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Ausgabe:

1989

Spalte:

211-213

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Kessler, Michael

Titel/Untertitel:

Kritik aller Offenbarung 1989

Rezensent:

Kern, Udo

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211

Theologische Literaturzeitung 1 14. Jahrgang 1989 Nr. 3

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Josef Simon: „Zwei Liebesbriefe an einen Lehrer der Wcltweisheit, der eine
Physik für Kinder schreiben wollte" (S. 105-115).

Jena Martin Seils

Kee, Alistair: The Roots of Christian Freedom. The Theology of John
A. T. Robinson. London: SPCK 1988. XVI, 190 S. 8". Kart. £ 8.95.

Am 17. März 1988 war es fünfundzwanzig Jahre her, daß der britische
"Observer" mit dem journalistischen Aufmacher "OUR
IMAGE OF GOD MUST GO" erschien. Unter dieser Titelzeile
wurde die Zusammenfassung des Buches geboten, das zwei Tage später
auf den Markt kam: Honest to God. Um diese Ehrlichkeit ging es
dem Londoner Suffraganbischof Robinson, nicht um reißerische
Schlagzeilen. Wie immer auch die Interessen läge von Lesern und Verlagen
gewesen sein mag, erschien das Buch in deutscher Sprache
bereits 1963 (1 .-3. Auflage) bei Chr. Kaiser. Die Evangelische
Verlagsanstalt publizierte den Band zwei Jahre später unter dem Titel
„Gott ist anders" mit einigen Beiträgen zur laufenden Diskussion. Der
Rostocker Systematiker Heinrich Benckert (1907-1968) schrieb für
die zuletzt genannte Ausgabe eine Einführung, die später auch in seine
„Gesammelten Aufsätze" (ders., Theologische Bagatellen, Berlin
1970,271 -277) aufgenommen wurde.

Das alles gehört nun bereits der Theologiegeschichte an. Fünfundzwanzig
Jahre reichen zum Vergessen, ohne daß danach die Ursachen
für Veränderungen deutlich werden. Sei es nun Zufall oder verlegerische
Planung, jedenfalls liegt die anzuzeigende Monographie pünktlich
vor. Eric James, der 1987 bei Collins eine Biographie von JATR -
wie Kee durchgehend abkürzt - publizierte ("A Life of Bischop John
A. T. Robinson: Scholar, Pastor, Prophet"), auf die Kee sich mehrfach
dankbar bezieht, führt in aller Kürze und doch einfühlsam in das
Leben von John A. T. Robinson (19. 6. 1919-5. 12. 1983) ein. Schon
hier wie bei der Werkübersicht zeigt sich, was auch Kee ausführlich
demonstriert und was leicht übersehen wird: Der in konservativem
Milieu aufgewachsene und in ebensolchem lebende und lehrende
Bischof von Woolwich und Professor in Cambridge, mehrfach im
Wechsel zwischen Theorie und Praxis, die Interdependenz von beiden
leibhaftig veranschaulichend, war Neutestamentier, und zwar ein
konservativer dazu. Er mag zwar der bekannteste britische Theologe
seiner Generation genannt werden, aber er hatte in seinem Fachgebiet
wenig Ähnlichkeit mit einem populären Autor (vgl. auch, den Gedenkartikel
von Maurice Wiles, John Robinson, in: Theology, London
vol. LXXXVII. March 1984, No. 716, 84ff). Seine in diesem
Kontext zu sehende Radikalität ist laut Kee darin begründet, daß
Robinson nach den Wurzeln von Haltungen und Institutionalisationen
derselben fragt. Das gilt dem Vf. als Quelle sowohl des Konservativismus
als auch der Radikalität von Robinson. Mit dieser Einstellung
widmete Robinson sich den drei Bereichen von biblischer Forschung
, theologischen Grundfragen und sozialer Problematik. Diejenigen
, die sich verwurzelt wüßten im Wissen von Gott und,seiner
Liebe, seien befreit, den Herausforderungen zur Veränderung zu entsprechen
, lautet das Fazit des Bandes.

Rostock Jens Langer

Philosophie, Religionsphilosophie

Kessler, Michael: Kritik aller Offenbarung. Untersuchungen zu
einem Forschungsprogramm Johann Gottlieb Fichtes und zur Entstehung
und Wirkung seines „Versuchs" von 1792. Mainz: Grunewald
1986. 429 S. 8" = Tübinger Theologische Studien, 26. Kart.
DM 48,-.

Bei dem anzuzeigenden Werk handelt es sich um die gedruckte
Fassung einer Dissertation an der Katholisch-Theologischen Fakultät
der Universität Tübingen aus dem Wintersemester 1981/82. Gegenstand
der Arbeit ist Fichtes Offenbarungsbegriff in dessen schnell

geschriebenem Erstlingswerk ., Versuch einer Kritik aller Offenbarung
" von 1792 (2. erweiterte und veränderte Auflage erschien 1793).
Dieses Werk, zunächst als erwartete Rcligionsschrift I. Kants angesehen
, machte seinen bis dahin unbekannten Verfasser, den Kandidaten
der Theologie J. G. Fichte, urplötzlich berühmt und wurde intensiv
in der philosophischen und theologischen Diskussion besprochen.
„Gott und die Welt haben es (sc. dieses Werk Fichtes) geradezu verschlungen
. Goethe und Schiller, Hölderlin, Sendling und Hegel, Jean
Paul, die Schlegel, Friedrich Schleiermacher, alle haben es gelesen,
durchgearbeitet, Position bezogen." (95) Fichte geht cs-so M. Kessler
(= K.)-„in derOffenbarungskritik darum . . ., Grenzen und Geltungsbereich
eines bestimmten Sprachgebrauchs und die Vernunftsmässig-
keit eines bestimmten Glaubens, eben des Offcnbarungsglaubens im
Sinne einer soziohistorischen Gegebenheit zu untersuchen". (383)
Dieser Intention geht K. nach. Um diese in Fichtes Erstlingsschrill
recht interpretieren zu können, ordnet K. zunächst Fichtes Offenbarungskritik
von 1792/93 in den Gesamtargumentationszusammen-
hang des Fichteschen Offenbarungsdenkens ein. (15fT) Daran anschließend
skizziert K. die Forschungsdiskussion hinsichtlich der
Fichteschen Offenbarungskritik von 1792/93. (71 ff) Die Erörterung
biographischer (100fT) und gcistesgeschichtlicher Aspekte („Fichte
und die Aufklärung", 120ff) komplettieren die dem Vf. notwendig
erscheinenden Voraussetzungen einer angemessenen Interpretation
der frühen Fichteschen Offenbarungskritik. Allerdings müssen hier
auch noch die von K. im Schlußteil seiner Arbeit angeführten
„Aspekte zeitgenössischer Wirkungsgeschichte" (321 IT) genannt werden
, die sich auf die Behandlung der Fichteschen Offenbarungskritik
von 1792/93 in 13 zeitgenössischen Rezensionen (322ff) und auf
„Fichtes Kritik als Gegenstand eigener Abhandlungen und Streitschriften
" (357ff) beziehen. Letzteres wird exemplarisch in drei repräsentativen
Typen vorgestellt: 1. emphatische Bejahung (F. I. Niethammer
), 2. kritisch, oft ablehnend (J. C. R. Eckcrmann) und 3.
eigenständig, den Fichteschen Ansatz weiterführend (F. D. Schleiermacher
) hinsichtlich der Fichteschen Offenbarungskritik von
1792/93. K. trägt hier interessantes, durch viele Zitate belegtes Material
vor. Unbefriedigend ist aber der Schlciermacher-Teil (381 ff).

Der eigentliche Gegenstand der Untersuchung Kesslers wird insbesondere
in den Kapiteln III („Darstellung der Fichteschen Offen-
barungskritik", 172ff) und IV („Zur Einordnung und Analyse der
Otfcnbarungskritik Fichtes", 254ff) thematisiert. Fichtes Offenbarungskritik
von 1792/93 steht für K. auf dem rcligionsphiloso-
phischen Boden seiner Zeit. Dieser wie jener geht es um ,, Vernunft'
mäßige Sicherung der Lebens- und Wahrheitsbedeutung des ('hfl'
ttentums, argumentative Wiederherstellung der wahren Positivität de5
Positiven." (171) Bei Fichtes Offenbarungskritik ist zu beachten, daß
er „nicht die Offenbarung" untersucht, „sondern cin(en) ganZ
bestimmte(r)n, freilich von ihm als allgemeingültig <mgesehene(r)n
Offcnbarungs/^n//". (80) Offenbarung verdankt sich nicht der
Mangelhaftigkeit unseres Vernunft- und Denkvermögens, sondern
gründet, wie Fichte sagt, in den „Eigentümlichkeiten des empirischen
Charakters des Menschen", in dem „Bedürfnis der Sinnlichkeit". (30)
Ausgangspunkt und Rahmen der Fichtcschcn Offenbarungsthcoric isl
das Religionsverständnis der Kantischen Religionsphilosophie. „Unter
der Voraussetzung des Kantischen Religionsverständnisses - Anerkennung
unserer Pflichten als göttlicher Gebote - ist damit (sc. bei
Fichte) ein Prinzip sichtbar geworden, aus dem Gott als moralischer
Gesetzgeber erkannt werden kann. Das Dasein, d. h. die Wirklichkeit
des Moralgesctzes im Menschen, ist in diesem Sinne .eine Ankündigung
Gottes, als moralischen Gesetzgebers' und kann daher auch als
Offenbarung verstanden werden. Prinzip dieser Offenbarung ist das
.Prinzip des Übernatürlichen in uns', und der aus diesem Prinzip entspringende
Rcligionstyp ist die Naturreligion. Sie gründet ,in der
Struktur der Vernunft, die in ihrer inneren Bestimmung zum Endzweck
der Moralität von Gott geschaffen ist'." (217) Fichte nennt den
OffenbarungsbegrifT einen „Begriff von einer durch übernatürliche
Causalität von Gott in der Sinnenwelt hervorgebrachten Wirkung.