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Ausgabe:

1988

Spalte:

116-117

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Plümacher, Eckhard

Titel/Untertitel:

Identitätsverlust und Identitätsgewinn 1988

Rezensent:

Horn, Friedrich Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 2

1 16

Belle, Gilbert van: Les parentheses dans l'evangile de Jean. Apercu
historique et Classification texte Grec de Jean. Leuven: University
Press; Leuven: Peeters 1985. XI, 381 S. gr. 8' = Studiorum Novi
Testamenti Auxilia, XI. bfr 1500.-.

Die vorliegende Arbeit ist einzuordnen in die Stilanalysen zum
Johannesevangelium und widmet sich besonders den Parenthesen.
Daß sie in der von F. Neyrinck herausgegebenen Reihe der Hilfsmittel
erscheint, ist durchaus angemessen, wurde doch eine große Fülle von
Literatur verarbeitet im Blick auf die Definition und Bezeichnung von
Parenthesen. Ergebnisse dieser Analyse werden in verschiedenen
Tabellen zusammengestellt, so daß viele Informationen auf einen
Blick greifbar sind.

Der erste Hauptteil (S. 3-57) gilt der Bestandsaufnahme der
Parenthesen im Johannesevangelium. Zuerst werden die Texteditio-
nen (S. 3-9) hinsichtlich der Festlegung von Parenthesen betrachtet.
Die zusammenfassende Tabelle zeigt die große Divergenz in der
Zuordnung. Dann werden die Grammatiken (S. 10-18) nach derselben
Fragestellung untersucht. Dabei zeigt sich, daß eine Definition
der Parenthese schwierig ist (sowohl was ihre sprachliche Form als
auch ihre Funktion angeht). Schließlich analysiert der Vf. Kommentare
und andere Studien (S. 19-57), angefangen bei Bengels Gnomon
bis hin zu Olssons Buch über den Parakleten (1974). Hier ist nicht
ganz einzusehen, wieso diese Analyse nicht bis in die neueste Zeit fortgeführt
wird (neuere Werke werden in weiteren Teilen besprochen).

Der zweite Hauptteil(S. 59-235) nimmt die Parenthesen unter dem
Aspekt in den Blick, inwiefern sie sich zur Begründung von Urteilen
über den johanncischen Stil eignen. (Hier wechselt das Druckbild vom
Satz zum Typoskript, was der Schönheit des Buches nicht gerade
förderlich ist.) Er beginnt mit einer kumulativen Liste (S. 61-104),
welcher Angaben über die Zuweisung durch die verschiedenen Autoren
, über ihre traditionsgeschichtlichen Entscheidungen und literar-
kritischen Zuordnungsebenen und vieles andere mehr zu entnehmen
sind. Diese Liste erleichtert es dem Ausleger, sich einen (allerdings
reichlich formalen) Überblick über die Beurteilung eines Textes in der
Literatur zu verschaffen. Die Auswahl der einbezogenen Arbeiten ist
nicht ganz durchsichtig; warum wird beispielsweise der Kommentar
von S. Schulz (NTD) nicht berücksichtigt? Der Vf. gibt sodann eine
Klassifikation der Parenthesen (S. 105-155) nach Inhalt, Grammatik
und Stil. Inhaltlich gesehen handelt es sich dabei um Übersetzungen
des Hebräischen oder Aramäischen, Erklärungen jüdischer Bräuche,
Anmerkungen zu Personen, Orts- und Zeitangaben, Erklärung von
Sprüchen oder Handlungen, Hinweise auf Mißverständnisse oder
Verstehensschwicrigkeiten, Verweise auf den Kontext, Korrekturen,
Schlußfolgerungen, Reflexionen verschiedener Art, Hinweise auf den
Autor(wobei hier merkwürdigerweise 1,14 aufgeführt wird) und übernatürliche
Kenntnisse Jesu. Es folgt eine Betrachtung der Wortwahl
und des Stils solcher Zwischenbemerkungen. Ein weiterer Durchgang
gilt dem Zusammenhang zwisehen der Analyse der Parenthesen und
dem Interpretationsprohlem des Jonarmesevangeliums (S. 156-210).
Wichtigstes Ergebnis ist, daß die Stilanalyse der Parenthesen keine
Argumente für traditionsgeschichtliche oder literarkritische Operationen
liefern kann. Auch die Analyse der theologischen Inhalte
weist in dieselbe Richtung: Alle sind dem Evangelisten zuzuordnen
(S. 2080- Damit bewegt sich diese Untersuchung im Rahmen eines
neueren Trends in der Johannesliteratur, des Trends, das Evangelium
- in Abkehr von allen traditionsgeschichtlichen und literarkritischen
Arbeiten - als literarisches Werk aus einem Guß zu betrachten. «II est
difficile, semble-t-il, d'attribuer les parentheses ä une autre main qu'ä
celle de l'evangeliste. Qui veut les attribuer ä un editeur eventuel,
devra conceder quecelui-ci aurait joue un röle imporlant dans la com-
position de tout l'evangile et que son propre point de vue aurait ete le
memo que celui de l'evangeliste» (S. 2090- Ob aus der Analyse der
Parenthesen so weitreichende Schlüsse gezogen werden können,
erscheint immerhin fraglich. Doch auch ohne solche Schlüsse behält
die vorliegende Arbeit ihren Wert, eine materialrciche Zusammenstellung
der Zwischenbemerkungen zu sein. Der Vf. führt schließlich

an einem Beispiel (.loh 4,9) vor, wie er seine Materialien angewendet
wissen will (S. 211-235). Die Gründe, diese Parenthese der kirchlichen
Redaktion zuzuschreiben («le hapax avyxpdouai et l'omission
de l'article devant 'IouSaioi et Zaftapixaicz»), sind gewiß schwach; es
bleibt aber die Frage, ob die Schwachheit dieser Gründe Grund genug
ist, sie dem Evangelisten zuzuordnen.

Im drillen Hauptteil (S. 237-329) gibt der Vf. den griechischen Text
des Joh nach Nestle-Aland2'' wieder/Hier werden die Zwischenbemerkungen
durch verschiedene Sigla kenntlich gemacht. Hilfreich ist die
stilanalytisch gestaltete Wiedergabc; eine auffälligere drucktechnische
Auszeichnung der Parenthesen wäre zuhanden der künftigen Benutzer
wünschenswert gewesen. Im Appendix (S. 331-344) werden
Tabellen zum Vergleich verschiedener Ausgaben geboten. Eine
Bibliographie und ein Register der zitierten Autoren beschließen das
Buch.

Zürich Hans Weder

Plümacher, Eckhard: Idcntitätsverlust und Identitätsgewinn. Studien
zum Verhältnis von kaiserzeitlichcr Stadt und frühem Christentum.
Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 1987. 125 S. 8" =
Biblisch-Theologische Studien, 11. Pb. DM 25,-.

Das frühe Christentum wird bis in die zweite Hälfte des 3. Jh. fast
ausschließlich von der kaiserzeitlichen Stadt geprägt und entwickelt
sich somit hinsichtlich seiner eigenen Erscheinung zu einer städtischen
Religion. Als solche partizipiert es an deren Problemen, unter
denen Plümacher in seiner Studie die Identitätskrise der Bürger zu
ihrer eigenen Polis vorstellt. Die Krise betrifft sowohl die zum ordo
decurionum zählenden lokalen Eliten, wie auch subdekurionalc
Gruppen. Sie ist in der Tatsache begründet, daß die Idee der freien
Polis, die ihren Bürgern Identität vermittelte, unter der römischen
Herrschaft und der von ihr eingesetzten Statthalter zunehmend
zurückgedrängt wurde. Neben der Analyse der Bedingungen und der
Erscheinungsformen dieser Krise richtet sich das Hauptinteresse der
Studie auf Versuche ihrer Bewältigung im säkularen und christlichen
Raum. Dabei läßt der Vf. die antiken Quellen nicht nur selber sprechen
, sondern erweist sich zugleich in ihrer Auswertung auf der Höhe
der Forschung stehend (vgl. nur den eingehenden Anmerkungsteil
und das umfangreiche Literaturverzeichnis).

Kap. 1 stellt die Identitätskrise subdckurionalcr Gruppen beispielhaft
vor, etwa im Gegensatz zum Munizipaladel oder in der Verweigerung
des Bürgerrechts. Ein Ersatz konnten Vereine sein, äußerlich der
Struktur der Stadtgemeinden nachempfunden, in Wahrheit aber ohne
wirklichen Einfluß auf die Polis (12-18). Kostspieliger war der
Aufstieg in die ornamenta decurionalia, daher nur wenigen zumeist
Freigelassenen vorbehalten und auch dies nur im Westen des Reiches.
Allgemeincrc Ventilfunktion kam den häufigerwähnten „Aufruhren"
zu.

Ein Ausweg konnte gewiß die popularphilosophischc Ethik sein
(Kap. 2). Der Vf. zeigt in Philos Quod omnis probus und Lukians
Hermotimos (26-30) die Gegenüberstellung von realer Polis und
idealer Stadt auf, der Stadt der Arete. Die geistige Auswanderung aus
der Polis konnte Identität vermitteln.

Obwohl das frühe Christentum - soziologisch durch "levels in
betwecn" bestimmt (34) - an dieser Krise partizipiert, gehen keine
christlichen Quellen direkt auf das Phänomen dieser Identitätskrise
ein (35). Wohl aber, so zeigt Kap. 3. kleiden christliche Autoren ..ihre
Heimat und Identität versprechenden Aussagen in eine Sprache, die
eben jenem Kontext entstammt, in dem viele erfolglos um ihre Integration
. . . kämpften" (38). Die Christen sind nach Hebr 12,221'indcn
himmlischen Bürgerlisten verzeichnet, sind auf dem Weg von
irdischer Polis (13,14) zur zukünftigen Stadt (36). Eph 2.191'spricht
den Christen in Verwendung der technischen Begrifflichkeit der Verwaltungssprache
himmlisches Bürgerrecht zu (27f). Der 1. Petrusbrief
zeigt ein Paroikiedasein an. welches mit dem Christusglauben gegeben
ist (39-44). Die neue, mit dem Christusglauben geset/le Möglichkeit