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Ausgabe:

1988

Spalte:

897-899

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Lohfink, Gerhard

Titel/Untertitel:

Wem gilt die Bergpredigt? 1988

Rezensent:

Lohse, Eduard

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Theologische Literaturzeitung I 13. Jahrgang 1988 Nr. 12

898

(127 vgl. 128 «eette grande synthese doctrinale»), ohne daß das vorher
deutlich geworden wäre und somit aufgesetzt erscheint. Die Wertung
der Thess als «embryonal» erscheint ebensowenig überzeugend und
nur dadurch-erreicht zu sein, daß der methodische Aspekt der
Komplementarität ergänzender Elemente innerhalb der Wortfelder,
wie er sonst öfter m. R. in Anschlag gebracht wurde (etwa 88f). hier
keine Anwendung fand.

Davon abgehoben werden die Aussagen über den Geist als Gabe in
den Relationen sozialer (134-150: Charismen I Kor 12-14). individueller
(150-167: Meilserkenntnis und Ethik) und direkter Beziehung
zu Gott (167-177); «l'experience eommunautOtrede l'Esprit precedc
et fonde l'experience personelle. . . Elle exige une nonvelle aUiance,
qui etablira une communication immediale avee Dien et entre les
hommcs»( 178).

In dieser Unterscheidung der beiden ersten Kap. ist die Hauptthese
des Buches angelegt: «Paul utilisait un double langage pour parier de
l'Esprit: im laogage de typecausaliste, qui fait de l'Esprit un moyende
salut. et un langagc de type ohjeetif. qui considere l'Esprit comme
lohn mime du sahn, le dort divin par excellence» (181). wobei die
Qualifikation des Geistes durch den Auferweckten sich nur im ersten
Bereich fände, während die Gabe-Aussagen auf den .Geist' beschränkt
seien. Dieses Differcnzmodell beruht aber auf der unzutreffenden
Distinktion. «Paul n'applique au Christ le langage de don Interieur»
(130-vgl. dgg. Gal 2.20). und auf einem Mangel an textlinguistischer
Semantik, der unter Verzicht auf makrotextuelle Strukturanalogien
zu sehreiner bloßen Lexemsemantik verhaftet bleibt.

Dies ist allerdings die Folge der zugrunde liegenden Absicht, im
4. Kap. eine schulmäßige Applikation der Schemata der .Semiotik'
von A. J. Greimas auf den StolTzu übertragen (189-234). Nun gibt
Grcimas aber ein reines Paradigma (und also mehr eine Mcta-Scmio-
tik), die in dieser Weise (als spezielle .Methode') verwendet (statt
kritisch integrierend) in ihrem Rcduktivismus (allein auf das logische
Quadrat, das nicht allmächtig ist) zu falschen Deduktionen führt (vgl.
ThLZ109. 1984. 670f; 110. 1985. 735f; 112. 1987. 210- So kann
man nicht den Vorwurf entkräften, daß nur die aufwendigen Terminologien
neu seien, die einen homöopathischen Umgang mit Fragestellungen
und die verschwenderische Wiederholung von Bekanntem
kaschieren.

Die Aktanten Greimas' haben ja einen ..metasprachlichen Status"
(Strukturalc Semantik, 1971, 159), und sein Aktanten-Modell ist als
„Extrapolation der syntaktischen Struktur" naturgemäß „nicht vollständig
", sondern rein opcrational. ohne sich dem „Problem dieser
oder jener Aktantendistribution zu stellen" (ebd. 1700. Sie leisten
darum nicht das. wofür sie hier eingespannt sind. «I'esprit comme
personage divin» (Kap. 4) zu erweisen. Das Problem liegt in der
Homogenisierung im Verlauf der Transformationen, die meist nicht
homogen (also nach dem gleichen Parameter) vorgenommen
wurden.

So führt auch die analoge Analyse der Gottes-Aussagen des Paulus
mit dem Ziel «I'esprit dans le mystere intime de Dieu» zu erweisen
(235-284). nicht weiter, sondern dient nur einer Selbstbestätigung des
eingeschlagenen Weges. Dabei handelt es sich um eine falsche Instrumentalisierung
der Meta-Semiotik Greimas'. Ich bin gewiß, daß der
beanspruchte Meister einer solchen Verwendungsweise kaum zustimmen
könnte. Auf diese Weise zu trinitarischen Resultaten zu gelangen
, dürfte nicht beweiskräftig sein, weil dabei primär das unpauli-
nische und faktisch platonisierende Konzept einer Selbst-Offenbarung
Gottes (245-247) federführend bleibt (unter fehlender Berücksichtigung
der grundlegenden Einsichten, die D. Lührmann. Das
OfTenbarungsverständnisbei Paulus, 1965, vermittelt hat).

Eppstein Wolfgang Schenk

Lohfink. Gerhard: Wem gilt die Bergpredigt? Beiträge zu einer christlichen
Ethik. Freiburg-Bascl-Wien: Herder 1988. 238 S. 8*. Pb.
DM 28.-.

Mehrere Studien, die der Vf. in den letzten Jahren an verschiedenen
Stellen zur Bergpredigt veröffentlicht hat. sind in diesem Band zusammengefaßt
und durch leichte Überarbeitung so aufeinander abgestimmt
worden, daß sich eine relativ geschlossene Auslegung der
Kapitel Mt 5-7 ergibt. Zwar sind auf Grund der unterschiedlichen
Entstehungsgeschichte der Kapitel einige Wiederholungen stehengeblieben
. Diese aber unterstreichen um so nachdrücklicher die
ebenso entschiedene wie engagierte Antwort, die auf die Frage gegeben
wird, an welchen Adressaten die Bergpredigt gerichtet ist: „Als
Adressat der Bergpredigt muß das Volk Gottes gesehen werden, das
durch die endzeitliche Tora-Auslegung Jesu zur Jüngergemeinde
geformt werden soll" (S. 38). bzw. „Die Bergpredigt richtet sich an die
Kirche, oder vorsichtiger: In den Jüngern, die bei der Bergpredigt um
Jesu versammelt sind, wird die spätere Kirche im voraus abgebildet."
(S. 36)

Mit dieser These, die sowohl im Blick auf die vom Evangelisten
gestaltete Rahmung der Bergpredigt wie auch durch Interpretation
einzelner Abschnitte näher begründet wird, setzt sich der Vf. von zwei
v erbreiteten, einander jedoch entgegengesetzten Auffassungen deutlich
ab. Wird auf der einen Seite der Anspruch erhoben, unter Berufung
auf die Bergpredigt gegenwärtig anstehende politische Probleme
zu entscheiden, und auf der anderen Seite erklärt, mit der Bergpredigt
lasse sich keine Politik machen und ihre Botschaft sei allein an den
einzelnen gerichtet, um sein Gewissen zu schärfen, so vertritt der Vf.
demgegenüber die Überzeugung, daß das Ethos der Bergpredigt weder
nur dem isolierten einzelnen gilt noch politisch verordnet werden
kann, sondern das Ethos für das Gottesvolk formuliert, „das sich
aufgrund der Predigt vom Gottesreich sammeln läßt" (S. 53). Seinem
Inhalt nach ist das Ethos nicht auf eine nova lex bezogen, sondern
„wie die Tora vom Sinai einst Israel als Gesellschaft konstituiert hat.
konstituiert die durch den hermeneutischen Schlüssel der Bergpredigt
cschatologisch interpretierte Sinai-Tora das neutestamentliche Gottesvolk
als Gesellschaft" (S. I 18).

Den Grundgedanken, die der Vf. sowohl mit exegetischer Sorgfalt
wie auch mit Überzeugungskraft vorträgt, wird der Leser mit Aufmerksamkeit
folgen und sich von ihnen beeindrucken lassen. Doch
gerade weil das immer wieder ausgesprochene Leitmotiv eindrucksvoll
hervortritt, bedarf es einer prüfenden Besinnung, die da/u führt,
einige Fragen zu stellen, die weiterer Überlegung bedürfen. Denn es
muß bedacht werden, ob als Adressat der Bergpredigt wirklich ausschließlich
das in die Nachfolge gerufene Gottesvolk gelten kann oder
ob nicht an vielen Stellen eben doch der einzelne angeredet und zur
Nachfolge eingeladen wird. In den Logicn und Spruchreihen wechseln
Plural und Singular miteinander. Dieser Wechsel aber zeigt an, daß
die Entscheidung, in die Nachfolge einzutreten, immer als Antwort
tles einzelnen getroffen werden muß. mit der er dann in die Gemeinschaft
derer eintritt, die Jesu Wort hören und tun. Indem er sich zur
Umkehr gerufen weiß, wird ihm bewußt, daß er die neue Gerechtigkeit
niemals durch sein Tun verdienen, sondern nur als gnädiges
Geschenk empfangen kann. Wird ihm zugemutet, angesichts ihn treffender
Herausforderung notfalls auch den Mantel herzugeben, so wird
er aufgefordert, ohne jede Sicherung gehorsam zu sein - auch ohne die
Rückendeckung durch eine Gemeinde, in der ihm dann ein anderer,
der zwei Mäntel hat. seinen überflüssigen Mantel geben wird (gegen
S. 57).

Kurzum, mit dem Vf. wäre das Gespräch über die von ihm aus dem
Mt herausgelesene Ekklcsiologie aufzunehmen mit der Frage, ob er
nicht mit zu rasch und vor allem mit zu stark gezeichneten Strichen
von der zu Recht betonten Ethik der Nachfolge zu einer Lehre von der
Kirche kommt, in deren Raum allein das Ethos der Bergpredigt wirklich
gelebt werden könne. Die von einer solchen Gemeinde bzw.
Kirche ausgehende Faszination soll dann zur Folge haben, daß eine
die Gesellschaft verändernde Wirkung in die Welt ausgeht. Zweifellos
cm faszinierender Gedanke - aber gerät dabei nicht allzuleicht aus
dem Blick, daß auch die Glieder dieser Gemeinde angefochtene, fehlsame
und nicht selten durch Bedrängnis geängstigte Sünder sind und