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Ausgabe:

1988

Spalte:

862-863

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Kim, Jie-Chul

Titel/Untertitel:

Der gekreuzigte Christus als geheimnisvolle Weisheit Gottes - exegetische Studien zu 1 Korinther 2, 6 - 16 1988

Rezensent:

Kim, Jie-Chul

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Theologische Literaturzeitung 1 13. Jahrgang 1988 Nr. 1 1

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Ist der Römerbrief, wie die übrigen echten Paulinen, durch eine
konkrete Herausforderung veranlaßt, so muß diese sich im Text
erkennbar abschatten. Hinweise auf den situativen Kontext sind dann
nicht nur von Rom 12-15, sondern vor allem auch von dem „dogmatischen
" Teil Rom 1 -8 zu erwarten.

Diese Kapitel enthalten auffällig viel zitierte oder referierte Überlieferung
. Da Tradition in der Antike weithin kollektiv Geltendes repräsentierte
, kommt der im Römerbrief verarbeiteten Überlieferung
Signalfunktion für die Aufhellung des theologischen Profils der
Adressaten, den Situationsbezug des Schreibens und die vom Apostel
verfolgte Intention zu.

Fragt man nach den Intentionen des Paulus, so ist freilich zu
berücksichtigen, daß im Text Gesagtes und mit dem Text Gemeintes
nicht von vornherein identisch sind; daher ist genau zwischen den
theologischen Überzeugungen des Apostels und seinen Argumenten
zu unterscheiden. Wenn Paulus im fiktiven Dialog des Diatribestils
operiert und Überlieferung mobilisiert, kann das wohl auf Theologie
und Selbstverständnis der Briefempfänger hindeuten, muß aber nicht
generell den eigenen Überzeugungen des Apostels entsprechen. Aus
diesen grundsätzlichen Überlegungen ergibt sich für die Untersuchung
ein methodischer Zweitakt: Durch traditions- bzw. formge-
schichtliche Analyse sind Art und Umfang der von Paulus verarbeiteten
Überlieferungen zu klären; daran ist eine pragmatische Interpretation
anzuschließen, die deutlieh macht, wie der Apostel zitierte oder
referierte Überlieferung in seine Argumentation einfügt und seinen
Intentionen dienstbar macht.

Dabei erweist sieh der Römerbrief als ein bemerkenswert undogmatisches
, vielmehr ausgesprochen dialogisches Schreiben mit konkret
aufweisbarem Situationsbezug. Paulus setzt sich darin mit einer
in Rom missionierenden judenchristlichen Fraktion auseinander, die
noch im religiösen und Sozialverband der Synagoge lebt; entsprechend
ist die Grenze zwischen „Judentum" und „Judenchristentum"
noch fließend. In 1,18-3,26 knüpft Paulus wiederholt an Überlieferungen
und Überzeugungen jüdischer bzw. judenchristlicher Prägung
an, um hcilsgeschichtlich begründete Ansprüche dieser judenchristlichen
Gruppe gegenüber Heidcn(christcn) zu demontieren. Dabei
legt er Implikationen judcnchristlieher Tradition frei, die in einem
nomistischen Referenzsystem nicht zum Tragen kommen, sondern
unterdrückt werden.

Rom 4-7 dienen der differenzierten Auseinandersetzung mit Mis-
sionskerygma und Initialbelehrung judenchristlicher Kreise. Die hier
aufgenommenen Stoffe und Motive sind also keinesfalls frei gewählt,
sondern dem Apostel von der Situation in Rom diktiert. Der Abra-
hammidrasch Rom 4 ist ein wichtiges Indiz dafür, daß judenchristliche
Kreise in Rom Abraham als Paradigma wahrer Prosclytenfröm-
migkeit proklamierten. Rom 5-7 sind unterschiedliche Überlicfe-
rungseinheiten verarbeitet, die jedoch fast sämtlich einen Bezug zu
Initialbclehrung. Missionspropaganda und Beschncidungsfordcrung
judenchristlicher Gruppen erkennen lassen. Im Gespräch mit diesen
Überlieferungen (und ihren Trägergruppen) erinnert Paulus daran,
daß den an Christus Glaubenden im Taufgeschehen schon Heil und
neues Leben zugesprochen ist. Wenn post Christum praedicatum
noch Toraobservanz und Beschneidung propagiert werden, so ist dies
nach Sicht des Apostels Anachronismus. Insbesondere in Rom 6-8
macht Paulus deutlich, daß in der Taufe ein Herrschaftswechsel stattgefunden
hat. bei welchem das Regime der Sünde durch das des Geistesabgelöst
worden ist.

Der Römerbrief dokumentiert das Neben- und Gegeneinander
unterschiedlicher missionarischer Konzepte in der frühen Christenheit
und die Bemühung des Paulus um eine Kirche aus Juden- und
Heidenchristen auf der Basis des gesetzesfreien Evangeliums. Insofern
stellt der Römerbrief ein Missionsdokument dar. Zugleich bilden vor
allem Rom 1.-8 ein hervorragendes Beispiel persuasiver Argumentation
; Paulus sieht in den Adressaten seines Schreibens weniger
Gegner als vielmehr Gesprächspartner; der Brief ist diktiert vom Willen
zum Dialog. Dabei hat der Apostel jedoch traditionelle Überzeugungen
, Werte und Verfahrensweisen des Juden(christen)tums neu
zentriert, interpretiert und für Verkündigung und Praxis der frühen
Kirche fruchtbar gemacht. So dokumentiert der Römerbrief einen
Wechsel theologischer Paradigmen; Paulus jedoch erweist sich als kritischer
Verwalter und Interpret von Traditionen, der seine Theologie
aus kollektiv Geltendem heraus und darüber hinaus entwickelt.

Kim. Jie-Chul: Der gekreuzigte Christus als geheimnisvolle W eisheit
Gottes. Exegetische Studien I Korinther 2,6-16. Diss. Tübingen
1987.254 S.

Es ist das Ziel dieser Arbeit, die Frage zu beantworten, wieso Paulus
gegenüber der in Gruppen aufgespalteten Gemeinde in Korinth den
gekreuzigten Christus als die wahrhafte Weisheit Gottes bezeichnen
mußte.

I Kor 1,18-2,16 gehört zum Herzstück von Kap. 1-4 als einem
nach ringförmigem Kompositionsprinzip aufgebauten eigenständigen
Teil des I. Korinthcrbriefes. Mit dem Thema Kreuzes- (1,18IT) und
Weisheitspredigt (2,611) zielt Paulus darauf ab, daß das Wort vom
Kreuz und die Weisheitsrede einander nicht widersprechen, sondern
eine dialektische Einheit bilden.

Die paulinische Weisheitslehre knüpft an die jüdische Weisheitstradition
an.

a) Mit dem Vollzug des Scheidung zwischen Heil und Unheil bewirkenden
Kreuzeswortes wird die von prophetischen und deutcrono-
misehen Gedankenelementcn geprägte Weisheit radikalisiert.

b) Der Ablehiuingsprozcß der Weisheit von seilen des Menschen
erreicht in der Kreuzigung Jesu Christi seinen Höhepunkt.

c) Die Sophialehre des Paulus (2,6fT) hat Bezüge zur Weisheitsvorstellung
in Weisheit Salomos(vgl. 6,22-9.19).

Die antithetische Erkenntnishaltung gegenüber der Kreuzesbotschaft
(1 Kor 1,1 8 fT) ist im Zusammenhang mit der theologischen
Wende des Paulus durch das Damaskusereignis zu verstehen. Dabei
geht es um das Verhältnis zum Gesetz einerseits und um das zur
Jesus-Tradition andererseits. Der gekreuzigte Christus erscheint dem
Paulus hinsichtlich des Heilsweges des Gesetzes, als dessen Ende
(Rom 9.30-10.4), im Vergleich mit der Doxa des Mose als der Herr
der Herrlichkeit (2Kor 3,4-4,6) und angesichts der weltlichen Weisheit
als Gottes Weisheit einschließlich der Uni Wertung aller religiösen
Wertc(l Kor 1.18-2,16).

Der paradoxe Charakter der am Kreuz orientierten Weisheit Gottes
(1,18fT) ist bereits im Offenbarungsverständnis Jesu in einem
Logion der Q-Überlieferung (Mt 11,25-30 par Lk 10.210 wahrzunehmen
.

Man kann in I Kor 1-4 nicht nur Spuren eines katechetisch mitgeteilten
Wissens des Evangeliums, sondern auch Berührungen des
Paulus mit der urchristlichen Missionspredigt, die ihrerseits an die
Passionstradition Jesu anknüpft, finden.

Ausgangspunkt für die Bestimmung der korinthischen Weisheitslehre
ist I Kor 1,17 (i:v aotpiq k&fot)). Diese Wendung bezeichnet die
weisheitliche Denkweise der Korinther, die den Anlaß zur Gemeindespaltung
gegeben hat. Diese Denkweise bezieht sich wohl darauf, daß
der Kreuzestod Christi bei den Korinthern als ein Durchgangsstadium
der Hcilsvorgänge zur endgültigen Heilsvollendung - im Anschluß an
die Vorstellung des Todes des Gerechten in Weish 1-5 - betrachtet
wurde.

Mit der Paulinischen Hervorhebung des Wissens um den gekreuzigten
Christus wird das Kreuz Christi als die kritische Mitte des Evangeliums
und des christlichen Lebensvollzugs bewertet.

Auf das geschichtliche und pneumatische OlTenbarungsercignis, das
sich auf das Kreuzesgeschehen konzentriert, geht Paulus in
I Kor 2,6-16 ein. Im Gegensatz zu den Korinthern betont er die Kontinuität
zwischen dem Kreuzesgeschehen als dem geschichtlichen
OlTenbarungsercignis (V. 6-9) und dessen Weitergabe als dem pneumatischen
OlTenbarungsercignis (V. 10-16).

Die pneumalische Erkenntnis, die im Kreuzesgeschehen begründet