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Ausgabe:

1988

Spalte:

893-895

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Reiser, Marius

Titel/Untertitel:

Syntax und Stil des Markusevangeliums im Licht der hellenistischen Volksliteratur 1988

Rezensent:

Pokorný, Petr

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Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 12

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den Schriften des zweiten Bandes. Die religiöse Entscheidung, die
Rosenzweig traf - er sah von der schon geplanten Taufe ab und lebte
neu aus jüdischem Glauben -gibt allen Schriften über Bibeljüdisches
Lernen, Glauben und Denken existentielle Dringlichkeit. Der christliche
Theologe, der Rosenzweigs (und Bubers) Ich-Du-Denken und
Sprachverständnis kennt und den Impuls beschreiben kann, der von
da auf die christliche Theologie ausging, sieht nun, mit welcher Selbstverständlichkeit
im Lehrhaus und in der Studierstube des Juden das
Gespräch mit der Theologie, der Bibelkritik zumal, gepflegt wurde.
Das ist eine wichtige Erhellung der geistigen Situation nach dem
I.Weltkrieg. Wieder sehen wir, wie unser Autor sich Gedanken
macht über jüdischen Religionsunterricht. Entwürfe zu Vorlesungen,
von einer Vorlesung dann auch eine Mitschrift einer Hörerin, geben
ein Bild von einem geistig-geistlichen Bemühen, das Wort der Offenbarung
lesen zu lehren. Geschichte des Judentums, innerjüdische
Probleme zwischen Liberalismus und Zionismus, das sind Themen
von Aufsätzen und Vorträgen. „Anleitung zum jüdischen Denken"-
dieser Titel (die Anm. S. XX muß auf S. 597 verweisen) ist Programm
für alle Arbeiten dieses Bandes.

Aus dem Jahre 1923 ist die Rezension eines Predigtbandes eines
Rabbiners wieder vorgelegt. Sie ist von einem betroffenen, ja entsetzten
Leser geschrieben, könnte mit Stillschweigen übergangen werden,
zumal Prediger wie damaliger Rezensent längst das Zeitliche gesegnet
haben. Aber die Situation eines Rabbiners damals wird in ihren Gefahren
beleuchtet. „Predigen ist nicht Sprechen. Es fehlt der andre, der
Mitunterredner. Es fehlt infolgedessen die Veranlaßtheit und Unmittelbarkeit
des Worts. Und infolge davon fehlt dem Predigenden leicht
der Maßstab der Tonstärke... Der Prediger tut so, als ob man ihn
gefragt hätte. Aber es hat ihn niemand gefragt. Und so wird auch von
inhaltswegen alles, was er sagt, hohl." (674) Rosenzweig differenziert,
er unterscheidet Peinliches und Sinnvolles, empfindet Grauen beim
abschließenden Gebet, das ein warmes Lob des Buches sei (R. spricht
von einem „gebeteten Waschzettel", 676). Der nichtjüdische Prediger
, auch wenn er das rezensierte Buch gar nicht kennt, schüttelt nicht
leicht von sich ab, was Rosenzweig als Versuchung des hilflosen,
einsamen Predigers charakterisiert.

Die Aufsätze über das Hebräische, über Luther und die Bibel, über
den Einfluß der hebräischen Bibel auf Goethes Sprache sind mehr als
Zeitdokumente. Selbst die Besprechung einer Spinoza-Übersetzung
ins Hebräische zeigt dem Leser, der jene Übersetzung vermutlich nie
lesen wird. Wichtiges an der hebräischen Sprache.

Natürlich setzen sich mehrere Aufsätze mit Kritiken an der Bibel-
Übertragung von Buber und Rosenzweig auseinander. Wenn nach
dem zweiten Weltkrieg eine jüdische Stimme feststellte, die von Buber
fertiggestellte Bibel-Übertragung habe nun, nach diesem Krieg, keine
jüdischen Leser mehr, sie bleibe aber ein starker Impuls für den
Deutschsprachigen, gut Hebräisch zu lernen, so bliebe dieser dringliche
Verweis auf die Muttersprache der Theologie letztlich Rosenzweig
verdankt. Ein Aufsatz über den Gottesnamen macht darauf
aufmerksam, daß der „Gebrauch von .Jahwe' im Deutschen, wo es
doch ohne alle Beziehung als ein nackter, sinnloser Name dasteht",
eine „Degradierung des Gottesnamens zu einem Götzennamen" ist
(813).

Wie die wissenschaftliche Verpflichtung, möglichst viel aus dem
Nachlaß zu veröffentlichen, weil es Persönlichkeit und Zeit erhellt,
einen größeren Leserkreis abhalten wird, zu diesem Buch zu greifen,
war schon angedeutet worden. Wer es studiert, ist dem Autor und den
Hgg. dankbar.

Rostock Peter Heidrich

Neues Testament

Reiser, Marius: Syntax und Stil des Markusevangeliums im Licht der
hellenistischen Volksliteratur. Tübingen. Mohr 1984. XIV, 217 S.
gr. 8" = WUNT,2. R„ 11. Kart. DM 56,-.

Die literarische Einschätzung des Markusevangeliums hängt eng
mit seiner theologischen Beurteilung zusammen. Und die literarische
Einordnung seiner Sprache gehört unteilbar zu der literarischen
Analyse. In diesem Zusammenhang ist die Monographie von R. (Dissertation
an der katholisch-theologischen Fakultät in Tübingen) zu
lesen. Methodisch arbeitet er nur philologisch, aber seine Arbeit hat
bedeutende theologische Konsequenzen.

R. fängt (Kap. I) mit der Übersicht früherer Urteile über die Sprachebene
des Markusevangeliums an, die mit der Diskussion über die
Aramaismen verbunden waren. Die früher überwiegende und heute
noch oft vertretene Anschauung ist, daß Markus ein „Judengriechisch
" schreibt, das von semitischen Wendungen durchsetzt ist (so
noch z. B. M. Black oder N. Turner). A. Deißmann und J. H. Moul-
ton, die erkannten, wie tief die Sprache der Evangelien in der damaligen
griechischen Volkssprache verankert ist, fanden in der neueren
Forschung keinen Widerhall. R. untersucht kritisch die methodischen
Grundsätze der älteren Monographien zur Sprache des Markusevangeliums
und stellt fest, daß sie einseitig auf dem Vergleich mit der
semitischen Syntax aufgebaut waren und daß ihre Autoren recht
wenig mit der nichtbiblischen Literatur in Koinc gearbeitet haben. R.
bestreitet nicht, daß es im Markusevangelium Semitismen gibt (die
lexikalischen Aramaismen hat unlängst H.-P. Rüger in: H. Cancik
[Hg.], Markus-Philologie, Tübingen 1984, untersucht), er meint
jedoch, daß die syntaktischen Semitismen nicht so zahlreich sind, wie
man meint, und daß sich die Sprache des ältesten Evangeliums nicht
grundsätzlich von der der literarischen Werke ähnlicher Gattung im
Rahmen der Koine unterscheidet.

Der Vergleich mit den griechischen Werken ähnlicher Gattung und
ähnlicher Sprachebene ist nach R. eine der Voraussetzungen methodisch
korrekter Untersuchung des Problems. Die vergleichbaren griechischen
Texte (z. B. Xenophon, griechischer Roman) sind in Auszügen
hinzugefügt (Anhang). Ihre Zugehörigkeit zu einer ähnlichen
Gattung hat R. in seinem Beitrag in dem obengenannten Sammelband
Markus-Philologie begründet.

Die zweite Voraussetzung für eine richtige literarische Einordnung
des Markusevangeliums, die er im Kap. II näher definiert, ist nach R.
die Untersuchung eines syntaktischen Phänomens im Zusammenhang
mit dem Satztypus, in dem es in einzelnen Fällen vorkommt,
und mit den anderen grammatischen Phänomenen, die den Kontext
mitprägen. Z. B. bei der Untersuchung der Stellung des Subjekts und
des Prädikats unterscheidet er nicht nur zwischen dem Vorkommen in
den Haupt- und in den Nebensätzen, sondern er fragt auch, ob ein
Hauptsatz mit der Subjekt-Prädikat- oder Prädikat-Subjekt-Reihenfolge
nach einem temporalen Nebensatz, nach einem Genitivus abso-
lutus, nach dem Objekt oder nach einer adverbialen Bestimmung
folgt. Auf eine ähnliche Weise untersucht er die Reihenfolge des
Subjekts und des Prädikats in den Nebensätzen. Der eigentlichen
Untersuchung und dem Vergleich mit den nichtbiblischen Texten ist
Kap. III gewidmet. R. fragt dabei zugleich nach den Gründen für die
Änderung der Reihenfolge (die Thema-Rhema-Theorie) und nach
den inneren Regeln der Gedankenführung, die sich hinter der Oberfläche
der griechischen freien Wortstellung durchsetzt.

Das Ergebnis seiner Untersuchung ist: a) daß die volkstümliche
Erzählliteratur der Koine in den Regeln für die Stellung von Subjekt
und Prädikat von der klassischen Literatur nur wenig abweicht und b)
daß im Markusevangelium gerade in der Stellung von Subjekt und
Prädikat, mit welcher man für seine semitische Prägung argumentiert
hat. kein semitischer Einfluß nachzuweisen ist (S. 96-98). Zu einem
ähnlichen Ergebnis führt die Untersuchung der Parataxe mit KAI im
Kap. IV und der Asyndeta im Kap. V. R. schließt daraus, daß Markus
kein unbeholfener Schriftsteller war. daß er als Verfasser von Erzähl-
litcratur ein gutes griechisches Sprachgefühl besaß, daß er sich in
dieser Hinsicht von den vergleichbaren Schriften nicht unterscheidet
und daß die meisten der angeblichen Semitismen eigentlich Sprachphänomene
der guten griechischen Volksliteratur sind.

Zusammenfassend kann man sagen, daß R. die These vom „Juden-