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1988

Kategorie:

Praktische Theologie

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 2

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nerschaft eingingen in voller Kenntnis der beiderseitigen neurotischen
Disposition.

Zur ökologischen Persönlichkeitsentfaltung gehört für W. schließlich
auch die „Evolution und Realisierung überpersönlicher Prozesse"
(3. Kap., 2l9ff). Was W. hier ausführt, ist stärker als das Vorangehende
von einer weltanschaulich-philosophischen Sicht geprägt.
Für W. ist die Person Träger ,,personübergreifender Ideenprozesse"
(213). Unter einer „Idee" stellt er sich dabei „ein eigenes, zur Realisierung
drängendes Wesen" (255) vor. Zwar sieht er gegen Plato den
„Ursprung der Ideen im menschlichen Geist" (246), aber der Widerspruch
gegen die „idealistische" Tradition ist nicht sehr entschieden.
Jedenfalls ist die Vorstellung von einer unabhängig vom Subjekt existierenden
Ideenwelt für W. maßgeblich. Er kann sie in Beziehung
setzen sowohl mit dem „universellen Bewußtsein" des Buddhismus
(246) wie auch mit dem „kollektiven Unbewußten" Jungschcr Psychologie
. Ideen realisieren sich in Personen, die zu Ideenträgern
werden und untereinander in Beziehung stehen. In den Humansystemen
-wie z. B. der Familie-organisieren sich „Personen zielgerichtet
zur Realisierung eines gemeinsamen Ideenprozesses" (258). Ökologische
Selbstverwirklichung kommt dann ans Ziel, wenn Individuen
gemeinsam mit anderen in systemischen Organisationsformen -
Familie. Arbeitsgemeinschaft oder auch Staat - dazu gelangen, Ideen
zu artikulieren und zu realisieren. „Es ist nicht nur ein individualisiertes
Selbst, das sich in uns verwirklicht, sondern ein gewaltiger, übergreifender
Prozeß, von dem das Individuum immer nur ein Teil sein
kann. Ökologische Selbstvcrwirklichung heißt, sich der Verwirklichung
dieses Prozesses zur Verfügung zu stellen." (295)

Natürlich sind viele Gedanken nicht „neu" - wie sollte das auch
möglich sein auf diesem so reich bestellten Felde! Je nach dem, ob ich
das Buch als Psychologe, als Psychotherapeut, als Philosoph, als
Sozialwissenschaftler oder als Theologe lese, werde ich Bekanntes
finden, aber dies in einer disziplinübergreifenden Gesamtschau, die
fiir mich den besonderen Wert des Buches ausmacht. Es gibt wenig
Konzepte, in denen so konsequent und kritisch nach den gedanklichen
Hintergründen therapeutischen Tuns gefragt wird. Willis Buch
'st in hervorragendem Maße geeignet, auch Eheberatern und Seelsorgern
zu einer sachgemäßen Perspektive in den Beratungsprozessen zu
verhelfen. Dabei geht es besonders darum, den Ratsuchenden wie
seinen Partner als Teil eines Beziehungssystems zu begreifen und ihm
zu helfen, darin seine realen Lebensmöglichkeiten zu erschließen. Die
Abwendung von einer primär individuumzentrierten und bedürfnis-
onentierten zu einer systemorientierten, ökologischen Selbstvcrwirklichung
scheint mir darüber hinaus christlicher Anthropologie und
Ethik sehr nahe zu sein.

Kritisch sehe ich manche Aspekte von W.s „Idealismus". Darin
deutet sich m. E. eine recht harmonisierende Weitsicht an. Die Beispiele
, die W. für Ideenprozcssc bringt, beziehen sich dann auch nur
auf vorwärtsweisende Ideen. Wie aber steht es mit den zerstörerischen,
diabolischen Ideen? Ist hier nicht auch ein Wachstum zu Kritik und
Widerstand notwendig? Und ist Leben wirklich vorrangig: „sich dem
Rhythmus des Lebens einordnen" (294)? Was ist hier „das" Leben?
Und gibt es nicht Situationen, in denen man sich dem Rhythmus des
Lebens widersetzen muß?

Wer ein so zentrales und umfangreiches Thema anpackt wie W„
Provoziert auch Fragen und Widersprüche. Das spricht gewiß nicht
Segen ihn. Das Buch bietet viele Anregungen und gewinnt seine Leser
durch die sympathische und ausstrahlungskräftige Grundeinstcllung
seines Vf. Wo verantwortlich - und d. h. nicht nur professionell-
Pragmatisch oder dilettantisch-doktrinär - in Seelsorge und Beratung
gearbeitet wird, dürfte man an diesem Buch schwerlich vorbeigehen
können.

Leipzig Jürgen Ziemer

Biser, Eugen: Fallen wir ins Nichts? Überlegungen zu einer Hermeneutik des
Todes (GuL 60,1987,13-22).

Erzpriester Pawel Adelheim: Die Demut zur Ergänzungsbereitschaft. Auttrag
und Versuchungen in der Ehe (SOrth 1987,8, 13-15).

Lehmann, Detlef: Verfall oder Wiedergewinnung der Beichte? Überlegungen
zur gottesdienstlichen Ordnung und zum scelsorgerlichen Angebot der Beichte
(LuThK 11,1987,41-53).

Niemann. Ulrich: Okkultismus. Hypothesen zur Klärung eines „Psycho-
booms" (GuL 60,1987,299-304).

Schäfer, Philipp: Buße - Beichte - Vergebung. St. Ottilien: EOS Verlag 1987.
133 S. 8-. Kart. DM 14,80.

Schuld und Vergebung (Thcmenhetl „plaube und Lernen" 1. 1986, Heft 2):
Wohin führen Schuldgefühle?(W. Pöhlmann)(IOI-105)-Schulderkenntnis in
der Bitte um Vergebung (G. Sauter) (109-119)- Schuldcrkenntnis und Schuldbekenntnis
in der Geschichte (G. Bcsier) (120-129) - Das Stuttgarter Schuldbekenntnis
- und was daraus wurde (H. Traub) (131-140) - Auseinandersetzung
mit Schuld im Vexierspiegel der Justiz - aus der Perspektive eines
Gefängnispfarrers(K. G. Feisei)(148-152)-„Schuld und Vergebung" im Religionsunterricht
(H. Schmidt)(153-166).

Praktische Theologie:
Katechetik/Religionspädagogik

Schmidt, Heinz: Didaktik des Kthikunterrichts. I: Grundlagen. II: Der
Unterricht in Klasse 1-13. Stuttgart-Berlin (West)-Köln-Mainz:
Kohlhammer 1983/1984. 260 u. 255 S. gr. 8' = Ethik. Lehr- und
Studienbücher, 6,1 +6,2. Kart. DM 36.-u.38,-.

Worum es in diesem Ethikunterricht geht, läßt sich nur aus den besonderen
Bedingungen des Schulwesens in der Bundesrepublik verstehen
: Religionsunterricht „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen
der Religionsgemeinschaften" ist als ordentliches Lehrfach verfassungsmäßig
garantiert, zugleich aber auch, als Freiheitsrecht der
Schüler, die Möglichkeit der Abmeldung von einem solchen konfessionell
geprägten Unterricht. Die Frage, was denn mit den Schülern zu
geschehen habe, die sich solcherart vom Religionsunterricht abmelden
oder abmelden lassen, ist so alt wie diese Regelung. Eben aus solchen
Erwägungen wird ein religiös neutraler Ethikunterricht als „Ersatzunterricht
" für die Abgemeldeten gefordert, und seine nachdrücklichsten
Befürworter finden sich unter den Religionslehrern, die die
Position ihres Faches durch die Möglichkeit ersatzloser Abwahl geschwächt
sehen - ein Argument, das sich unter anderen Rahmcn-
bedingungen, etwa denen der Christenlehre in der DDR. sicher nur
schwer nachempfinden läßt.

Dies alles sind Hypotheken, die die sachliche Diskussion fachdidaktischer
Konzepte arg belasten. Der Ethikunterricht hätte völlig
andere Startchancen, wenn er aus der Einsicht erwachsen wäre, daß
angesichts der ungeheuerlichen Bedrohungen der Menschheit ein Beitrag
der Schule zu einem neuen ethischen Bewußtsein dringend erfordert
ist. Zudem fehlt es in den Lehramtsstudiengängen an fachdidaktischer
Kompetenz für dieses Fach; sie ist am ehesten noch bei Theologen
zu finden, und so sind sie es zunächst, die sich des neuen Faches
annehmen.

Unter solchen Bedingungen eine umfassende Didaktik des Ethikunterrichts
für alle Jahrgänge der öffentlichen Schule zu entwerfen, ist
schon ein herkuleisches Unternehmen. Heinz Schmidt hat es auf über
500 eng bedruckten Seiten in einer Weise bewältigt, die höchsten
Respekt verdient. Der Entwurf läßt den Makel des „Ersatzfaches" völlig
vergessen. Ohne diesen Makel, so möchte man sagen, könnte der
Ethikunterricht ein überaus anregender Gesprächspartner für den
Religionsunterricht sein; und es ist Heinz Schmidt tatsächlich gelungen
, ihn so zu entwerfen, ohne politische oder theologische Apologetik
oder Polemik, allein dem Schüler und dem Gesetz der Sache
verpflichtet.

Er beginnt seine Darstellung mit den rechtlichen Rahmenbedingungen
, ihrer unterschiedlichen Akzentuierung in den Bundesländern
und den Schwierigkeiten, unter Respektierung der weltanschaulichen
Neutralität des Staates überhaupt einen Ansatz für den Ethikunterricht
zu gewinnen, der ja nicht nur deskriptiv verfahren kann. Er refe-