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Ausgabe:

1988

Spalte:

913-915

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Kasper, Walter

Titel/Untertitel:

Theologie und Kirche 1988

Rezensent:

Slenczka, Reinhard

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Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 12

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dem unser Glaube lebt und das die ganze Welt und ihre Geschichte
aus der Vergangenheit in die Zukunft trägt" (S. 8).

Leipzig Ralf Marschner

Kasper. Walter: Theologie und Kirche. Mainz: Grünewald 1987.
322 S. 8*. Lw. DM 48,-.

Vor gut 25 Jahren gab es einen heftigen Streit um die Frage, ob die
katholische Tübinger Schule des 19. Jh. als Wegbereiter oder als
Alternative zur Neuscholastik anzusehen sei. Was damals vor allem in
der Kontroverse zwischen H.J. Brosch und J. R. Geiselmann eine
Sache theologicgeschichtlicher Interpretation war, erscheint bei Walter
Kasper, dem prominenten gegenwärtigen Vertreter der katholischen
Tübinger Schule, in modifizierter Form als dogmatisches
Grundproblcm. das keineswegs nur die Auseinandersetzungen innerhalb
der römischen Kirchengemeinschaft nach dem Vaticanum II betrifft
, sondern in wichtigen Punkten auch die Gespräche zwischen den
Kirchen berührt. „Theologie und Kirche" ist der programmatische
Titel für eine Sammlung von Beiträgen, die durchweg von dem Bemühen
bestimmt sind, den relativierenden und subjektivistischen Implikationen
geschichtlichen Denkens auszuweichen, ohne den Wahr-
heitsanspruch der Kirche und den Wissenschaftlichkeitsanspruch der
Theologie aufzugeben. Im Rückblick auf seinen 17 Jahre zuvor erschienenen
Sammelband „Glaube und Geschichte" ist damit auch ein
Weg theologischer Arbeit angedeutet, der sich in dem vorliegenden
Band in einer ganzen Reihe von Präzisierungen und einigen Retraktionen
(z. B. 9; 27) abzeichnet. Bereits das Vorwort ..Zur gegenwärtigen
Situation und zu den gegenwärtigen Aufgaben der Systematischen
Theologie" ist eine Situationsbeschreibung und Positionsangabc.
Alles steht unter dem Dilemma, wie kann die Theologie ..pluralistisch
sein, ohne relativistisch zu werden"? Und wie kann sie „aus dem Identitäts
-Relevanz-Dilemma, in welchem sie sich befindet, herauskommen
"? Die damit verbundene Einsicht: „Ohne klare, deutliche eigene
Identität gibt es keine Relevanz; ohne Relevanz gibt es freilich auch
keine Identität" (11) ist nic ht zu bestreiten. Die für alles weitere le itenden
Prinzipien werden als Kennzeichen der „Tübinger Schule" eingeführt
: „Kirchlichkeit, Wissenschaftlichkeit und praxisorientierte
Offenheit für die Fragen der Zeit". (11) Die 15 Beiträge, deren Erstveröffentlichung
zwischen 1981 und 1987 liegt, fügen sich unter diesem
Konzept zu einer geschlossenen Einheit in drei Themenkreisen, aus
denen aber nur einzelne Punkte aufgegriffen werden können.

Am umfangreichsten ist der I.Teil „Theologie und Dogmatik
heute", in dem Probleme der Fundamentaltheologie erörtert werden.
Im Mittelpunkt steht immer wieder die Wahrhcits- und Gewißheitsfrage
. Zu Recht wird darauf hingewiesen, daß „die Erneuerung des
dogmatischen Prinzips kein rein innerkirchliches Problem, sondern
auch ein eminent gesellschaftliches Problem ist" (270- Wenn Kasper
in solchen Erwägungen gleich zweimal Luthers Satz gegen Erasmus
zitiert: „Tolleassertiones, et Christianismum tulisti" (35;49), dann ist
damit eine ökumenische Gemeinsamkeit der dahinterstehenden Probleme
angedeutet, zugleich werden aber auch die verschiedenen Wege
zu ihrer Bewältigung sichtbar, wenn es weiter dazu heißt, daß es zwar
eine Gemeinsamkeit in der „Wertschätzung der Schrift als Wort Gottes
" gibt, jedoch eine Differenz, wenn es „um die rechte verbindliche
Auslegung der Schrift in Konfliktfällen" geht (36). Daß mit dieser
Problematisierung der Grundsatz Luthers auf den Skeptizismus des
Erasmus zurückgenommen wird, kann nur verstanden werden, wenn
man bedenkt, daß die in der Heiligen Schrift begründete „assertio"
nicht den Auslcgungskonsens, sondern die geistliche Grundlage des
Glaubensbekenntnisses bildet. Nur so kann verständlich werden, was
die Schriftgrundlage für die geistliche Identität des Glaubens und damit
der Kirche bedeutet. Andernfalls gerät man in die Eigengesetzlichkeit
der Geschichte oder in eine Lehrgesetzlichkeit der Kirche.

In dem keineswegs abgeschlossenen Konflikt um die Unfehlbarkeit
sucht Kasper vorsichtig einen Weg zwischen Lcgalismus und Relativismus
durch ein „geschichtliches Verständnis der Unfehlbarkeit"
(68). Er spricht von einer „Relationalität der Dogmen", und „sie müssen
deshalb ausgelegt werden als Ausdruck des Evangeliums von der
unfehlbaren Gewißheit des Kommens des Reiches Gottes, das zugleich
das Reich efer Freiheit der Söhne Gottes ist". (69) Müßte,
könnte man dabei nicht genauer sagen, daß es um jene Gewißheit
geht, die in der Verheißung des Wortes nicht nur ihren Ursprung, sondern
ihren wirksamen Grund für den Glauben hat. der darauf vertraut
, daß erfüllt wird, was der Herr zugesagt hat? Freilich ist damit
auch für die zwischenkirchlichen Gespräche angedeutet, daß wir noch
keine Verständigung über Schriftprinzip und Wort Gottes erzielt
haben; vielmehr beruht die vorliegende Verständigung lediglich auf
einer Gemeinsamkeit in der Voraussetzung der historischen Betrachtungsweise
. Dies zeigt der Abschnitt über „Tradition als theologisches
Erkenntnisprinzip", in dem die traditionsgeschichtliche Methode mit
einem Verständnis von Lehrentscheidung als Interpretation verbunden
wird, und damit ist das Schriftprinzip in das Traditionsprinzip
überfuhrt bzw. von ihm umgriffen. Ähnliches läßt sich beobachten bei
den Überlegungen zu „Kirchcngeschichte als historische Theologie"
mit der programmatischen Definition: „Kirchengeschichte ist entsprechend
die Auszeitigung dessen, was die Kirche ein für allemal ist
in^Jcn sich wandelnden Konstellationen der Geschichte." (111) Es ist
keineswegs nur ein Problem römisch-katholischer Theologie, wenn
sich im Rahmen der Geschichtlichkeit die Frage nach der geistlichen
Identität und ihren Kriterien stellt, von der die Überlegungen von
Kasper bewegt sind. Dies aber betrifft das Ringen zwischen wahrer
und falscher Kirche in der Geschichte und auch in den Kirchen.

Der 2. Teil enthält Beiträge zu „Theologie und Anthropologie",
darunter einen über „Autonomie und Theonomie. Zur Ortbestimmung
des Christentums in der modernen Welt." (I49lf) Hier zeigt sich
jener folgenreiche Konsens geistesgeschichtlicher Axiomatisierung.
d«r seinen Ursprung vor allem in der falschen Deutung von „Aufklärung
" sowie in der falschen Interpretation von Autonomie und
Heteronomie bei 1. Kant durch Ernst Trocltsch hat. Man kann einem
einzelnen Theologen nicht anlasten, was als Theologcnkonstrukt als
„neuzeitlicher Mensch" und „neuzeitliches Denken" aus solchen
Fehldeutungen hervorgegangen ist. Immerhin sei auf die Untersuchungen
von Horst Stukc (1972) und die jetzt 1987 erschienene
Arbeit von Ernst Feil verwiesen.* Der Hinweis könnte dazu helfen,
die Überlegungen zu verstärken, die von Kasper über die „Theologische
Bestimmung der Menschenrechte im neuzeitlichen Bewußtsein
von Freiheit und Geschichte" sowie zum Verhältnis von „Christolo-
gie und Anthropologie" angestellt werden. Denn in beiden Fällen
bemüht sich Kasper darum, gegensätzliche theologische Positionen
einer „Theologie der Welt" und einer Verselbständigung der Anthropologie
auf die theologischen Grundlagen zurückzuführen. Neben
vielem, was von Kasper zum Thema Christologie bereits veröffentlicht
ist. sei besonders hingewiesen auf die anthropologische Bedeutung
der Lehre vom „munus triplex Christi" (207ff) und die damit
verbundene Mahnung, daß die Theologie „Theologie bleibt und nicht
Anthropologie wird" (216).

Die Beiträge im 3. Teil unter dem Thema „Kirche als Sakrament
des Heils" führen zu dem, was nach dem Gesamtkonzept Grund und
Ziel der Theologie ist. Kasper geht davon aus, daß das Verständnis der
Kirche „als universales Sakrament des Heils" nach dem Vaticanum II
„weithin in Vergessenheit, ja in Mißkredit geraten" ist (237). Er erinnert
auch daran, daß es nach der 4. Vollversammlung des Ökumenischen
Rates der Kirchen in Uppsala 1968 um die ekklesiologischen
Bestimmungen „Sakrament" und „Zeichen" heftige Auseinandersetzungen
gegeben hat, die auch im zwischenkirchlichen Gespräch
noch keineswegs ausgetragen sind. „Das Verhältnis der sichtbaren
Gestalt der Kirche zu ihren verborgenen, nur im Glauben erfaßbaren
Wesen" ist in der Tat das ungelöste, aber auch nicht unberührte Problem
der Verständigung (238). Auf diesem eingestandenermaßen
schwierigen Gebiet bemüht sich Kasper um Orientierungshilfen. Im
Mittelpunkt steht dabei „Die Kirche als Ort der Wahrheit", und in