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Ausgabe:

1988

Spalte:

117-120

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Léon-Dufour, Xavier

Titel/Untertitel:

Le partage du pain eucharistique 1988

Rezensent:

Cavallin, Hans Clemens Caesarius

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Theologische Literaturzeitung 1 13. .lahrgang 1988 Nr. 2

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einer Identität (31) wird also in Verwaltungssprache*" übersetzt,
begründet sieh aber von einer Quelle außerhalb des Polishorizontcs
her (46). Zugleich findet sie trotz ihrer eschatologischen Ausrichtung
Gestalt in christlichen Gemeinden,

In Entsprechung zur popularphilosophischen Bewältigung verbindet
sich mit dem Auszug aus der Polis in die Stadt der Arele lür die
Christen ein auch inhaltlich ähnliches ethisches Programm
(Kap. 4).

Wenngleich das überkommene Ideal der freien Polis weiter gepllegt
wurde, war doch ihr vornehmster Träger, der Munizipaladel, faktisch
entmachtet (Kap. 5). Rom bestimmt Rechts- und Finanznorm der
Städte. Angesichts breiter Resignation in den städtischen Eliten treten
Dio Chrysostomus und PKitarch als ..Polis-Anwälte*' auf. freilich
nicht, um alte Rechte einzuklagen, sondern um wenigstens für die
Wahrung des gegenwärtigen Status bei den Eliten einzutreten (580.
Dennoch sollen die Städte unter Septimus Severus bald nach der
äußeren auch die innere Freiheit zunehmend einbüßen (91 -93).

Kap. 6 fragt nach Auswegen aus der Krise für städtische Eliten. Die
Quellen bieten Beispiele des Aufstiegs in die Reichsaristokratie (61).
literarische Flucht in die verklärte Vergangenheit (62) oder die Recht-
'ertigung der inneren Emigration aus der Polis mit der Begründung,
sie entspreche ohnehin nicht den Vorstellungen des Weisen (Seneca,
de otio). Dio Chrysostomus nennt - in Konsequenz seiner Polis-
Anwaltschaft - die Stoiker ..Totengräber der Stadt und des Gemeinwesens
" (66).

Die Sehlußkapilel stellen die Antwort des C hristentums des 2. und
3. Jh. auf die dekurionale Identitätskrise dar. Kap. 7 zeigt zunächst
den Aufstieg von Christen in die Munizipalaristokratie auf (Plinius.
ep. X 96.4.9: Tertullian. idol. I7f; Origenes. Geis. Vlll 73-75). Die
drei Gründe, die Angehörige der städtischen Eliten zum Christentum
führten, findet der Vf. in folgendem (74-80): a) nachahmungswürdige
Verweigerung der Christen in öffentlichen Angelegenheiten
(das Votum von Kelsos bei Origenes): b) elitäre Ethik: c) eine kirch-
'iche und himmlische Ämterlaufbahn (Tertullian. idol. 18.9). die derjenigen
der Polis nicht unähnlich war.

Das Christentum konnte aber nicht nur Ausweg aus der Idcntitäts-
"ise sein, es wollte es auch (Kap. 8). Clemens Alex., ström. IV bejaht
das überkommene Polis-Ideal. gegenwärtig aber ist die Kirche eine
••unbclagcrte. nicht von Tyrannen beherrschte Stadt". Himmclsstadt
Und Polis-Ekklesia werden in ein Verhältnis gesetzt, welches in Gottes
w'Hen gründen soll (ström. IV 66.1). Tertullian, de pallio V 4-VI 2
"Wlml Gedanken von Dio Chrysostomus auf, wenn er den Blick auf
Gemeinwesen und die ihm dienende Ethik richtet. Das Christentum
aber ist für ihn die melior philosophia (VI 2.22). Wer am Polis-
'deal hing, konnte, so die Absicht von Clemens und Tertullian, in den
Genieinden als Alternativ-Polcis Identität gewinnen (100).

Die Studie schließt mit der Frage, ob die Christenvcrfolgungen das
Ausmaß erreicht hätten, „wenn das Christentum darauf verzichtet
™äüe, auf die Identitätskrise in der Polis so zu reagieren, wie es das
getan hat". (101)

Die Studie von Plümacher ist ein wertvoller Beitrag, sowohl das
Urchristentum und die Alte Kirche in der politischen Bedingtheit
Präziser zu erfassen, als auch deren Botschall vor diesem Hintergrund
ansichtig zu machen.

(•Otlingen Friedrich Wilhelm Horn

'-i'on-Dufour. aicr: Le purlaue du pain eucharistique. Selon le
Nouvcau Testament. Paris: Ed. du Scuil 1982. 380 S. 8' = Parole de
Dieu. Kart, ffr 75.-.

Mit diesem Buch, mit der Exegese und Theologie der Abend mah ls-
lL'xte. schließt der berühmte .lesuitenexeget X. Leon-Dufour eine Tri-
'°gie ab. wobei die vorhergehenden Arbeiten Resurrection de Jesus et
rnessage pascal und Face ä la mort. Jesus et Paul waren. Die Gattung
lst nicht die akademische Abhandlung o. ä.. aber auch nicht die

Frbauungsschrift. Gerade den französischen katholischen Exegeten
gelingt es oft, ihre exegetischen Ergebnisse und die daraus folgenden
theologischen Schlüsse so zu veröffentlichen, daß diese sowohl einen
Beitrag zur Fachdiskussion als auch zu einer substantiellen „Erbauung
" der Priester und derjenigen Laien, die überdurchschnittlich gut
theologisch orientiert sind, darstellen. Das triff) sehr wohl auch lür
dieses Buch zu. Die erste Zeile des Vorwortes gibt diese Absicht kund,
in einer Weise, die wohl für deutsche oder skandinavische theologische
Arbeiten nicht so gewöhnlich ist: „Wenn ich mich entschlossen
habe, ein Buch über die Eucharistie zu schreiben, dann zunächst
einmal deshalb, weil ich als Glaubender im Vertiefen meines ( Hau-
bens eine Entwicklung durchgemacht habe." (S. I I: Zitate u. Seitenangaben
nach der deutschen Ausgabe.) Das Buch ist aber keine
..dogmatische(n) Synthese, wohl aber versuchen wir einen bibel-
thcologischen Zugang, der alle inspirierten Texte zum Thema mit
einbezieht" (S. 12).

Mit aller gallischen Klarheit und Eleganz werden die Voraussetzungen
der Lektüre' [fecture, wie wohl nur die Franzosen das sagen
können, im alten Sinn, wo das Lesen schon eine Deutung ist), die
Methoden fragen und der Arbeitsgang dargelegt. Die biblisch-theologische
, nicht nur detail-exegctische. Aufgabe wird dabei unterstrichen
, aber als Vorbereitung für die „globale Deutung" des Dogmati-
kers „aus der Tradition" verstanden (S. 14-19) - das ist eine
Andeutung und vielleicht auch mehr, über das allgemeine Verhältnis
/wischen Dogmalik und Bibeltheologie und auch zwischen Schrift
und Tradition, aus dem katholischen Gesichtswinkel des Vf. Für den
Exegeten aber gilt sola scriptum, wenn er auch sich seiner Voraussetzungen
bewußt sein muß (S. 15). Diese Haltung hat aber die
Kanonizität (d.h. die kirchliche Tradition) als ihre fundamentale
Voraussetzung (S. 15). Das könnte vielleicht noch deutlicher ausgedrückt
werden.

Gerade in dieser Haltung hat der Okumenismus seine Chance.
Schon die erste Zeile der Einführung verkündigt ihn. wenn sie auf die
Vielfalt der Gestaltung des Abendmahls, mit jedoch einem Ausgangspunkt
in den neutestamentlichen Texten beginnt. Die Ergebnisse der
Untersuchung sind daher ökumenisch sehr bedeutungsvoll und sollten
die neue Verständigung zwischen fast allen christlichen Konfessionen
in der Abendmahlslehre untermauern und vertiefen. Das betriff)
sowohl die Fragen der Realpräsenz und des eucharistisehen Opfers als
auch überhaupt das Verhältnis /wischen Kult und Ethik. Sakrament
und Leben. Der letzte Problemkomplex ist natürlich grundlegend:
Hat Jesus überhaupt eine kultische Wiederholung seines letzten
Mahles mit den Jüngern gewollt oder wollte er eigentlich nur das
Beispiel der Hingabe, des Dienens, der sich selbst opfernden Liebe
setzen? L.-D. findet gewissermaßen diese Frage schon in einer
ursprünglichen Dualität der Traditionen vom letzten Abendmahl
Jesu mit den Jüngern: die „kultische" und die „testamentarische"
Tradition. Diese These hat L.-D. schon vor 20 Jahren in Supplement
au Dietionnaire de la Bible vorgeschlagen (S. 24). Im mehrdiachronen
Teil der Arbeit (11) längt er mit der Unterscheidung zwischen diesen
zwei literarischen Formen der Abendmahlsüberlieferung an. Dabei
wagt er auch den Schluß zu ziehen, daß sie eine solide historische
Basis hat in dem. was tatsächlich am letzten Abend Jesu geschehen ist
(S. 111).

Die testamentarische Tradition, nach der das Mahl ein Abschiedsmahl
mit einer Abschiedsredc ist. findet L.-D. natürlich in Joh 13-17
und Lk 22.151T. aber auch wie ein Relikt in Mk 14,25: Mt 26,29:
Lk 22,18. Die Eucharistie selbst bleibt das Mittel der fortgesetzten
Gegenwart Jesu während seiner Abwesenheit. Aber auch durch das
Testament und seine Weisungen bleibt der Jünger mit seinem Meister
verbunden, durch eine existentielle Haltung des Dienstes und der
Liebe, konform mit der Lebensart Jesu (S. 129).

Die kultische Tradition zerlallt in zwei verschiedene Traditionen,
die paulinisch-lukanischc. „antiochenische" genannt, und die „mar-
kinische" (die auch in Mt vorliegt), wo die Provenienz in Jerusalem
oder Caesarea zu finden sei (S. 1300 - diese geographischen Behaup-