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Ausgabe:

1988

Spalte:

66-68

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Otto, Gert

Titel/Untertitel:

"Religion" contra "Ethik"? 1988

Rezensent:

Wegenast, Klaus

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Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 1

trag als auch ihre methodische Strenge wegweisend sein können Tür Stück stellvertretend dem Verständnis der überkommenen Lieder zu
die nächste Zeit! widmen. Würde schon hier Unklarheit obwalten, wäre um die Quali-
Der Weg der Untersuchung ist folgender: I.) Ein erster großer Teil tät an sich notwendiger Änderungen zu fürchten. Sauer-Gepperts
weist auf die mittelalterlichen Wurzeln des Kirchenliedes anhand von Buch läßt für etwa aus historischem Unverständnis stammende Miß-
Untersuchungen zu Wortgeschichte, Stil und Aufbau hin. Das ge- griffe bei Änderungen von Kirchenliedern an entscheidenden Punk-
schieht an so markanten Beispielen wie der Gottesbezeichnung Tür ten keiner Entschuldigung mehr Raum! Das ist Entscheidendes bei
C hristus, am Credo-Lied (EKG I 32) und an „Befiehl du deine Wege" einer historischen Untersuchung, die ihren Gegenstand nicht an
(EKG 294). Auch Hcrrnhutische Kirchenliedgeschichte wird als treff- Tagesaktualitäten verraten hat. Auch insofern ist Waldtram Ingeborg
liches Beispiel herangezogen (S. 62-66). 2.) Ein zweiter Teil gilt dem Sauer-Gepperts Buch ein verpflichtendes Vermächtnis!

Thema „Sprache der Innerlichkeit im Kirchenlied". Man wundert . , _. . , „, „ „

■ ,.,.„_....,..... . . ...... Erlangen ' Dietrich Blaufuß

>"~n eigentlich, daß für die Kirchenliedtexte, mit denen der Geistliche
bald so regelmäßig umzugehen hat wie mit denen des AT und NT,

nicht längst wenigstens in Ansätzen eine philologische Kenntnis ver- PrSktiSCtlO Th60iOQI6*

mittelt und dann auch verlangt wird - im Zeitalter „Theologischer „ . ... .. , .?* "

Wörterbücher" eigentlich ein überfälliges Desiderat. Bei Sauer- KateChetik/ReliglOllSpadagOgik

Gepperts exemplarischen Wortuntersuchungen etwa zu „Seele" fal-

'en nun auch ganz erhebliche theologiegeschichtliche Einsichten an. °"0' Gfrt: "■*eligio"" co",r" "^'''i ^"J Religionspädagogische

Ah,>r„k ■ j . .i , . , _ ., . ... ... . Perspektiven. Unter Mitwirkung von U. Baltz. Neukirchen-Vluyn:

^uereoenso wird z. B. auch die fatale Feh einschatzung des Kirchen- K, [7. ... lrlo, ,-,cf!0.v . r-.w „r>

ljpH . . 6 Neukirchener Verlag 1986. 135 S. 8 . Kart. DM 29,80.

lcues als einer Widerspiegelung der Theologie seiner Entstehungszeit

gründlich falsifiziert (S. 85 u. ö.). .Frömmigkeitsgeschichte' darf eben Der Mainzer Ordinarius für Praktische Theologie hat sich seit län-
nicht zum Schlagwort verkommen, sondern muß aus langer und ein- gerer Zeit nicht mehr am Fachgespräch der Religionspädagogen betei-
dringendcr Beschäftigung mit dem Gegenstand in Blick genommen ligt. Jetzt legt er in dem uns vorliegenden schmalen Bändchen neben
werden. (W. Zellers sei hier gedacht!) Es ist in einer Rezension gar sechs älteren und für die Neupublikation leicht veränderten Arbeiten
nicht auszuschöpfen, was aus der erhobenen ungebrochenen Domi- noch drei bisher unveröffentlichte Abhandlungen vor. Die Absicht
nanz mittelalterlicher Vorstellungen im Kirchenlied an Konsequen- des Vf. scheint dabei eine doppelte. Einmal will er seinen eigenen Weg
zen für die notwendige Kenntnis des Mittelalters bei evangelischen zwischen einem „Evangelischen Religionsunterricht als hermeneuti-
Theologen zu fordern wäre ...! Ebensowenig ist hier auszuloten, wie sehe Aufgabe" und seiner Forderung nach einem „allgemeinen Reli-
weit die Autorin abermals Klischees wie dem von ,Verinner- gionsunterricht" als konsequent und den gesellschaftlichen Verhält-
'chung = Subjektivierung'entgegentritt (S. 139) - hoffentlich mit Er- nissen der Bundesrepublik angemessen erweisen und zum anderen
folg auch gegen verhängnisvolle Kanonisicrung solcher Klischees in Perspektiven aufzeigen, die ins Offene führen. Der erste Beitrag „Der
Prominenter Theologen Mund . . .! 3.) Geradezu aufregend, des öfte- Mensch in seiner Welt" geht von der These aus, daß das eigentliche
ren Kabinettstücken gleichend, ist ein dritter Teil zur „Umgestaltung Thema der christlichen Theologie „der Mensch in seiner Welt" ist.
v°n Kirchenliedern"! Hier kann man auf knapp 100 Seiten theologie- „Die Rede von Gott ist für die Bibel das unverzichtbare Interpreta-
Seschichtlich mehr lernen als manchmal in Kompendien; wohl gerade ment, mit dessen Hilfe Aussagen über den Menschen in der Welt
deshalb, weil das Anliegen der Vfn. hierein ganz anderes ist: nämlich gemacht werden." (14) Wer das übersieht, kommt nach Otto in die
das Phänomen der Umgestaltung von Kirchenliedern richtig zu Gefahr, trotz scharfsinniger „philologisch-exegetischer Bemühundeuten
. Dies Phänomen ist nämlich gerade ein Beleg fiir die starke gen" zu übersehen, daß die Kenntnisnahme von Vorstellungen ohne
Verwurzelung des Kirchenliedes in der Tradition und seine Unersetz- Beachtung der Situation eines Textes kein Sinnverständnis eröffnet,
ehkeit, nicht etwa - vordergründig und auf den ersten Blick geurteilt sondern Verstehen sogar verhindert. Hier gelte es von der Bibel selbst
e|n Hinweis aufsein .Überwunden-Sein'. „Daraus, daß ein Lied viel- zu lernen, die Überkommenes eben nicht einfach wiederholt, sondern
. bearbeitet worden ist, wird ersichtlich, daß es zu dem gebräuch- bei Veränderungen der geschichtlichen Situation das zu Sagende in
lchen und tatsächlich gesungenen Bestand gehörte: andernfalls hätte eine je neue und verstehensgemäße Sageweise überführt. Eine solche
IT1an es ohne Bedenken eliminieren können." (S. 146) Mit Luther neue Sageweise bedeutet nicht nur eine neue Form, sondern stets auch
'EKG 15), Nicolai (EKG 48) und Paul Gerhardt (EKG 63) kommen eine Veränderung des Inhalts, weil nur ein veränderter Inhalt die

re> .klassische' Beispiele in Blick: von Nicolai wird sehr treffend „Sache" zu erhalten imstande sei.

8^sagt' -es gibt wahrscheinlich kein zweites Kirchenlied, das in glci- Aus dem Gesagten zieht Otto im Jahre 1967 eine auch heute noch

ern Maße beliebt und anstößig, unentbehrlich und unbrauchbar unabdingbar zu beachtende Konsequenz für Unterricht und Predigt:
war und ist" (S. 171). Ein gründliches Studium dieser drei Beispiele Die Forderung nämlich einer uneingeschränkten Berücksichtigung
genügt auf jet|en pa|| fur ejn doppeltes: Man wird einerseits nicht des pädagogisch-psychologischen Umfelds von Unterricht und Premehr
unbesehen auf dem .Urtext' bestehen wollen, man wird aber digt im Rahmen einer je aktuellen geschichtlich-gesellschaftlichen
andererseits auch Änderungen nicht ohne weiteres als einen Beitrag Lebenswelt. „Aufgabe und Gestalt des Unterrichts ergeben sich aus
*Ur Besserung qualifizieren können. Aber in diesem Abschnitt wird der pädagogisch-psychologisch reflektierten Beziehung zwischen

nn auch Sauer-Gepperts hilfreiche Stimme für Gesangbuchrevisio- Schüler und Inhalt und aus der Sachstruktur des Inhalts." (19)

°en deutlich. Diese Stimme macht ein gutes Gewissen für notwendige Die beschriebenen Einsichten, denen ich zustimme, verdanken sich

"griffe, ober, sie verweigert sich Eingriffen um kurzschlüssiger der Ernstnahmc der Hermeneutik der sechziger Jahre, die heute durch

Jj andhabbarkcit' der Lieder willen. Letzteres ist nun wirklich eine die sprachwissenschaftliche Rezeptionsästhetik differenziert worden

r geringsten Gefahren leider nicht! Wiederholt wird direkt darauf sind, welche Otto jedoch nicht in seinen Beitrag eingearbeitet hat.

Erwiesen (S. 136 A. 384; 18 A. 40; 32f A. 106. 110 u. ö.). Ob das Der auch noch heute unkontrollierte und schillernde Gebrauch der

^' fr"" ein Gruselkabinett geeignete Material auf Seite 146 bis 239 - Begriffe „Katechetik" und „Religionspädagogik" in der Theologie und

'entlich auch in Übungen und Seminaren der Historischen und eine Neuvermessung der hinter diesen Begriffen stehenden wissen-

, . tiSCnen Theologie! - wenigstens seine abschreckende und darin schaftlichen Bemühungen sind die Gegenstände der beiden nächsten

''freiche Wirkung entfalten kann, wenn es uns schon an (kon)genia- Beiträge „Die Überwindung der Katechetik" und „Religionspäd-

n Liederdichtern gebricht? agogik als Theorie".

k-ines ist - nicht erst durch Waldtraut Ingeborg Sauer-Gepperts In beiden Beiträgen geht es Otto um ein neues Verständnis der Reli-

ch - gewiß: Wer Änderungen von Kirchenliedern wird verant- gionspädagogik als einer alle Bereiche religiöser Erziehung und Bil-

Worten wollen und müssen, hat sich besonders gründlich und ein dung in Kirche und Gesellschaft umfassenden Bemühung unter den