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Ausgabe:

1988

Spalte:

856-857

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Wickert, Winfried

Titel/Untertitel:

Männer und Zeiten 1988

Rezensent:

Moritzen, Niels-Peter

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Theologische Litcraturzeitung 1 13. Jahrgang 1988 Nr. 1 I

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tion gesetzten Werte bewußt herausgearbeitet und festgeschrieben
werden. Als „institutionalisiertes Charisma" gewinnt es dann eine die
sozialen Beziehungen. Abläufe und Strukturen stabilisierende und regulierende
Bedeutung; es legitimiert, ja „heiligt" die jeweilige gesellschaftliche
Ordnung, indem es sie auf einen überindividuellen, über-
rationalcn, eben „charismatischen" Ursprung bezieht (30).

Von Otto F. Bollnow übernimmt der Vf. nun die Unterscheidung
von „Fest" und „Feier" (45fT) und setzt sie zur Weberschen Dialektik
von „Charisma" und „Alltag" in Bezug: Fest wie Feier sind
„spezifische Vergcmeinschaftungs- und Vergesellschaftungsformen,
in denen außcralltäglichcs Handeln institutionalisiert ist" (52). Während
sich jedoch im Fest - als der begrenzten „Aufhebung der alltäglichen
Wirklichkeit" - charismatisches Erleben in seinen emotionalen
, ja. ekstatischen Aspekten einen institutionellen (und damit sozialer
Kontrolle unterworfenen) Ausdruck schafft (50.52), ist die Feier -
nicht als Aufhebung, sondern als „Reflexion der alltäglichen Wirklichkeit
" (63) - auf wcrtratidnales Handeln bezogen, ist ihrerseits
institutionelle Gestalt des solchermaßen institutionalisierten Charismas
. Beide - Fest wie Feier - besitzen so eine den einzelnen wie die
Gesellschaft stabilisierende Funktion: das Fest, indem es „die Flucht
aus, das Vergessen der und die Erholung von der alltäglichen Wirklichkeit
" ermöglicht: die Feier, indem sie die Ordnungen und Institutionen
, in denen der einzelne bzw. eine Gruppe sich vorfindet, in
ihrem Bestand rechtfertigt, ihnen Sinn und Dauer zuschreibt.

Es ist leicht zu erkennen, wie die Phänomene von Fest und Feier
hier auf ihre kompensatorischen und legitimatorischen Funktionen -
die sie ohne Zweifel auch besitzen - festgelegt werden. Wie auch
immer: Gcjeigfl und gc/t-svigt wird der gesellschaftliche Malus quo.
Eine solche Engführung dürfte schon dem Weberschen Begriff des
„Charisma" kaum voll gerecht werden: sie muß erst recht im Blick auf
jene Feste und Feiern versagen, in denen sich Tür die Christengemeinde
die Geschichte Jesu Christi (als Ziel und Summe aller Heilsgeschichte
) vergegenwärtigt: eine Reduktion auf kompensatorische
und legitimatorische Funktionen würde den theologischen Sinn
christlicher Festfeier geradezu in sein Gegenteil verkehren. Auch der
Versuch des Vf., seihe Theorie am historischen Material zu exemplifizieren
, leidet im Grunde unter solcher Verengung: Die vorgeführten
Feierformen der Französischen Revolution (108IT), des deutschen
Liberalismus (I 16fT), nationaler (122JT) und sozialistischer Bewegungen
(I30IT) fügen sich nicht ohne Zwang in das zu enge, deduktiv
gewonnene begrifflich-theoretische Gerüst. Der Vf. konstatiert für den
von ihm untersuchten Zeitraum einen Prozeß der „Versachlichung"
des institutionalisierten Charisma (85.1 55), das die Gestalt moderner
säkularer Ideologien annimmt, begleitet von einer fortschreitenden
„Instrumentalisierung" der Feste und Feiern (87) im Dienste politischer
Manipulation und Machtausübung; er scheint nicht zu erkennen
, wie sehr die von ihm beklagten aufklärerischen, .entzaubernden'
Tendenzen als notwendige, heilsame Reaktion aufsolchcn manipulatorischen
Mißbrauch begriffen werden müssen. Weil er im Blick auf
die Fest- und Feierpraxis in der Sowjetunion (1 37IT) und im deutschen
Faschismus (146fT) der fatalen Totalitarismusthese aufsitzt, entgehen
ihm jene untergründigen Traditionsstränge, die die politischen Liturgien
und Riten seiner Gesellschaft (auch und gerade in ihrer elektronischen
Aufbereitung) mit gewissen Aspekten völkisch-nationaler
Feierpraxis verbinden. So verfährt der Vf. trotz der von ihm angeführten
historischen Bezüge in einem tieferen Sinne ungeschichtlich; und
ungeschichtlich wirkt auch seine erklärte Absicht, bürgerlicher Kultur
und dem historischen Typus des bürgerlichen, „innengeleiteten"
Menschen eine gleichsam zeitlose, normative und darin elitäre Gel-
tungzu verschaffen (190-

Berlin K;irl-Hcinrieh Bierit/

HelMcb, Pctcr: Gotlcsdicnstgcbetc zum Kirchenjahr. Gütersloh: Gütersloher
Verlagshaus Gerd Mohn 1987.167 S. 8'. geb. DM 26,80.

Kachelte, Jay C.: Bodiiineu and Liturgy (Dialog 27.1988, 182-188).

Ökumenik: Missionswissenschaft

Wickert, Winfried: Männer und Zeiten. 50 Jahre Hermannsburger
Missionsgeschichte-Ein Rückblick. Erlangen: Verlag der Ev.-Iuth.
Mission; Hermannsburg: Missionshandlung Hermannsburg 1987.
338 S„ 1 Taf. 8° = Quellen und Beiträge zur Geschichte der Her-
mannsburger Mission, 2.

Die Hermannsburger Mission ist 1976 in das Evangelisch-Lutherische
Missionswerk in Niedersachsen umgewandelt, in dessen Organen
Vertreter der tragenden Kirchen das Übergewicht haben: Zugleich ist
der Teil der Arbeit und Verantwortung der Leipziger Mission, der in
Niedersachsen verwurzelt war, mit in dies Missionswerk eingebracht:
also durch die Beziehungen zur Tamulenkirche.

Aber zugleich geschieht seit einigen Jahren eine intensive Rückbesinnung
auf die „Hermannsburger" Tradition: Es werden Ludwig-
Harms-Symposicn bzw. Konferenzen veranstaltet, Schriften von und
über ihn neu aufgelegt und neu herausgebracht, und eine ganze Reihe
ist eröffnet: Quellen und Beiträge zur Geschichte der Hermannsburger
Mission.

Die ersten drei Bände liegen vor und sind eigentlich „Quellen"; die
Manuskripte haben seit langem vorgelegen: Bd. I: Christoph Schomc-
rus: Die Mission - meine Freude 1987. 209 S. wurde schon 1944 geschrieben
; der vorliegende Band 1963 und der dritte Band: Luise
Wcndlandt-Hohmann, Zugvögel kennen ihre Zeit (1987) lag schon
1932 vor, wurde aber erst vor wenigen Jahren in Australien aufgefunden
und herausgebracht. Diese Publikation vorliegender Quellen
verdient eine hohe Anerkennung. Hier kommen Zeitzeugen und
Hauptbeteiligte in ihrer Sprache, in ihrer Sicht zu Wort, sie werden
nicht wie in historischen Dissertationen in ein Kreuzverhör genommen
, um auf die Fragestellung anderer Zeiten und Menschen zu antworten
.

Die beiden Bände I und II gehören zusammen: Schomerus war ab
1912 Missionsinspektor, ab 1929 Missionsdircktor bis zu seinem
Tode 1944. Wickert war Missionarssohn, machte 1908 sein Examen
am Seminar in Hermannsburg, wurde nach Indien gesandt, dann 1914
interniert, dann im kirchlichen Dienst, bis er 1925 wieder in den Missionsdienst
ging, und 1929 zum Kondircktor gewählt wurde; was er
bis 1959 blieb. Von 1937 ab wohnte und arbeitete er in Südafrika als
Leiter der dortigen Missionsarbeit.

Er wurde im Ruhestand gebeten, die Geschichte der Hermannsburger
Mission über das große Werk von Haccius „Hannoversche Mis-
sionsgeschichte" hinaus fortzuführen. Das ist seine Absicht. Deshalb
steht am Anfang ein Anknüpfen an dies Werk, wobei das erste Doppcldirektorium
(Egmont Harms und Georg Haccius) und die Lage der
Mission bei Haccius' Tod geschildert werden. (I I -83)

Dann erst beginnt der Chronist seine eigene Zeit zu schildern, also
das Doppeldircktorium Schomcrus-Wickert. Weil er Dokumente und
Auszüge aus dem Missionsblatt verwendet, sind etliche enge Berührungen
mit Schomerus' Werk naheliegend. Im Unterschied zu Schomerus
versucht er deutlicher die wichtigen Elemente des Werkes zu
behandeln, auch wo sie nicht eng mit seiner eigenen Biographie verbunden
sind:

Die Volksmission (109-124). der Verlust des indischen Arbeitsgebietes
(125—1*38), der Beginn der Galla-Mission (139-168). Schomerus
und die südafrikanische Mission (169-185), unser Dienst in den
Missionshäusern (186-206). Aber zweifellos ist das Schwergewicht
seines Dienstes seine Zeit in Südafrika; diese Zeit wird in vier Kapiteln
geschildert (von 207-305). Das Geschehen in Äthiopien (268-287)
wirkt wie ein eingeschobenes Kapitel. Die Schlußkapitel gelten dem
Direktorat von August Elfers (306-318), dem Dank an Mitarbeiter
(319-329) und ganz lakonisch: Ende (330-334). Dies Kapitel enthält
ein Protokoll der Sitzung, in der der neue Direktor (Wescnick) mit 8
gegen 5 Stimmen gewählt wurde, und den Rücktritt Wickerts als Kondirektor
.

Nicht nur hier verbirgt Wickert seine eigenen Empfindungen. Der