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Ausgabe:

1988

Spalte:

68-70

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Bromme, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Religiöse Symbolik jugendlicher Identität 1988

Rezensent:

Haustein, Manfred

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Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 1

68

sich rasch wandelnden Bedingungen der Gegenwart. Das herkömmliche
Verständnis der Katechetik als „Didaktik und Methodik des
kirchlichen Unterrichts für das unterrichtsbedürftige Kind" hält Otto
nicht nur deswegen für unbrauchbar, weil es weitestgehend für einen
Unterricht stand, der den „Glauben" als fides quae ohne eine genügende
Ernstnahme des Kind-Seins des Kindes deduktiv zu vermitteln
versuchte, sondern auch deshalb, weil es weite Bereiche pädagogisch
und theologisch zu verantwortender Arbeit in Kirche und Gesellschaft
rundweg übersah. Zu denken ist an Predigt und Seelsorge
ebenso wie an Jugendarbeit und Erwachsenenbildung.

Dagegen setzt Otto nach einem kritischen Referat neuerer Versuche
, den Begriffsgebrauch von Katechetik und Religionspädagogik
zu präzisieren (Kittel, Schilling, Nipkow, Esser und Bastian), sein
Verständnis von Religionspädagogik als „kritische Theorie jener religiös
vermittelten und religiös fundierten Verhaltensweisen, die im
Zusammenhang von Erziehung und Unterricht die Lebenspraxis von
Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen in verschiedensten Bereichen
der Gesellschaft - ... - in Geschichte und Gegenwart bestimmen
" (510- Dieses neue Verständnis pädagogisch und theologisch
reflektierter Theorie von Praxis unterscheidet zwar zwischen kirchlicher
Katechese und weitergreifender religiöser Erzjehung, stellt aber
beide Bereiche in einen gemeinsamen Rahmen, weil es hier und da
nur unter Beachtung einer unhierarchischen Disziplinen- und Metho-
denvielfait sinnvolle Arbeit gibt.

Das 3. Kapitel überschreibt Otto mit „Die bleibende Bedeutung der
hermeneutischen Frage". Die Quintessenz dieses wichtigen Teils mit
der Mainzer Antrittsvorlesung Ottos aus dem Jahre 1963 und einem
das Problem bis in unsere Zeit weiterschreibenden noch unveröffentlichten
Beitrag „Noch immer RU als hermeneutische Aufgabe?" ist
die Feststellung, daß Didaktik und Hermeneutik unlösbar zusammengehören
, und das nicht nur im Religionsunterricht, sondern in jedem
Fach, vor allem auch im heutigen sog. Alternativfach „Ethik".

In der genannten Antrittsvorlesung versucht Otto die Hermeneutik,
wie sie R. Bultmann, E. Fuchs und G. Ebeling in den fünfziger Jahren
für die Theologie entwickelt hatten, für die religionspädagogische
Arbeit fruchtbar zu machen. Der Religionsunterricht sollte nicht
mehr nur Lernort für feststehende Inhalte sein, sondern „Sprachschule
" und „Sprachweg" mit verschiedenen Phasen zwischen einer
ersten Naivität des Grundschülers und kritisch-nachfragender Lektüre
des Jugendlichen, dem nicht entgangen ist, daß es verschiedene
Beziehungen zwischen Sprache und Wirklichkeit gibt, nicht nur die
zwischen Tatsache und „objektivem" Bericht. Wie immer, Ziel der
von Otto intendierten unterrichtlichen Arbeit ist die Entdeckung
einer Verbindlichkeit z. B. auch antiker biblischer Sprache als Anspruch
an die Realität heutigen Lebens.

Im bisher noch nicht publizierten Beitrag zeichnet Otto kenntnisreich
das Werden des sog. hermeneutischen Unterrichts nach. R. Bultmann
und E. Weniger sieht er als die Väter des Unternehmens,
M. Stallmann und H. Stock als die ersten Verwirklicher. Das Urteil
des Vf., daß das in den letzten Jahren von niemand mehr angemessen
gesagt worden sei, und die in diesem Zusammenhang begegnende
etwas krampfhafte Ironie im Blick auf verschiedene Arbeiten des Rez.
leiden darunter, daß die Hauptarbeiten, in denen ich das anstehende
Problem thematisiert habe, schlicht übersehen werden (Der biblische
Unterricht zwischen Theologie und Didaktik, 1965, und meine Lüneburger
Antrittsvorlesung aus dem Jahre 1962, die erstmals 1963 in der
ZfPäd auf den S. 387-401 abgedruckt worden ist). Aber sei's drum!
Wichtig ist es auf jeden Fall, die jüngste Geschichte unserer Disziplin
gewissenhaft nachzuzeichnen und, wie das O. versucht, die Dinge
weiterzuentwickeln, z. B. auch weg von der individualistischen Engführung
Bultmannscher Hermeneutik. Das versucht O. unter Verweis
auf die politische Theologie D. Sölles und auch mit eigenen Argumenten
sowie unter Verweis auf neuere Arbeiten von P. Biehl.

Im 4. Kapitel, Otto hält es für das Ziel seines Denkwegs, kämpft er
für eine Überwindung konfessioneller Verengung des RUs. Dabei
knüpft er im ersten Beitrag, einem Gutachten für den nicht bekenntnisgebundenen
RU in den Schulen der Hansestadt Bremen, an Gedanken
von A. Diesterweg und C. Weiß aus dem 19. Jh. an. Ausdrücklich
warnt O. vor dem Mißverständnis eines überkonfessionellen RUs und
optiert wenigstens 1972 noch für einen bi-konfessionellen christlichen
Unterricht. Das ändert sich im 2. Beitrag „Konfessioneller oder allgemeiner
RU" aus dem Jahre 1974, in dem O. jetzt unverkennbar für
einen allgemeinen RU eintritt, der die religiöse Thematik überhaupt
kritisch bearbeitet, „der allen Schülern gerecht wird, der der Aufgabe
der Schule entspricht und der unserer geistigen, kulturellen, politischen
und religiösen Situation gemäß ist" (100),

Einem solchen Unterricht stehen neben christlichen Elementen die
Vielfalt anderer religiöser Elemente anheim, „die in verschiedenartigsten
Materialien, in Dichtung oder Philosophie, in gesellschaftlichen
Problemen oder in individuellen Lebensorientierungen auffindbar
sind" (101). Hier haben wir es mit einem RU zu tun, der es trotz aller
geforderten „Sachlichkeit" schwer haben wird, sich dem Vorwurf der
„dritten Konfession", einer Schulreligion nämlich, zu erwehren.

Der letzte Beitrag des Kapitels, den O. gemeinsam mit Ursula Baltz
verfaßt hat, versucht Perspektiven für einen RU von morgen aufzuzeigen
, der im Ganzen das Bewußtsein dafür wachhält, „daß der
Mensch mehr ist, als er von sich weiß, und daß er in allem, was er von
sich wissen kann, dennoch nicht aufgeht". Mit diesem Dictum
D. Rösslers sehen O. und Frau Baltz die Funktion eines angemessenen
RUs von morgen zutreffend beschrieben. So weit, so gut, doch bleibt
dem auch geneigten Leser die Frage, ob hier ein zutreffendes Bild von
Schule, wie sie sich heute versteht, im Hintergrund steht, oder ob hier
nicht nach wie vor ein von der geisteswissenschaftlichen Pädagogik
geprägtes Bild mitgedacht wird, das heutiger Wirklichkeit rundweg
nicht mehr entspricht. Und meinen die Vff. etwa, daß ein so „schöner
" Unterricht ohne kirchlichen Succurs und ohne rechtliche Absicherungen
ein Jahrzehnt überstehen könnte? Und was für Lehrer
sind da vorgestellt? Offensichtlich Pädagogen, die immer schon die
Möglichkeit haben, sich von sich selbst und ihrem Bekenntnis zu
distanzieren, daß dann wirklich nur die Sache spricht, um die es geht.
Diese Ubermenschen müssen erst noch erfunden werden, abgesehen
davon, daß unsere Ausbildung, die ja O. seit 25 Jahren mitträgt, für
einen solchen Unterricht kaum vorbereiten kann.

Den Schluß des Buches bilden ausgezeichnete Erwägungen zu einer
Theorie des Erzählens im Religionsunterricht, in denen Frau Baltz
und G. Otto gemeinsam darüber nachdenken, was Erzählen sein
könnte, das mehr ist als Reproduktion von Bibeltexten, nämlich
„Weitererzählen" unter Einbezug des Verstehen-Könnens der
Adressaten. „Poetische Didaktik" heißt das Stichwort. Ob ein solches
„Erzählen" in einem „allgemeinen Unterricht" vorstellbar wäre?

Ein interessantes Büchlein, das zur Zustimmung und zum Widerspruch
provoziert, und ein notwendiges Büchlein, dem der Rez. kritische
Leser wünscht.

Bern Klaus Wegenast

Bromme, Wolfgang: Religiöse Symbolik jugendlicher Identität. Zur

Synthese pietistischer Frömmigkeit und empirischer Entwicklungspsychologie
in der evangelischen Jugendarbeit. Frankfurt/M. -
Bern - New York: Lang 1986. 163 S. 8" = Studia Irenica, 31. Kart.
sfr37.-.

Vf. zielt mit seiner Veröffentlichung aur die Uberwindung der
Alternative („Unsinn der Alternative" S. 55) zwischen „missionarischer
" und „emanzipatorischer" Jugendarbeit, wie sie in der sog.
„Polarisierungsdebatte" zum Ausdruck kam. Diese Polarisierung
betrifft keineswegs lediglich die evangelische Jugendarbeit in der
BRD, sondern zeichnet sich unbeschadet bestimmter Unterschiede
auch in der Jugendarbeit der evangelischen Kirchen in der DDR deutlich
ab. „Missionarisch" bezeichnet die „Jugendarbeit in pietistischer
Tradition" (S. 22). „Emanzipatorisch" steht für eine stark sozial-
diakonisch orientierte und humanwissenschaftlich-aufklärerisch be-