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Ausgabe:

1988

Spalte:

908-910

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Lorenz, Eckehart

Titel/Untertitel:

Kirchliche Reaktionen auf die Arbeiterbewegung in Mannheim 1988

Rezensent:

Wirth, Günther

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Theologische Literaturzeitung 1 13. Jahrgang 1988 Nr. 12

908

Zeremonien. Der König soll der defensor ecclesiae sein. Die Kirchenordnung
1537 beginnt mit einem königlichen Brief, der des
Königs Verantwortung Tür die Gesetzlichkeit der Kirchenordnung
bestätigt. Sie besteht aus zwei Teilen: Die Ordnung Gottes und
..unsere" Ordnung. Der König kann die Lehre nicht bewirken, er will
aber die äußeren Umstände beeinflussen, damit die Reformation
durchgesetzt werden kann. Damit tritt der König als custos utriusque
tabulae klar hervor. Indem die Fragen der Religion gesehen werden im
Verhältnis der Kirche zum König, erhalten wir einen neuen und ungewohnten
Blickwinkel. Das Bild wird aber erst vollständig, wenn es
ergänzt wird durch die Darstellung des Peter Palladius. des bedeutendsten
Repräsentanten der dänischen Rcformationskirchc.

Das Buch über Palladius ist natürlicherweise das größte unter den
drei jetzt vom Vf. herausgebrachten Büchern. Peter Palladius war
sowohl Bischof von Seeland wie auch Theologieprofessor an der neu
eröffneten Universität Kopenhagen, zudem war er verantwortlich für
die Kirche auf Rügen, Gotland. in Norwegen und auf den Faröern,
denn sie gehörten damals zu Dänemark. Biographische Daten von
Palladius sind kaum bekannt. Er wurde 1503 in Ribe geboren, hat
geheiratet und am 3. 9. 1531 mit dem Studium in Wittenberg begonnen
. Luther und Melanchthon haben ihn beeindruckt. Er hatte Beziehungen
zu Bugenhagen, der sich um die dänischen Studenten in Wittenberg
besonders kümmerte. Bugenhagen schlug Peter Palladius vor.
als der König Christian nach einem dänischen Theologen gefragt
hatte, der die dänische Kirche leiten könne. Der König ging auf den
Vorschlag ein, doch sollte Palladius erst disputieren, um Doktor zu
werden; dies tat er auch, auf Kosten des Königs. Zusammen mit
Bugenhagen zog Palladius nach Dänemark. Er war unter den ersten
Superintendenten, die Bugenhagen am 2. September 1537 eingesetzt
hat. Ihn erwarteten viele Aufgaben: Er mußte sein Bistum verwalten.
Theologie an der Universität lehren, als Berater des Königs Gutachten
zu theologischen Streitfragen schreiben. 1545-1555 war er Vorsitzender
der Kommission für die Herausgabe der dänischen Bibel. Im Mai
1555 wurde Palladius auf der Kanzel der Marienkirche von einem
Schlaganfall getroffen; bis zu seinem Tode am 3. Januar 1560 schrieb
er Schriften von großer Bedeutung. Kurz nach seinem Amtsantritt
ließ er Luthers Kleinen Katechismus in dänischer Sprache herausgeben
. 1541 besorgte er eine lateinische Katechismuserklärung für die
Pfarrer Norwegens; 1546 erschien sie ins Dänische übersetzt für die
Geistlichkeit Islands. Am meisten und liebsten beschäftigte er sich mit
Schriften zur Bibelauslegung. Isagogik sowie Predigtsammlungen. Er
schrieb pastoraltheologische Schriften, um Pfarrkandidaten die
bischöfliche Prüfung zu erleichtern. Er hat seclsorgerliche Themen
behandelt und Handbücher für den Gottesdienst herausgegeben.
Seine Verpflichtung zu jährlichen Visitationsreisen nahm er ernst.
Der König betrachtete den Superintendenten auf einer solchen Reise
primär als seinen Repräsentanten. Nach der Reformation änderte
sich die Verantwortung für die soziale Fürsorge. Es war nicht leicht,
eine evangelisch und staatlich getriebene Armenfürsorge zu begründen
. Palladius bestritt einerseits die katholische Auffassung, daß
Almosen die Erlösung befördere, andererseits regte er das Geben von
Almosen an aus praktischen Gründen. Der Kirchenordnung gemäß
sollten die Superintendenten Berater des Königs in theologischen und
kirchlichen Fragen sein; das wurde für Palladius eine wichtige Aufgabe
. In den protestantischen Ländern spielten die Universitäten eine
große Rolle. Die theologischen Fakultäten sollten mit den kirchlichen
Behörden zusammenarbeiten. Der Pfarrerausbildung maß man gesellschaftliche
Bedeutung bei, da die neue Lehre durch die Verkündigung
verbreitet werden sollte. Ruhe und Ordnung sollten durch gute Ausbildung
der Pfarrer gewährleistet werden. Dazu verfaßte Palladius
viele Schriften für den Unterricht an der Universität. Professor der
Theologie zu sein war in dieser Zeit, in der die neue Lehre befestigt
werden sollte, eine besonders schwere Aufgabe; die Professoren wurden
vom König berufen.

Die beiden Bücher bieten eine vielseitige und lebendige Darstellung
der frühen Reformation in Dänemark. Martin Schwarz Lausten zeichnet
, wenn er das Zusammenspiel zwischen geistlicher und weltlicher
Obrigkeit hervorhebt, ein wirklichkeitsnahes Bild der Reformation.
Er stellt auch neue Forschungsergebnisse vor. Man wird bestimmt
klüger durch diese Bücher. Leider sind Druckfehler ziemlich zahlreich
, Abkürzungen aus dem Manuskript sind nicht im Druck voll
ausgeschrieben, Namensformen sind verschieden geschrieben - aber
dies sind Kleinigkeiten. Das dritte Buch „Die Reformation in Dänemark
" enthält eine gut lesbare und allgemeinverständliche Darstellung
, die an eine Vorlesungsreihe an der Volksuniversität Kopenhagen
anschließt. In lebendiger und fesselnder Weise wird erzählt von
den Voraussetzungen der Reformation wie auch von der neuen reformatorischen
Gesellschaft. Wer eine gut lesbare Einführung und einen
allgemeinen Überblick über diese bedeutende Epoche der dänischen
Geschichte sucht, kann hier einsetzen.

Oslo Ingun Montgomery

Kirchengeschichte: Neuzeit

Lorenz, Eckehart: Kirchliche Reaktionen auf die Arbeiterbewegung in
Mannheim 1890-1933. Ein Beitrag zur Sozialgeschichte der evangelischen
Landeskirche in Baden. Sigmaringen: Thorbecke 1987.
327 S. m. 12 Abb. gr. 8" = Sonderveröffentlichungen des Stadtarchivs
Mannheim, 11. geb. DM 48,-.

Eckehart Lorenz hat in seiner aus einer Heidelberger Dissertation
hervorgegangenen Studie den langen Atem gehabt, um in jeweils subtil
gestalteten, mit einer Fülle bezeichnender Details angereicherten
Untersuchungen kirchliche Reaktionen auf die Arbeiterbewegung in
ihrem jeweiligen Kern in der Zeit des Übergangs vom Kapitalismus
zum Imperialismus, im ersten Weltkrieg, vor allem aber in den verschiedenen
Phasen der Entwicklung der Weimarer Republik am
regionalgeschichtlichen Beispiel Mannheims zu beschreiben und zu
erfassen, und es ist ihm dabei gelungen, am allerdings aufschlußreichen
regionalgeschichtlichen Paradigma grundlegende, den gesamten
deutschen Protestantismus berührende Sachverhalte aufzudecken.'

Wahrscheinlich mußte eine regionalgeschichtlichc Fallstudie
geschrieben werden, um das politisch-ethisch wie kirchen- und profangeschichtlich
komplizierte Verhältnis von Protestantismus und
Arbeiterbewegung in seinen nach vorn führenden wie in seinen retrograden
Erscheinungsformen, in seinen von Kontinuität wie Diskontinuität
charakterisierten Entwicklungsetappen aufdecken und das leisten
zu können, was Walter Bredcndiek vor zehn Jahren tür die
Kirchengeschichtsschreibung der letzten 150 Jahre gefordert hatte:
einen „Gesamtaufriß" vorzunehmen, der berücksichtigt, „in welchem
sozialhistorischen Rahmen sich die Theologie- und Kirchengeschichte
entwickelte, welche Funktion der deutsche Protestantismus
nach Selbst- und Fremdverständnis im allgemeinen Prozeß der gesellschaftlichen
Entwicklung besaß, wie die beiden Klassenlinien der
politischen und Sozialgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts auf die
Kirchengeschichte einwirkten".2

Mannheim erwies sich hierbei gleichsam als der einzig mögliche
sozialgeschichtliche Ort, an dem tatsächlich alle Reaktionen im
deutschen Protestantismus auf die Arbeiterbewegung dargestellt werden
konnten, war doch Mannheim das Arbeitsfeld einerseits von Pfarrer
Dr. Ernst Lehmann, der in über 40 Jahren aktiver kirchlicher und
gesellschaftlicher Tätigkeit den „Weg von Naumann zu den religiösen
Sozialisten" (S. 33ff, 87ff, 157ff) gegangen war und dabei alle relevanten
Stationen sozialen Engagements durchschritten hatte, ohne die
damals mögliche letzte Konsequenz aus der religiös-sozialistischen
Position zu ziehen, die so nur ein anderer Pfarrer ebenfalls in Mannheim
, nämlich Erwin Eckert, gezogen hatte, die Konsequenz. (1931)
in die KPD einzutreten (S. 151).

Wenn man. hieran anschließend. Lorenz in seinen Analysen der
kirchlichen Entwicklung in Mannheim bzw. in Baden in der Zeit der
Weimarer Republik folgt, wird man einerseits damit konfrontiert, wie