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Ausgabe:

1988

Spalte:

169-172

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

1986 1988

Rezensent:

Haufe, Günter

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169

Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 3

170

seinem Erwählt- und Verworfensein ist in den Testamenten realistisch
und ohne Illusion gekennzeichnet. Gerade zu diesem kommt Gott,
immer schon und immer wieder. Das Thcologumenon von dem mitgehenden
Gott, von der Gefährtenschaft Gottes mit dem Menschen,
beschreibt den inkarnatorischen Charakter dieses Gottesengagements.
Illustriert werden könnte dies u. a. an dem theologischen topos ,,Messias
", eine zugleich alt- wie neutestamentliche personale Wirklichkeit
, die auch nur in ihrer zeitlichen Erstreckung aus dem AT heraus
bis auf Jesus von Nazarct, der der Christus genannt wird, begriffen
werden kann. Daß und wieso und inwieweit und inwiefern Jesus der
Christus ist. definiert sich gesamtbiblisch. Die Identität Jesu als Christus
ist nicht zu erfassen ohne den vielschichtigen und durchaus auch
mehrdimensionalen Gesamtentwurf von Messianologie innerhalb des
ATs." Die theologia gloriae und die theologia crucis behalten nebeneinander
ihr Votum, Ps 2 oder I 10 werden nicht gestrichen, wenn
Jes 53 Bedeutung erhält, und die neutestamentlichen Überlieferungen
halten verschiedene christologischc Entwürfe nebeneinander aus. von
denen jeder einzelne seine Anbindung im AT behält. Daß mit Jesus
das Christushandeln Gottes an seinem Volk und an seiner Welt zu
seiner Vollendung, zu seinem endgültigen, unüberbietbaren Abschluß
gelangt ist. berührt die vorhin schon apostrophierte Kanonsproblc-
matik und erschließt sich dem Glauben, der freilich immer schon mit
>m Spiel gewesen ist. Daran sei erinnert, daß dieser zuletzt genannte
Sachverhalt ein wissenschaftlich feststellbarer Tatbestand ist, der
beim Geschäft der Auslegung nicht ignoriert werden darf. Diese Texte
kommen aus Glauben und zielen ab aul'Glauben. Sie wollen und können
trotz aller Deduktionsmöglichkeiten das Christushandeln Gottes
m den beiden Testamenten nicht beweisen, wohl aber bezeugen. Sie
sind dabei immer der Bestreitung ausgesetzt und können niemanden
zwingen, das Gesagte zu akzeptieren, laden aber dazu ein, sich auf die
übermittelte Nachricht einzulassen. Was das bibeltheologisch bedeutet
, sollte erörtert, untersucht und weiter bedacht werden.

7. Man mag zum Schluß noch einmal fragen, ob eine „Biblische
Theologie" möglich ist. Es hat Forscher gegeben, die gemeint haben,
darauf eine verneinende Antwort geben zu müssen. Ihre Argumente

dürfen nicht leichtfertig abgetan werden. Die Diskussion darüber ist
noch in vollem Gange. Man wird redlicherweise sagen müssen, daß
sich noch kein durchschlagendes, überzeugendes Konzept zeigt. Vielleicht
ist bisher in diesem Zusammenhang in die falsche Richtung
gefragt worden. Vielleicht sind Erwartungen an die Texte gestellt worden
, die diese gar nicht erfüllen können oder wollen. Aber eines kann
wohl nach allem, was bisher dazu gesagt und geschrieben worden ist,
herausgestellt werden: Eine Biblische Theologie ist zu fordern, sie ist
wichtig und notwendig. Diese Forderung bleibt auch dann bestehen,
wenn sich eine Lösung des Problems noch immer nicht abzeichnet.

Vielleicht muß sich eine Biblische Theologie nicht in einem
geschlossenen theologischen System darstellen. Man wird sich mit
dem Gedanken vertraut machen müssen, daß Biblische Theologie
auch Mehr- und Gegenstimmigkeit zuläßt und aushält. Vorstehende
Darlegungen wollen einen Beitrag dazu leisten, eine positive Antwort
auf die gestellte Frage zu finden.

' Hauptprobleme der Biblischen Theologie im 20. Jahrhundert. Darmstadt
1983 (=EdF 203).

! Thcol. Diss. Bonn 1984; gedruckt bei W. Kohlhammcr, Stuttgart 1985.

' Vgl. z. B. die Aufsätze von P. Höffken. O. Kaiser. H. D. Preuß. G. Sauer.
W.H.Schmidt und H. Schröer in: M.Ocming / A. Graupner (Hg.), Altes
Testament und christliche Verkündigung (FS Gunncweg). Stuttgart 1987.

The exegetical signifieance of canon for the study of the Old Testament, in:
VT. S XXIX, Leiden 1978,66-80; Introduetion tothe Old Testament asScrip-
ture, Philadelphia (1979) ;1980; vgl. R. RendtorfT. Zur Bedeutung des Kanons
für eine Theologie des Alten Testaments, in: ..Wenn nicht jetzt - wann dann?"
(FSH.-J. Kraus), Neukirchen-Vluyn 1983,3-1 I.

' A.a.O.. 186ff.

* Z.'B. Franz Delitzsch, Commentar zum Briefe an die Hebräer. Leipzig
1857, noch zitiert von O. Michel, Der Brief an die Hebräer. Göttingen 121966
(=KEK 13), passim.

' Vgl. C. Westermann, Das Alte Testament und Jesus Christus, Stuttgart
1968.

* Vgl. jetzt E.-J. Waschke. Wurzeln und Ausprägung messianischer Vorstellungen
im Alten Testament. Eine traditionsgeschichtliche Untersuchung. Diss.
(Promotion B)Greifswald 1985.

Allgemeines, Festschriften

K"UUc. Joachim, u. Gottfried Schille [Hg.]: Theologische Versuche,
XVI. Berlin: Evang. Verlagsanstalt 1986.205 S.gr. 8". M 15,20.

Christlicher Glaube sollte die Freiheit einschließen, eigene überlieferte
Positionen zu hinterfragen. Der 16. Band der „Theologischen
^ersuche" bringt zwölf Beiträge, die es alle mehr oder weniger mit
solch kritischer Rückfrage zu tun haben und insofern überaus anregend
zu lesen sind.

E- J. W aschke fragt nach „Mythos als Strukturelement und Denkkategorie
biblischer Urgeschichte" (9-22). Auf dem Hintergrund
"hellender Beobachtungen zum Mythosbegriff zeigt er anhand der
Erzählung von der Erschaffung der Frau Gen 2,18-24, anhand der um
Schuld und Strafe kreisenden jahwistischen Schöpfungs- und Para-
"'esgeschichte von Gen 2 und 3 und anhand der priesterschriftlichen
Fassung der Urgeschichte, in welch unterschiedlicher Weise sich der
alttestamcntliche Glaube mit dem in seiner Umwelt vorgegebenen
Mythos auseinandergesetzt hat. Das Ergebnis: Das Mythologische
Wlrd schließlich ganz aufgegeben, weil die biblische Urgeschichte
Weder Mythos noch Sage, sondern „Lehre" im theologischen Sinn ist.
~ E>ie in der Arbeitsgemeinschaft Kirche und Judentum aufgeworfene
Abraham-Frage wird gleich in zwei Beiträgen behandelt. K.-W. Trö-
f!er skizziert Eigenart und Herkunft des Abrahambildes im Koran
'23-26). Da Tora und Evangelium jünger als Abraham sind, gilt die-
Ser weder als Jude noch als Christ, sondern als Ahnherr der Religion

Muhammads und insofern als Glaubensvorbild. Auf andere Weise
erfolgt „der Prozeß der Vereinnahmung Abrahams durch das frühe
Christentum", dem G. Baumbach unter dem Titel „Abraham unser
Vater" nachgeht (37-56). Nach einem rein polemischen Anfängsstadium
(Gal) führt der Prozeß über ein Stadium positiver theologischer
Reflexion (Rom) zur Betonung der Überlegenheit Christi über
Abraham (Hebr) und schließlich zu seiner völligen Ersetzung durch
Christus (Joh). Soloh exklusive Vereinnahmung im Zeichen einer
exklusiven Hcrrlichkeits-Christologie stellt freilich unter wirkungsgeschichtlichem
Gesichtspunkt einen Tiefpunkt der Entwicklung dar.
- W. Vogler wendet sich der noch immer strittigen Frage nach der
..Naherwartung" Jesu zu (57-71). Eine Durchsicht der ältesten Überlieferung
zeigt, daß sich im Rahmen des dynamisch-eschatologischen
Basileia-Begriffes Jesu zwar sowohl Gegenwarts- wie Zukunftsaussagen
finden, nicht aber direkte Aussagen zur Naherwartung. Indirekte
Zeugnisse - die Abwesenheit vop Missionsplan und Kirchengedanken
- lassen zwar für Jesu Denken die Vorstellung der Naherwartung
zu. ändern aber nichts daran, daß die verbalen Zeugnisse für
sie offensichtlich erst aus der von Oster- und Geisterfahrung geprägten
Gemeinde stammen. - W. Trilling analysiert und interpretiert die
paulinischen und synoptischen Worte zum Thema „Ehe und Ehescheidung
" (73-84). Auch wenn sich der originale Wortlaut des Ehescheidungsverbotes
Jesu nicht mehr rekonstruieren läßt, so ist doch
hinlänglich deutlich, daß eine „eschatologisch-prophetische Sentenz"
Jesu zugrundeliegt, die die Tradition verschieden interpretiert, d. h.
sehr wohl als normative Weisung, nicht aber als unantastbares Gesetz