Problem des Verhältnisses von mathematisch-formaler
Logik und Metaphysik als entscheidend heraus. Sch. selber behauptet
zwar, sein Hauptwerk ziele auf eine „identitätstheoretische Metaphysik
" (143). Aber da diese Theorie der Identität als axiomatisiertes
„System von identitätstheoretischen Sätzen" (145) in Erscheinung
tritt, bleibt das von einer Reihe von Kritikern geteilte Unbehagen
zurück, daß Sch. ein von Hause aus formales System der mathematischen
Logik bloß als Metaphysik interpretiere. Dieses Unbehagen
wird überdies dadurch genährt, daß Sch., wie St. in gründlichen
Analysen zeigt (207-218), „in seinem Denken keine einheitliche Antwort
auf die grundlegende Frage gibt, wie das Verhältnis von Logik
und Metaphysik in bezug auf seine Konzeption von Metaphysik zu
bestimmen ist" (215). Wegen der Zweideutigkeit dieser Verhältnisbestimmung
scheint denn auch der Ertrag der „Metaphysik-Konzeption
von Sch. für die Theologie geringer zu sein, als St. anzunehmen
bereit ist. Während die auf einen Supranaturalismus zurücklenkende
Illuminationslehre der meditierenden Metaphysik mit einer rational
argumentierenden Theologie nicht vereinbar ist, scheint Sch. auch für
die Klärung der metaphysischen Voraussetzung der Theologie nur
wenig Überzeugendes bieten zu können. Denn indem er die seit Pascal
stereotyp wiederholte, gleichwohl wenig plausible „Trennung. . .
zwischen dem Begriff des Absoluten und dem christlichen Gottesbegriff
" (223) aufwärmt, wird die Klärung der „metaphysischen" Voraussetzung
der Theologie auf formale, weitgehend syntaktische Kriterien
zur Bildung von Identitätsaussagen reduziert. So bleibt schließlich
unklar, ob und inwieweit der durch die Welterklärung der Protometaphysik
und durch die Ontologie getragene Metaphysikbegriff von
Sch. in dessen „Metaphysik als strenger Wissenschaft" zu mehr führt
als zu einer formalisierten Axiomatik von Identitätssätzen. Angesichts
des bloß syntaktisch-formalen Charakters seiner strengen „Metaphysik
" läßt sich Sch. den Ausweg offen, zu einer konfessorisch
bestimmten „Metaphysik" überzugehen. Aber der dezisionistisch-
supranaturale Zuschnitt dieser meditierenden „Metaphysik" scheint
nur zu zeigen, daß Seh. sich in die Problematik verstrickt, die für die
analytisch-formale Denkweise signifikant ist: Wo diese Denkweise
den gegen metaphysische Theorien gewendeten Verdacht der Sinnlosigkeit
hinter sich gelassen hat, schwebt sie zwischen den hoch-
formalisierten Produkten ihrer analytischen Syntax einerseits und
dezisionistisch akzeptierten Glaubensansprüchen andererseits; so
wäre sie als „Metaphysik" im Zustand der selbstproduzierten Entzweiung
zu kennzeichnen. Diese kritischen Bemerkungen gelten
selbstverständlich der Konzeption von Sch. und keinesfalls dem Buch
von St., aus dem der Rez. schon wegen der Klarheit der Argumentation
viel gelernt hat.

Wien Falk Wagner

Systematische Theologie: Allgemeines

Evang, Martin: Rudolf Bultmann in seiner Frühzeit. Tübingen: Mohr
1988. VIII, 364 S. gr. 8° = Beiträge zur historischen Theologie, 74.
geb. DM 148,-.

Das Bultmann-Jubiläumsjahr 1984 liegt - wie hätte man es auch
anders erwarten können! - inzwischen fast vergessen hinter uns. Die

von diesem Jahre ausgegangenen Impulse sind inzwischen so gut wie
verpufft. In der Tat, die Fragestellung des Marburgers liegt wenig im
Horizont jenes Fragens, das den Menschen und auch vornehmlich den
Theologen heute unmittelbar angeht. Da ist es schon gut, wenn vier
Jahre danach ein Buch über diesen Exegeten und Theologen erscheint
, das theologicgcschichtlichcs Gewicht besitzt. Martin Evangs
(E.) ausgezeichnete Bonner Dissertation - Doktorvater war Erich
Gräßcr - dürfte nämlich aufgrund ihrer überragenden Qualität das
Thema Bultmann (B.) energisch in Erinnerung rufen. Diese Qualität
besteht u. a. auch darin, daß sie über das Thema des Jungen" (S. 84)
B. hinaus ein Stück moderne Theologiegeschichte aufbereitet.

Der Titel, unter dem das Buch nun publiziert ist, lautet „Rudoll
Bultmann in seiner Frühzeit"; präziser formuliert es der Titel, unter
dem die Untersuchung im WS 1986/87 der Ev.-Theol. Fakultät in
Bonn eingereicht wurde: „Der junge Rudolf Bultmann (bis ca. 1920)"
Beide Titel lassen eine Biographie bzw. Teilbiographie erwarten, und
die Erwartung des Lesers wird in dieser Hinsicht nicht enttäuscht.

Doch nun zunächst die Übersicht über das Buch anhand der Kapitelüberschriften
, wobei es angemessen ist, auch die Untertitel zu nennen: 1. Kap : Der
akademisch-theologische Werdegang Rudolf B.s bis in die beginnenden 1920er
Jahre, 1. Zeit der Ausbildung (bis 1907), 2. Repetenten- und Privatdozentenzelt
in Marburg (1907-1916), 3. Zeit als außerordentlicher Professor in Breslau
(1916-1920), 4. Zeit als Ordinarius in Gießen (1920-1921) und Marburg
(1921 IT). 2. Kap.: Die kirchliche Orientierung Rudolf B s in seiner Frühzeit.

1. Die allgemeine „Aufgabe, unser modernes C hristentum den Gemeinden zu
bringen", 2. Die spezielle Aufgabe der Predigt. 3. Kap.: Das Exegese-Verständnis
des jungen Rudolf B. in Grundzügen, 1. Die zentrale Aufgabe der Exegese.

2. Exegese und „Theologie", 3. Exegese in ihrer relativen Eigenständigkeit.
4. Zur Herkunft von B.s Exegese-Verständnis, 5. Der frühe B. (bis 1913) in der
bisherigen Forschung. 4. Kap.: Die Konzentration des jungen Rudolf B. aufdas
Thema wahrer Religion. I.Aspekte des Rcligionsbcgrill's in der Frühzcit-
2. „Die Bedeutung der Eschatologic für die Religion des Neuen Testaments' !
Aufsatz 1916/17, 3. Abweisung des „psychologischen" Mißverständnisses der
Religion: Brief an RudolfOtto vom 6. 4. 1918. 4. „Religion und Kultur": Vortrag
/Abhandlung 1919/20, 5. „Religion und Sozialismus": Aufsatz 1922.
6. „Ethische und mystische Religion im Urchristentum": Vortrag 1920.
Schluß. Oucllcn- und Literaturverzeichnis. Namensregister.

Was den biographischen Wert des Buches ausmacht, ist das ungemein
reiche Material, das vordem Leser ausgebreitet wird. E. läßt111
überaus ausführlicher Weise B. laufend selbst zu Worte kommen, wobei
der B.-Nachlaß (vor allem für die Briefe) herangezogen, aber auch
Schul-, Universitäts-, Staats- und Kirchenarchive ausgewertet werden
. Eine Charakterisierung als „Fleißarbeit" wäre aber nicht angebracht
, weil es eben nicht nur Fleiß war, sondern auch die unbestreitbare
Fähigkeit, das fleißig gesammelte Material in gut durchdachter
Weise inhaltlich und formal angemessen vorzustellen. Das
Buch gewinnt so an Lesbarkeit, und keineswegs wirkt es trotz det
vielen Zitate langatmig. Man wird also zu urteilen haben, daß für den
frühen B. eine hervorragende, gründlich erarbeitete bibliographische
Monographie vorliegt, die dessen theologisches und kirchliches Enga-
gement plastisch vor Augen treten läßt, aber auch seine umfangreiche
Vortragstätigkeit im Sinne der Volksbildung. Ebenso deutlich wird
seine politische Einstellung. Er erhoffte nach dem Kriege die erfordef'
liehe Neuordnung von Staat und Kirche im Sinne der politischen und
kirchenpolitischen „Linken". Geradezu prophetisch heißt es in dem
auf S. 81 zitierten Brief vom 8. 9. 1919 an W. Fischer: „Kurz, wen"
nicht noch eine zweite und diesmal wirkliche Revolution kommt. S°
bleibt alles beim alten oder wird vielmehr noch schlimmer . .. Durch
welche äußeren Leiden und vielleicht auch Katastrophen wir noch
durch müssen, eh unser staatliches und wirtschaftliches Leben in1
neuen Geiste erneuert ist, weiß ich nicht. Daß es ohne eine Periode dC
.Diktatur' gehen wird, glaube ich nicht." In diesem Zusammenhang
macht E. auf B.s Lenin-Lektüre aufmerksam, für dessen Persönlichkeit
er aufgrund dieser Lektüre „begeistert" ist, ohne selbst Leninist Zu
sein. „Die sachliche Nähe zwischen Lenin und Bultmann wird augenfällig
an der Parallelität des Leninschen Lasterkatalogs des Kapitalismus
und des Bultmannschen Lasterkatalogs der Welt Bismarcks, de'