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Ausgabe:

1988

Spalte:

902-903

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Franz von Assisi und die Armutsbewegung seiner Zeit und Auswirkungen von Luthers Thesen bis zum Augsburger Religionsfrieden und Kardinal Klesl 1988

Rezensent:

Haendler, Gert

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Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 12

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Heranziehung der vormakinischen Tradition, des matthäischen und
lukanischen Sondergutes eine ausreichende Grundlage für die Rekonstruktion
der Ethik der nachösterlichen Jesusgemeinden bereitstellen
kann. Überbewertet scheint mir auch der Faktor „Gnosis" zu sein,
sowohl als Hintergrund der paulinischen Mission wie auch des Johannesevangeliums
, zumal die Behauptung einer ,.Grundschrirl" des
vierten Evangeliums zusätzliche Probleme aufwirft. Wichtiger sind
die Urteile, welche die neutestamentliche „Ethik" inhaltlich bestimmen
(wobei selbstverständlich vorauszusetzen ist, daß es sich nicht
um eine „Ethik" im systematischen oder philosophischen Sinn handelt
). Zweifellos verdient der Vf. Zustimmung, wenn er die Frage, ob
die Verkündigung des historischen Jesus weisheitlich oder apokalyptisch
ausgerichtet gewesen sei. mit einem „Sowohl-Als-auch" beantwortet
. Fragen mag man, ob die Unterscheidung zwischen dem
(mosaischen) Kultgesetz und dem Moralgesetz immer zutreffend ist;
nähcrliegen dürfte die Unterscheidung zwischen Zeremonial- und
Sittengesetz, nicht nur im antipharisäischen Kontext, sondern insbesondere
im Einflußbereich des Hellenismus. - Ein besonderes
Kennzeichen dieses Werkes ist, daß der Vf. ständig die Entgegensetzung
von „Indikativ und Imperativ" zur Diskussion stellt. Klingt hier
das lutherische Gegenüber von „Gesetz und Evangelium" an. so ist zu
fragen, ob solche Perspektive dem Anliegen des Textes immer gerecht
wird. Dies gilt insbesondere für die Darstellung der Verkündigung
Jesu, zu der der Vf. selbst zugesteht, daß Jesus „niemals über das
Verhältnis von Imperativ und Indikativ reflektiert" und „die Heilszusage
die Gesetzesforderung" nirgendwo problcmatisiert habe
(S. 82). In diesem Zusammenhang wird das Problem der „Erfüllbarkeit
" der Gesetzesforderungen m. E. überakzentuiert. (Wo im Text ist
expressis verbis gesagt: Jesus „schenkt auch die Kraft zum verstehenden
Gehorsam und Tun"?) Doch sollte zugestanden werden, daß mit
Hille der Frage nach der rechten Zuordnung von Indikativ und Imperativ
der nachpaulinische Charakter der Deuteropaulinen wie auch
des johanneischen Schrifttums verdeutlicht werden kann. Dabei
kennzeichnet die provozierende Formulierung: „Der Imperativ wird
von Johannes nicht in dem Indikativ integriert, sondern behält seine
volle Bedeutung, so daß wie in allen übrigen johanneischen Schriften
die Ethik zum zweiten konstitutiven Teil der Erlösung wird" (S. 543).
jedenfalls unüberhörbar die vorliegende Problematik. Der Vf. hat mit
dieser seine Darstellung durchziehenden Fragestellung einen wichtigen
Akzent des lutherischen „Was Christum treibet" aufgenommen
und zwingt hierdurch den Leser zu ständiger Auseinandersetzung.
Dies gilt nicht zuletzt Für die hermeneutische Zielsetzung, die im
Vorwort mit den Worten umschrieben wird: ,;Sachc einer neutesta-
mentlichen Ethik ist es, die Ermöglichung und Begründung urchristlichen
Handelns zu erfragen wie darzulegen, um dieses Potential für
die Übersetzung in unseren Gegenwartshorizont bereitzustellen"
(S. 5). In vorbildlicher Weise sind in diesem Werk grundlegende Voraussetzungen
für die „Übersetzung in unseren Gegenwartshorizont"
bereitgestellt. Allerdings ist diese selbst nicht durchgeführt worden.
Man wünscht sich ein abschließendes Kapitel, in dem der Vf. darlegt,
wie er sich die Übertragung in die Gegenwart vorstellt.

Schon im Jahr 1954 erschien als Band 6 des „Handbuches der
Moraltheologie" die Gesamtdarstellung von Rudolf Schnuckenhwx-
der - wie K. T. Schäfer feststellte - „auf katholischer Seite nichts
annähernd Gleichwertiges gegenübergestellt" werden kann (BZ 14,
1963. 88). Es handelt sich um ein sorgfältig geschriebenes Werk, das
1962 in einer erweiterten Fassung vorgelegt wurde und nun für die
dritte Auflage nochmals überarbeitet worden ist. wobei die neuere,
auch ausländische Literatur im gegebenen Rahmen Berücksichtigung
gefunden hat. Ausgangspunkt des Vf. ist, daß eine neutestamentliche
Ethik weder .autonom' noch .theonom' zu begründen sei. vielmehr
autonome Ethik und Glaubensmoral sich gegenseitig durchdringen
(S. 20). Deshalb ist es sinnvoll, daß die christliche Moral sich auf Jesus
und Urkirche besinnt, um zugleich der .rationellen Ethik' begegnen zu
können (S. 22); dabei ist das Proprium der christlichen Moral mit der
Person Jesu Christi gegeben (S. 23 f).

Die sittliche Botschaft des Neuen Testaments gründet sich auf Jesu
Ankündigung der Gottesherrschaft und auf den daraus resultierenden
Ruf zur Nachfolge (Erster Teil: „Die sittlichen Forderungen Jesu").
Weil die Gottesherrschaft mit Jesus zum Durchbruch kommt, kann
der Prophet aus Nazareth den Anspruch erheben, den Willen Gottes
rein und absolut zu verkündigen (S. 76). So geschieht es nicht zuletzt
im Gebot der Liebe gegenüber Gott und den Nächsten und wird in den
verschiedenen Traditionsschichten der Bergpredigt spürbar
(S. 88ff.98ff). Jesu Botschaft klammert den gesellschaftlichen Bereich
nicht aus. So legt es der Vf. im einzelnen an der synoptischen Überlieferung
über Jesu Stellung zu Macht und Staat. Arbeit, Reichtum und
Armut, Frau, Ehe und Familie dar (S. 125 IT).

Der zweite Großabschnitt („Die Urkirche vor den sittlichen Forderungen
Jesu") setzt mit der „neuen Situation" der Jüngergemeinde
nach Kreuz und Auferstehung Jesu ein (S( I59ff). Hierbei werden
auch die entscheidenden theologischen Faktoren (Erfahrung des
Geistwirkens, die formende Kraft der Gemeinschaft, die Erwartung
der Parusie) dargestellt. In den ethischen Entscheidungen spielt die
Auseinandersetzung mit der Gesetzesfrage - auch unter dem Einfluß
der Paulusschule - eine wichtige Rolle, nicht zuletzt wirkt sich die
Entscheidung der Gemeinde zur Nachfolge in Besitz- und Herrschaftsverzicht
, Leidensbereitschaft und Askese aus (S. 188ff). Darüber
hinaus zeigt sich, daß das Leben der Urkirche entsprechend den
veränderten geschichtlichen Situationen auch zu unterschiedlichen
ethischen Stellungnahmen geführt hat (S. 225ff). In diesem mehr
historisch angelegten Abschnitt werden auch die ethischen Aussagen
der späteren Schriften des Neuen Testaments (Apg, Paulusbriefe. Apk
u. a.) ausgewertet. Leider ist der angekündigte zweite Band dieser völligen
Neubearbeitung noch nicht erschienen. Er wird einen dritten
Großabschnitt bringen. Hier wird sich der Vf. der Sittenlehre der
Urkirche nach einzelnen hervorragenden Verkündigern zuwenden
und die Eigenart der ethischen Forderungen besonders im paulinischen
und johanneischen Schrifttum nachzeichnen. - Ein übersichtlich
geschriebenes, gut lesbares Buch, das kritischen Fragen nicht
ausweicht, auch wenn der Akzent auf die Kontinuität der ethischen
Entscheidungen der Urkirche mit der Gottesreichprcdigt Jesu bewußt
gelegt worden ist. Ein Kennzeichen dieses exegetischen Werkes ist,
daß der Vf. nicht zögert, Verbindungslinien zwischen der neutesta-
mentlichen Zeit und der christlichen Gegenwart zu ziehen und die
heutigen Aufgaben der Kirche konkret zu benennen.

Göttingen Georg Strecker

Kirchengeschichte: Allgemeines

|Franz von Assisi:| Franz von Assisi und die ArmutsbewegunK seiner
Zeit. Auswirkungen von Luthers Thesen bis zum Augsburger Religionsfrieden
und Kardinal Klesl. Symposien der Internationalen
Kommission Für Vergleichende Kirchengeschichte - Subkommis-
sion Österreich. Wien: Dom Verlag 1987. 96 S. gr. 8' = Veröffentlichungen
des Inst. f. Kirchengeschichte an der kath.-theol. Fakultät
und des Inst. f. Kirchcngeschichte. christl. Archäologie und
kirchl. Kunst an der evang.-theol. Fakultät der Univ. Wien in Zusammenarb
, mit der Intern. Komm. f. Vergleichende Kirchenge -
schichte-Subkommission Österreich. NF 1.

Abgesehen von dem überlangen Buchtitel, ist der vorgelegte Band
zu begrüßen. Das Vorwort verweist auf die „Tatsache einer verstärkten
ökumenischen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Kirchcngeschichte
an beiden theologischen Fakultäten der Universität Wien",
aus der sich „nahezu natürlich der Gedanke einer gemeinsamen
Publikationsreihe ergab" (7). - Kurt-Victor Selge beleuchtet „Die religiösen
Laienbewegungen des 12. Jahrhunderts, insbesondere die Wal-
denser. als Hintergrund und Voraussetzung der franziskanischen Bewegung
". Es gibt viele Gemeinsamkeiten, doch der „prinzipielle
Eigentumsverzicht als Rechtsverzicht" war es. „der der Armutsbcwe-