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Ausgabe:

1989

Spalte:

192-293

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Johanson, Bruce C.

Titel/Untertitel:

To all the Brethren 1989

Rezensent:

Haufe, Günter

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Theologische Literaturzeitung 114. Jahrgang 1989 Nr. 3

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denen er sein Evangelium gestaltet. An der Frage, ob man gleichzeitig
mit zwei Rollen umgehen könne, hängt nun das ganze Konzept der
Vff. Von Mk entsteht auf diese Weise ein Bild, in dem das „Messiasgeheimnis
" keine Rolle spielt und in dem das Verschwinden der
Bergpredigt bei Mk durch das Hin und Her zwischen den beiden
Rollen erklärt wird (S. 267).

Warum also drei Evangelien? Weil sich Mt und Lk wie These und
Antithese gegenüberstanden und weil Mk die Brücke zwischen ihnen
bildete, die (späte) Synthese also (S. 277). Mit diesem Bilde - Vff.
nennen es eine tentative reconstruction (S. 269) - ist nun auch das
durch den Galaterkonflikt belastete Verhältnis von Petrus und Paulus
bereinigt (S. 268ff). Mk dokumentierte ein ebenso faires wie kollegiales
Verhältnis zwischen den Aposteln. Die Vff. können ihr Werk in
dem Bewußtsein schließen, nicht nur die Synoptiker mit den Kirchenvätern
versöhnt zu haben, sondern auch den leidigen Konflikt zwischen
Paulus und Petrus in ein Licht gerückt zu haben, das dem
Harmoniebedürfnis gegenwärtiger Apologetik entspricht.

So ist die vorliegende Untersuchung auf dieser Seite des Kanals
wohl weniger wegen ihrer Voraussetzungen und Ergebnisse zu begrüßen
. Vielmehr bildet sie einen (willkommenen?) Anlaß, die bei uns
gelegentlich auftretende Neigung zu einer exegetischen Dogmatik
immer neu auf ihre Tragfähigkeit zu überprüfen. •

Schleswig Hans-Theo Wrege

Gaston, Lloyd: Paul and the Torah. Vancouver: University of British
Columbia Press 1987. VII, 262 S.gr. 8geb.£ 18.95.

Gaston zielt auf nichts weniger als eine Revolution in unserem
Paulusverständnis. Im Kontext einer „Theologie nach Auschwitz"
will er es auch als Exeget ernst nehmen, jeglichen der christlichen Tradition
inhärenten (expliziten oder impliziten) Antijudaismus bloßzustellen
(2). Seinen anfänglichen Erwartungen entgegen sei jedoch bei
Paulus nichts davon zu finden. Dies sollen die hier gesammelten zehn
Aufsätze im einzelnen aufzeigen, von denen sieben früher veröffentlicht
worden sind.

Der heutigen Forschung ist das gegenseitige Verhältnis der negativen
und positiven paulinischen Aussagen über Israel ein Problem,
das man auf verschiedene Weisen zu lösen sucht (etwa durch Entwicklungstheorien
oder durch die Annahme einer durch historische
bzw. psychologische Gründe bedingten bestehenden Inkongruenz).
Demgegenüber bestreitet Gaston rundweg, daß Paulus überhaupt
etwas Negatives über die religiöse Tradition Israels sage. Nun haben
auch andere Ausleger angenommen, daß das Verhältnis des Paulus
zur Tora durchaus positiv sei, so daß seine Kritik sich nur auf deren
(angebliche) legalistische Verzerrung durch das Judentum richte.
Auch diese Sicht wird von Gaston (zu Recht) aufgegeben, denn das
Bild des heillosen jüdischen Legalismus hat sich weithin als eine
christliche Karikatur entpuppt.

Es gilt als eine hermeneutische Grundregel für Gaston, daß jede
Auslegung, die eine legalistische (Miß-)Deutung des Judentums durch
Paulus voraussetzt, rigoros auszuschließen sei. Paulus sei in Kontinuität
mit dem Judentum auszulegen, wobei eine Art Zwei-Bünde-Theologie
als Resultat herauskommt. Von einer Glaube-Werke-Antithese
z. B. sei bei Paulus nichts zu spüren.

Über die Tora Israels habe Paulus nichts Negatives gesagt. Alle
negativen Bemerkungen gelten dem Gesetz, insofern es mit den Heiden
zu tun hat - dem Gesetz losgerissen vom Bund Gottes mit Israel,
wie es von den siebzig Engeln der Völker den Heidenvölkern gegenüber
verwaltet werde (diese Völkerengel seien in Gal 3,19f gemeint).
Paulus halte Jesus weder für den Messias Israels noch für den Kulminationspunkt
der Geschichte Gottes mit Israel, sondern allein für die
Erfüllung der Verheißungen Gottes in bezug auf die Heiden (33. 115).
Der Heidenmissionar habe Judenmission weder getrieben noch gebil-
1 igt. Die Tora sei es, die letztlich sowohl die Juden als auch uch die Heiden
erlöst.

Um diese eigenwillige These zu untermauern, greift Gaston zu einer
erstaunlichen Deutung nach der anderen.

Paulus spreche nirgends von „Rechtfertigung durch den Glauben", sondern
nur von „Rechtfertigung aus der Treue Gottes". Die Wendung „unter dem
Gesetz" weise immer auf Heiden hin. In Gal 2,18 empfehle sich Paulus offen als
einen „Apostaten" wegen seiner besonderen Berufung, obwohl er nicht wolle,
daß andere Judenchristen seinem Beispiel folgen. Gal 2,21 sei zu übersetzen:
„since through law is [the] rightcousness [of Goä, consequently Christ has died
asfree gift". Unter „Werke des Gesetzes" seien vom Gesetz ausgeführte Werke
(gen. subiectivus) zu verstehen, d.h. „Zorn" (Rom 4,15). Rom 2,14-16
bezeichne das in den Herzen der Heiden aufgeschriebene „Gesetz"; l,18ff
beschreibe die Sünden derselben. Die steinernen Tafeln in 2Kor 3 beziehen sich
nicht auf den Dekalog, sondern auf himmlische Tafeln (aus Stein?!), die die
visionären Gegner des Paulus gesehen hätten; gramma wiederum bezeichne das
(sei es ein himmlisches, sei es das hebräische) Alphabet, das die Korinther nicht
lesen konnten, usw.

Der Bruch mit jeder exegetischen Tradition ist also total. Dabei
muß Gaston entscheidende Einwände unterdrücken. Wenn Paulus
die christliche Judenmission nicht billigte, was ist mit Gal 2? Gaston
deutet an, Paulus sei zur Zeit des Römerbriefes daran nicht mehr
interessiert (135). Daß Paulus „Juden gewinnen" wollte (1 Kor 9,20),
wird von Gaston nicht einmal erwähnt; zur Bedeutung der Wendung
„einige (Juden) retten" (Rom 11,14) äußert er sich recht vage (1450-
Die Feststellung, daß die vom Ölbaum weggebrochenen Zweige eingepfropft
werden können (Rom 11,23), wird durch die Auskunft abgetan
, es handle sich weniger um eine Voraussage über die Juden als
eine Warnung an Heiden (146). Überhaupt beziehe sich jegliche Rede
vom Untreue oder Ungehorsam Israels nur auf sein Unverständnis der
Notwendigkeit der Heidenmission gegenüber. Gaston bleibt auch eine
Antwort auf die Frage schuldig, wie es überhaupt dazu kommen
konnte, daß ein solcher Paulus von Juden verfolgt wurde.

Obwohl manche etwa der sprachlichen Beobachtungen Gastons zu
denken geben, kann der Rez. dessen Gesamtauslegung, die in Amerika
manchmal mit Begeisterung aufgenommen wurde,' nur als einen
Akt der Verzweiflung ansehen. Wenn diese Konstruktionen nötig
sind, um Paulus vom Verdacht jeglichen (impliziten) Antijudaismus
freizusprechen, dann sind die Aussichten nicht gerade gut. Eine neue
christliche „Theologie des Judentums" ist sicher nötig - hier ist dem
Vf. ohne weiteres beizupflichten -, aber durch seine Bemühungen hat
Gaston eher das Gegenteil dessen geliefert, was er wollte: den Nachweis
, daß eine solche Theologie sich nicht einfach auf Paulus aufbauen
läßt. Vielmehr müssen die Aussagen des Apostels kritisch hinterfragt
werden. Dabei kann auch Gastons Buch gute Dienste leisten.
Er übt nämlich hin und wieder scharfsinnige Kritik an konventioneller
Paulusauslegung und zeigt, in welche gedanklichen Aporien sie
führt. Aber seine gekünstelten Lösungen mancher so gestellter Probleme
deuten vielleicht doch daraufhin, daß wenigstens ein Teil der
Aporien dem Apostel selbst zu Lasten gehen muß (z. B. 30.46. 57. 77.
80. 159). Die von Rosemary Ruether2 gestellten Fragen, mit denen
sich Gaston ständig auseinandersetzt, sind auch nach seinem Werk
nicht erledigt.

Helsinki Heikki Räisäncn

' J. Gager, The Origins of Anti-Semitism. Attitudes Toward Judaism in
Pagan and Christian Antiquity. Oxford University Press, New York 1983.

2 Faitb and Fratricide. The Theological Roots of Anti-Semitism. The Sea-
bury Press 1974.

Johanson, Bruce C: To All the Brethren. A Text-Iinguistic and
Rhetorical Approach to I Thessalonians. Stockholm: Alm-
quist & Wikseil 1987. XIV, 230 S. gr. 8" = Coniectanea Biblica,
New Testament Series 16.

Der erste Thessalonicherbrief hat in jüngster Zeit das verstärkte
Interesse der Forschung gefunden, einerseits als das früheste Dokument
paulinisch-vorpaulinischer Theologie, andererseits als das älteste
bekannte christliche Schriftstück. Nirgends ist man den Ursprün-